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ANDERES HOLZ – Fermate

~ 2018 (STF Records) – Stil: Avantgarde Folk / Rock ~


Am Rande des Ruhrgebiets, Ostwestfalen, 2015. In einem wüsten Festival-Moloch getauft, entsteht Hippie-Punk, progressiver Folk Rock, Avantgarde Rock. Aus einem völlig anderen Holz, als ihr es euch in euren kühnsten Träumen vorstellen könnt, sind ANDERES HOLZ geschnitzt. Deutsche Dichtkunst trifft auf osteuropäische Avantgarde und eine amerikanische Anti-Mainstream-Produktion. Auf der Bühne stehen Tine mit Bass und Geigenbogen-Basssoundeffekt, Flusi am Schlagzeug sowie Sänger ‚Kunde Waldzither‘, natürlich mit seiner Waldzither, einem Zupfinstrument aus der Familie der Cistern. Auf dem Produzenten-Sessel saß Matt Korr (TIAMAT, MORGOTH, KNALL, 3RD EAR EXPERIENCE).

Die Musik ist eine Offenbarung: Zur feurigen Lagerfeuerromantik bei 104 Grad Fahrenheit im Americana fügt sich slawische Psychedelic hinzu. Nicht wenige kleine Evergreens stehen neben drei ausufernden Longtracks – allesamt mit hypnotischer Wirkung ausgestattet. Den fesselnden harten Folk zelebriert sogleich der Eröffnungstitel ´Mosaik´. Erste Verzweiflungsschreie sprießen aus dem dreizehnminütigen ´Ein Geheimnis´ heraus – schlagkräftig, emotional und martialisch trommelnd. Das ebenso lange ´Judo´ mutiert zwischendurch zur Noise-igen Geräuschkulisse. Der finale Longtrack ´Der große Zampano´ geht die siebzehn Minuten mit russischen Siebenmeilenstiefeln an, hält inne und entfaltet abermals hypnotisierend seine instrumentale Wirkung, um aus der bedrohlichen Enge frohlockend zum Akustikreigen aufzuspielen: „Das Morgentüdelü kann unmöglich Frieden sein, es fehlt der große Zampano, der Sonnensprung durchs Wolkenlaub, zum Abendtralala, die wollen gar keinen Frieden mehr, die Nacht ist viel zu nah, wo kommen all die Posaunen her, bis hierher und nicht weiter.“

Ob am Morgen oder Abend, ´Die Flamme´ wird in Zukunft nie mehr ungespielt bleiben, aus dem Ohr flieht sie sowieso nicht mehr: „Die Zeit, die niemals wiederkommt, gehört jetzt dir.“ Welch glorreicher Song, ob im Morgentau auf der Lichtung tanzend oder auf dem Parkett. Glühend heiß windet sich außerdem ´Lippen aus Schnee´ um die Feuerstelle: „Schaffen wir‘s durch den Winter“ – bereits jetzt eine legendäre Zeile. Obendrein findet sich eine Fremdkomposition ein. „Die bange Nacht“ ist ein deutsches Reiterlied aus der Zeit vor der Märzrevolution 1848/49, eine anonyme, antifaschistische Fassung erschien 1942. Geradeaus, scheppernd rockig, federleicht ins Licht pissend, gibt sich ´Dysfunktion´. Saitenschwingungen beschwören in ´Die Stadt´, mit Einschluss der Reprise von ´Die Flamme´, und ´Plankton´ diesen unheimlichen Band-Spirit herauf.

ANDERES HOLZ: Außergewöhnlich anders, aufwühlend, abartig angenehm und aufregend.

(9 Punkte)

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