JahresrückblickeMeilensteine

Ancient Streets: Zurück in das Jahr 1998

Ein Jahr im Zeitraffer


Das Jahr 1998 war in vielerlei Hinsicht ein Jahr des Umbruchs – nicht nur in der Musikszene. In Bonn erfolgt nach 16 Jahren ein Regierungswechsel und die Boulevard-Presse arbeitet sich an der Lewinsky-Affäre in den USA ab.

1998 wird die D-Mark 50, Michael Jackson und Prince werden erst 40, Ingrid Steeger, John Carpenter, Steven Tyler, Robert Plant, Ozzy Osbourne und Alice Cooper ebenso 50 Jahre alt, George Harrison und Mick Jagger 55. Helmut Schmidt feiert seinen 80sten, Johannes Heesters seinen 95sten Geburtstag.

Vor zwanzig Jahren kündigt sich nicht nur das Ende einer Dekade, sondern das eines ganzen Jahrhunderts an. Auf der Bildfläche erscheinen Gruppen wie ATREYU und BULLET FOR MY VALENTINE und alle Veröffentlichungen dieses Jahres feiern 2018 ihr 20-jähriges Jubiläum.

RUNNING WILD veröffentlichen 1998 ihr letztes gutes (´The Rivalry´) und IRON MAIDEN erneut ein unnötiges Album (´Virtual XI´). NIGHTWISH erreichen die Massen (´Oceanborn´) und HAMMERFALL halten die Fahne des True Metal mit ihrem zweiten Werk weiter hoch (´Legacy Of Kings´). In der Härte liegt die Stärke beim ersten THE HAUNTED-Werk sowie in der Retroaufbereitung bei WITCHERY (´Restless & Dead´). Und Rob Halford bekennt sich in einem MTV-Interview erstmals öffentlich zu seiner Homosexualität.

Abseits von IRON MAIDEN präsentiert sich „Bruce Bruce“ Dickinson mit ´The Chemical Wedding´ äußerst meisterlich, trotz entsprechender, dunkler Dekaden-Soundästhetik.

HELLOWEEN treten mit ´Better Than Raw´ gestärkt in den Ring, ihr Nacheiferer Eddy Antonini (´When Water Became Ice´) gibt sich hingegen weit klassischer als das Original selbst. Doch der Italien-Metal hat in ELDRITCH (´El Niño´) und RHAPSODY (´Symphony Of Enchanted Lands´) noch weitere Pfeile im Köcher stecken.

Derweil suhlen sich BLIND GUARDIAN mehr denn je in den Geschichten aus Mittelerde (´Nightfall In Middle-Earth´). Es ist zudem ihr erstes Album, das auch in den USA veröffentlicht wird, und so ist die Ausbreitung des Euro Metal auf der anderen Seite des Atlantiks nicht mehr aufzuhalten ist. GRAVE DIGGER sind dagegen weiter für den History-Kanal unterwegs, ´Knights Of The Cross´ ihr klasse Werk.

Dort zünden immerhin CAGE das Feuer in Form ihres Debüts (´Unveiled`) und ICED EARTH sind letztmalig mit einem klasse Werk am Start (´Something Wicked This Way Comes´).

METALLICA recyclen nochmals ihre ´Garage Days´-EP aus 1987 sowie zahlreiche Coverversionen, B-Seiten und Samplerbeiträge (´Garage Inc.´).

KAMELOT sind weit origineller unterwegs, erstmals auf ihrem Drittwerk (´Siége Perilous´) mit Sänger Roy Khan. Hernach beginnt für viele Anhänger aufgrund der Richtungsänderung in andere Klangwelten der Abstieg, den SAVATAGE bereits angetreten haben, dennoch mit ihrem Konzeptalbum (´The Wake Of Magellan´) langsam größere Erfolge erzielen.

Echten Stahl gießen nämlich 1998 SKULLVIEW (´Legends Of Valor) und die unkaputtbaren VIRGIN STEELE (´Invictus´).

Die Power Metal-Faust zücken ZANDELLE (´Shadows Of Reality´) und Sänger/Gitarrist George Tsalikis sorgt mit seiner eigenen Band für den langsamen Abgesang der glorreichen GOTHIC KNIGHTS.

In unseren Breitengraden sind EDGUY auf dem Sprung zum großen Erfolg und tragen noch Gutes mit im Gepäck (´Vain Glory Opera´). PRIMAL FEAR führen mit ihrem Debüt das Erbe von JUDAS PRIEST fort und IRON FIRE sind eine von vielen Trittbrettfahrern, die nach dem Erfolg von HAMMERFALL in der Szene auftauchen.

RAGE spielen zwar noch eine Ouvertüre, lassen es gleichwohl krachen (´XIII´). Finnlands SENTENCED sind für viele nur noch ein Schatten ihrer alten Gestalt, können aber mit Dunkelrock-Hits die Massen begeistern (´Frozen´).

Und es erscheint auch ein neuerliches Meisterwerk von WHILE HEAVEN WEPT (´Sorrow Of The Angels´). Die inzwischen aufgelösten Epic-Doomer um Tom Philips zergehen auf diesem blutigen Filetstück in allen Fasern der herrlichen Langsamkeit, mitnehmend, einnehmend, seelenzerfleischend.

Die Briten SOLSTICE setzen mit ´New Dark Age´ ein doomiges Ausrufezeichen, dessen Nachfolger erst 20 Jahre später erscheinen wird. Zwischen Doom, Folk und progressiver Herrlichkeit entzücken NORTHWINDS aus Frankreich (´Great God Pan´).

In den Versatzaufbauten und Kacheln des progressiven Metal gibt es sowieso die Wunderboliden von DESTINY´S END (´Breathe Deep The Dark´) und POWER OF OMENS (´Eyes Of The Oracle´) auf den Knien zu beklatschen.

KENZINER (´Timescape´) und MAGNITUDE 9 (´Chaos To Control´) sind da längst neo-klassischer unterwegs. Äußerst edel ist John Fiarro mit seiner nach ihm benannten Gruppe FIARRO unterwegs. Das selbstbetitelte Debüt sollte aufgrund eines 2000 nie veröffentlichten Werkes das einzige bleiben. WARRIOR aus Los Angeles sind dagegen nach dreizehn Jahren mit ´Ancient Future´ wieder im Geschäft.

Abseits gibt es natürlich noch Japaner, die uns Metal in leicht progressiver Darbietung in Form von VIGILANTE (´Chaos Pilgrimage´) vortragen oder wie MAELSTROM dabei schon DREAM THEATER gehört haben (´The Wings Of Time´).

Etwas thrashiger und powervoll knackt es bei ANTITHESIS im selbstbetitelten Gebälk.

Die Schweden MIND´S EYE (´Into The Unknown´), die Australier TERAMAZE (´Tears To Dust´) und für PSYCHOTIC WALTZ-Anbeter die Engländer SEER´S TEAR (´Precious´) sind jede Sekunde ihres Schaffens wert.

Der Kanadier Devin Townsend zeigt uns auf seinem zweiten Solo-Scheibchen seine Haut (´Infinity´) und ex-DREAM THEATER Kevin Moore auf seinem ersten unter dem Banner CHROMA KEY den elektronischen Trip seines neuen Rock (´Dead Air For Radios´). Solch einen experimentellen Rock-Trip unternimmt auch Jon Crosby mit seiner Band VAST und ihrem selbstbetitelten Debüt. Die ´Alternative 4´ haben ANATHEMA im Gepäck.

Das schnelle Taxi suchen derweil MAYFAIR im edlen Gelb (´Fastest Trip To Cyber-Town´). Es wird für fünfzehn Jahre ihr letzter Trip bleiben. Die Pfälzer SUPERIOR legen ihr zweites Werk vor (´Younique´) und die Gothic Metaller Australiens VIRGIN BLACK ihre erste EP (´Trance´).

In allgemein progressiven Gefilden schenkt die deutsche Legende ELOY seinem harrenden Volk ´Ocean 2 – The Answer´ und die Amerikaner SPOCK´S BEARD um noch Frontman Neal Morse mit ´The Kindness Of Strangers´ ein gutes Werk, das den All-Time-Schmacht-Classic ´June´ enthält:

ENCHANT um den famosen Ted Leonard bringen ´Break´ an das strahlende Tageslicht, der EXPLORER`S CLUB, angeführt von den MAGELLAN-Brothers kann mit einem echten Staraufgebot (James LaBrie, John Petrucci, D.C. Cooper, Terry Bozzio und Billy Sheehan u.v.m.) prahlen. Dem will natürlich Arjen Anthony „AYREON“ Lucassen nicht nachstehen und legt mit ´Into the Electric Castle´ ein erneut das Rock-Opera-Genre befeuerndes Konzept-Album vor. Ein Meisterwerk, das er in dieser Form selbst kaum zu wiederholen vermag.

SHADOW GALLERY präsentieren ihr meisterliches Konzeptwerk ´Tyranny´. Sogar James LaBrie und D.C. Cooper sind als Gäste vertreten. Aber Sänger Mike Baker kann niemand das Wasser reichen. Tragischerweise stirbt er zehn Jahre später, mit 45 Jahren viel zu früh an einer Herzattacke.

SYMPHONY X wiederholen mit ´Twilight In Olympus´ nicht ganz den genialen Wurf des Vorgängers ´The Divine Wings Of Tragedy´. Das LIQUID TENSION EXPERIMENT nimmt sein Debüt kurzerhand in sechs Tagen auf, kein Wunder bei dem musikalischen Vermögen aller Beteiligten: John Petrucci, Jordan Rudess, Mike Portnoy sowie Tony Levin.

Die US-Amerikaner BLACK SYMPHONY begeistern mit einem außergewöhnlichen Debüt und sinfonisch geprägtem, hardrockendem Power Metal. PAIN OF SALVATION sind mit ihrem Zweitwerk ´One Hour By The Concrete Lake´ ebenfalls noch der aufstrebende Underground-Act, THRESHOLD dagegen erneut mit einem neuen Sänger am werkeln. Andrew McDermott sollte glücklicherweise länger bei den Brit-Proggern verweilen. Er stirbt jedoch im August 2011.

In den melodischen Ecken des Prog Rock zücken MYSTERY mit ´Destiny?´ ein starkes Blatt, ebenfalls die 1991 gegründeten SALEM HILL ihr ´The Robbery Of Murder´, eines der besten Bandwerke bis zum heutigen Tage. ARENA um Mick Pointer zeigen bei ´The Visitor´wieder ihre Klasse. Überraschend wandeln MOSTLY AUTUMN mit ihrem Debüt ´For All We Shared´ auf einem einzigartigen Pfad zwischen Folk und PINK FLOYD.

Verblüffend ist ebenfalls das letztlich einzige Album der Hamburger Artrocker SOPHISTREE, die auf ´Seed´ wundervolle Gesänge, man denke an GENTLE GIANT im Neo-Prog-Kontext, vortragen.

Progressiv ging 1998 auch härter: Einen Höhepunkt ihrer Diskografie legen MESHUGGAH mit ´Chaosphere´ vor, die Schweden ARCH ENEMY nochmals ein Album mit Sänger Johan Liiva.

Nach zwei Studio-Scheiben erscheint ´No Sleep ´till Bedtime – Live in Australia´ der verrückt-brillanten STRAPPING YOUNG LAD, dem Quartett um Devin Townsend und Gene Hoglan.

OPETH sind zu jener Zeit noch in ´My Arms, Your Hearse´ im Death Metal gefangen. Der Meister ist jedoch weiterhin Chuck Schuldiner, der mit dem siebten und letzten Album von DEATH ´The Sound Of Perseverance nochmals eine Sternstunde erschafft. Er geht 2001 aus dieser Welt.

´Something Wild´ ist das Debüt von CHILDREN OF BODOM, die mit einem Stil zwischen Death Metal, Power Metal und Klassik-Anleihen brillieren. ULVER wollen es hingegen erstmals in Englisch mit dem Konzeptwerk ´Themes From William Blake’s The Marriage Of Heaven and Hell´, der Vertonung des prophetischen Prosagedichtes, wissen. Zu BOLT THROWERs ´Mercenary´ werden die Höchstnoten gezückt, zu CANNIBAL CORPSEs ´Gallery Of Suicide´ nur von progressiven Hardlinern der Band.

1998 erscheint ebenso das aufsehenerregende Debüt von SYSTEM OF A DOWN, die mit einer großen stilistischen Breite den Mainstream im Nu erobern. Dem stehen die QUEENS OF THE STONE AGE mit ihrem Debüt ebenfalls nicht nach. Gegründet von Josh Homme im Anschluss an den Split von KYUSS, sollte die Band sogar ursprünglich Gamma Ray heißen.

Das vierte Album von MONSTER MAGNET ´Powertrip´ verschafft den Männern um Dave Wyndorf einen ewigen Hit: ´Space Lord´.

´This Is My Truth Tell Me Yours´ ist das fünfte Album der MANIC STREET PREACHERS und trotz erstmaliger Abwesenheit von Richey James Edwards ihr kommerziell erfolgreichstes. Der Indie Songwriter ELLIOT SMITH kreiert mit ´XO´ eine weitere Großtat, RUFUS WAINWRIGHT mit seinem großen Debüt seine allererste.

Das zweite und bislang letzte Album der Rocker NEUTRAL MILK HOTEL ´In The Aeroplane Over The Sea´ gilt in nicht wenigen Kreisen als wahres Wunderwerk. Das zweite von PLACEBO ´Without You I’m Nothing´ besitzt ebenso großes Ansehen. Für elektronische Kreise präsentieren AIR ihr sensationelles Debüt ´Moon Safari´.

Diesen Wundertaten will das dritte Werk der legendären DAVE MATTHEWS BAND mit ´Before These Crowded Streets´ einiges hinzufügen.

Eine weitere Wunderwaffe strahlt mit ´The Infinite Circle´ aus den Boxen. Das Zweitwerk von Robin Proper-Sheppards, der zuvor mit THE GOD MACHINE Geschichte schrieb, unter dem Banner SOPHIA. TORI AMOS hatte mit ihrem Debüt längst in den Books of History einen Eintrag erhalten, ihr viertes Album ´From The Choirgirl Hotel´ versucht es mit einem experimentellen Ansatz. Selbst THE GATHERING folgen den Pfaden des Trip Hop und Alternative Rock auf ´How To Measure A Planet?´.

Das zweite Album von DEEP PURPLE mit Steve Morse namens ´Abandon´ kann das Niveau des Vorgängers ´Purpendicular´ halten. Auch die Reunion im Original-Line-up zum 18. Album ´Psycho Circus´ von KISS ist nicht verachtenswert. Und was machen die Spanier? MÄGO DE OZ schaffen mit ihrem dritten Werk eine traumhafte Welt. Das spaßige Coverartwork führt erstklassigen Hardrock, Folk und Metal in ureigener Weise zusammen. Zwei Jahre später sollten sie auf einem Doppel-Album völlig brillieren.

Der dänische König läuft 1998 gleich zweimal eine Ehrenrunde. KING DIAMOND veröffentlicht erst ein weiteres Solo-Werk namens ´Voodoo´ und in der Mitte des Jahres mit MERCYFUL FATE ´Dead Again´. Königlich. Demnächst wahrscheinlich mit T-Shirts in jedem H&M-Shop.