Livehaftig

PSYCHOTIC WALTZ, BLEEDING

~ 19.06.2017, Frankfurt, Das Bett ~


Die ungekrönten Könige des Progressive Metal geben sich endlich einmal wieder in Europa die Ehre, wo sie zwischen das Graspop- und das Copenhell-Festival noch ein paar Clubkonzerte einstreuen. Da sie ja sowieso schon unterwegs und in Fankreisen lang ersehnt sind, macht die Band kurzerhand aus einem Day Off-Montag einen feinen Konzertabend in der Hessenmetropole.

Trotz relativ kurzfristiger Ansage und vor allem bestem Sommerwetter finden mehr als 100 treue Fans spontan den Weg vom Liegestuhl ins Frankfurter „Bett“ für den zweiten von vier Deutschland-Terminen – und natürlich werden sie hinterher glückselig nach Hause gehen.

 

Als Opener der Amis fungieren heute zum ersten Mal die Nordlichter BLEEDING, für die damit ein Musikertraum in Erfüllung geht – haben sie sich doch 2011 beim Hamburger PSYCHOTIC WALTZ-Konzert gegründet. Bei den Herren aus Stade ist der Name Programm, doch dass sie allesamt weitgefächerte musikalische Vorerfahrung und zusammen mittlerweile bereits zwei Platten draußen und eine neue (‚Elementum‘) im Kasten haben, ist ihnen anzumerken (Mehr Infos zur Band siehe hier). Sie geben von Beginn an richtig Gas und rocken den Club. Dass wir es hier keineswegs mit einem PW-Double zu tun haben, zeigt die stilistische Vielfalt ihrer Songs von Thrash über Dark Rock bis zu vertracktem Prog, scheuklappenfrei und spielfreudig präsentieren sie uns ein Potpourri aus Songs von ihrer ersten EP (‚Bleeding‘, ‚Souldancer‘) über die ‚Behind Transparent Walls‘ (‚Fading World‘, ‚Madness‘) bis hin zu vier neuen Liedern.

 

Frontmann Haye Graf erinnert mich stimmlich an Jan Lubitzki von DEPRESSIVE AGE, Marc Nickel harmoniert wunderbar mit ihm als Backgroundsänger und liefert vor allem knackige Gitarrensoli ab, und der neu von POVERTY’S NO CRIME hinzugekommene Bassmann Heiko Spaarmann legt einen fetten Groove unter die ganze Sache. Mir gefallen vor allem die Anklänge an FATES WARNING, die im zweiten Teil des heutigen Sets aufkommen. Spätestens mit ‚Ember‘ vom neuen Album hat mich die Band gepackt, der Song geht sofort ins Ohr und stillstehen ist ab sofort unmöglich. Mit ‚Souldancer‘ beenden die Stader wie immer ihren Gig, und Haye überrascht uns hier mit abgefahrenem, SYSTEM OF A DOWN-artigem Sprechgesang. Das war eine runde Sache und hat so richtig Spaß gemacht!

 

Als ich vom Luftschnappen wieder zurückkomme, hat sich die Zuschauerzahl im Club gefühlt verdoppelt, und vor allem direkt vor der Bühne ist es richtig eng geworden. Die Fans fiebern ihren Prog-Helden entgegen, die völlig unprätentiös die Bühne betreten und gleich mit ‚Dancing In The Ashes‘ klarmachen, dass wir es heute nur mit Hits zu tun haben werden. Schon nach dem Folgesong ‚Faded‘ beginnen die Fans die Band mit Hey! Hey!-Sprechchören durch das weitere Konzert zu tragen, ‚Mosquito‘, ‚Haze One‘, alles singt mit, die beschwingte Frickelparty ist in vollem Gang. Hierzu trägt auch der klare Sound im „Bett“ bei. Die Musiker genießen es offensichtlich, in dem familiären Club wieder mal richtig nah an ihren Anhängern dran zu sein, vor allem Brian McAlpin und Ward Evans ist die ungläubige Freude ins Gesicht gemeißelt. Kleinere technische Probleme werden wie nebenbei professionell gelöst, heute geht es allein darum, zusammen Spaß zu haben. Die allerschönsten Momente sind heute für mich diejenigen, wenn sich die Gitarrenzwillinge Rock/McAlpin bei einer ihrer göttlichen Harmonien quer über die Bühne anstrahlen.

 

Nah am Publikum ist Devon Graves, der Fronter mit dem riesigen Charisma, sowieso ständig. Er stellt uns mit der Bitte, statt ständig virtuell per Smartphone unterwegs zu sein, doch den Abend im Hier und Jetzt und mit Augenkontakt zur Band zur verbringen, den einzigen neuen Song vor: ´While the Spiders Spin´ dreht sich dann auch genau um diese Thematik, ein typischer, trotzdem moderner WALTZ-Prog-Groover, der die Vorfreude auf die neue Platte weiter anfacht. Mit ´I Remember´ und dem überirdischen ´A Psychotic Waltz´ wird der Erste-Phase-Klassiker-Teil eingeleitet, ´Morbid´ singen noch mal alle mit, und nach einem vorgezogenen Zugabenblock ist nach ´Nothing´ leider schon nach guten anderthalb Stunden Schluss. Naja, nicht ganz – die Fans, die teilweise Taschen voller Devotionalien zum Unterzeichnen dabeihaben, genießen noch lange das eine oder andere Getränk und Gespräch mit der Band, und viele machen sich nicht nur mit ‚ringing ears’, sondern auch mit Erinnerungsfotos auf den Heimweg.

 

Und damit gebe ich weiter an meinen Kollegen Ludwig im Studio München ….