Livehaftig

PSYCHOTIC WALTZ, BLEEDING

~ 20. Juni 2017, München, Backstage Club ~


Als Freitags-Headliner beim 2012er-Keep-It-True waren PSYCHOTIC WALTZ nicht wirklich in ihrem Element. Irgendwie wollte der Funke trotz großartiger Darbietung in der Tauberfrankenhalle nicht so recht überspringen. Woran’s lag, darüber gehen die Meinungen bis heute auseinander.

Meine Theorie: Diese Weltklasse-Band kann ihre volle und einzigartige Magie anders als DREAM THEATER und Arch-FATES WARNING nur im intimen Rahmen entfalten. Perfekte Voraussetzungen also an diesem schwül-heißen Dienstagabend im Münchner Backstage Club. Vorweggenommene Bilanz nach 18 Songs: durchgeschwitzte 150 Leiber, die sich in den Armen liegen und kaum fassen können, was sie da gerade gehört und gesehen haben: kein bloßes Konzert, sondern eine Offenbarung, wie sie der Verfasser dieser Zeilen seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Die Verschmelzung von Kunst und Publikum, Glück und Seligkeit. Knappe zwei Stunden in einer anderen, besseren Welt.

 

Schon die Vorband erfüllt höchste Ansprüche. BLEEDING aus Stade im hohen Norden gründeten sich 2011 auf einem PSYCHOTIC WALTZ-Konzert und haben mit einer selbstbetitelten EP und dem 2015er-Album ‘Behind Transparent Walls’ ausgezeichnete Kritiken im europäischen Prog-Metal-Underground eingeheimst. Als die Band um 20 Uhr mit ‘Fading World’ loslegt, ist der Club bereits gut gefüllt.

Die Abtastphase dauert keine zwei Minuten, schon blickt Sänger Haye Graf in dankbar mitwippende Gesichter. BLEEDINGs großes Plus: Die technisch anspruchsvollen Stücke verlieren sich nie in Selbstverliebtheit, sondern kommen über teils waghalsige Pfade doch immer auf den Punkt, was das Ganze auch auf der Bühne zum Vergnügen macht. Stilistisch haben neben den großen Vorbildern aus Kalifornien auch ANACRUSIS und SIEGES EVEN ihren Eindruck hinterlassen. Von Nardi & Co. die Härte, von den Bayern die sphärischen Einsprengsel – so lässt sich der Sound für Noch-Nicht-Kenner beschreiben. Das ruhig beginnende und in ein Doublebass-Inferno umschlagende ‘When They Come’ ist ein vielversprechender Vorgeschmack auf das im Herbst erscheinende Drittwerk. Starker, sympathischer Auftritt!

 

Und nach erfreulich kurzer Umbaupause ist die Zeit gekommen für Devon Graves, Dan Rock, Brian McAlpin, Ward Evans und Norm Leggio, die den Club mit einem Mix aus ‘Mosquito’- und ‘Bleeding’-Songs auf eine Welle aus Göttergaben vorbereiten, die in dieser geballten Genialität einmalig in der Progmetal-Welt ist. ‘Another Prophet Song’ und der ewige Gänsehäuter ‘I Remember’ flankieren das neue Midtempo-Stück ‘While The Spiders Spin’, bei dem Devon in Manier eines Handysüchtigen über sein Mikro wischt. Nach dem erhabenen ‘A Psychotic Waltz’ und ‘Only In A Dream’ wird München Zeuge einer überirdischen ‘Into The Everflow’-Version. Der Moment, in dem sich Brian McAlpin ins Solo seines kongenialen Partners Dan Rock einklinkt, sollte längst heiliggesprochen sein.

Knapp anderthalb Stunden sind inzwischen rum, über Devons Glatze rinnen die Schweißperlen, sein Hemd hängt dunkelrot am Körper. Ermüdungserscheinungen? Nicht zu bemerken. Gesanglich ist der große Beschwörer in brillanter Form, 99,9 Prozent der Töne sitzen, den einzigen verfrühten Einsatz bügelt Mr. Graves augenzwinkernd aus. Das alte Raus-und-Rein-Spielchen namens Zugabe ersparen sich PSYCHOTIC WALTZ auf dieser Tour. “We’ll stay here and play three more songs”, kündigt Davon nach ‘…And The Devil Cried’ an. “Then we can have some beers at the bar.” Gesagt, getan. Selten hat der Edelstoff besser gemundet. Santo subito per favore!

 


Setlist

Dancing in the Ashes
Faded
Mosquito
Northern Lights
Haze One
Ashes
Locust
Another Prophet Song
While the Spiders Spin
I Remember
A Psychotic Waltz
Only in a Dream
Into the Everflow
Morbid
…And the Devil Cried
Halo of Thorns
I of the Storm
Nothing

 

 

(Zum Bericht des Auftritts in Frankfurt bitte hier anklicken)