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MUTTER – Der Traum vom Anderssein

2017 (Die Eigene Gesellschaft / Hanseplatte) – Stil: Rock


Seit über 30 Jahren schreiben MUTTER an ihrer Geschichte, komponieren regelmäßig in größeren oder kleineren Abständen neue Songs und werden auf ewig anderssein. Gefangen in ihrem Dasein, geknebelt in der eigenen Gedanken- und Fantasie-Welt. Ausformuliert und überreicht durch Sänger und Texter Max Müller, dessen  Lyrik den Hörer in eben dieser Geisteswelt durch zahlreiche Labyrinthe führt, seinem ewigen Partner und Schlagzeuger Florian Koerner von Gustorf sowie den Herren Olaf Boqwist, Micki Fröhlich und Julie Miess. Daher hat bislang jeder krampfhafte Versuch versagt, MUTTER aus ihrem Kokon zu befreien und den Schablonen der gewöhnlichen Musikkonsumenten zu unterwerfen. Und so sind MUTTER auf ihrem elften Album erneut ganz bei sich selbst. In ihrem Kosmos aus Noise, Rock, Metal, Punk, Garage, Alternative, Kraut und Psychedelic.

Im Gegensatz zum zärtlich einschmeichelnden Vorgängerwerk lassen MUTTER nun wieder ihre Pubertät zum Vorschein kommen, leben all ihre Frustration, all ihre Erfahrungen in manischen Lärmorgien aus. ´Glauben nicht wissen´ ist klaustrophobisch geartet, eine Geräuschorgie, wenn nicht der irre Beat die Jagd in den tiefen Psycho-Dschungel eröffnen dürfte. Selbst ´Menschen werden alt und dann sterben sie´ ist nicht nur von seinem Titel her übel gelaunt – oder schlicht realistisch – und zelebriert in schier endlosen Minuten dissonante Tonfolgen sowie krautige, dronende Exzesse – ein ungemütlicher Streifzug, ein Trip. Zwischendurch wird es eruptiv einschmeichelnder, wenn Müllers Gesang in ´So bist du´ erstmals durchgehend verfolgt werden kann und sich aufkochender Noise mit Lou Reed´schen Klangschöpfungen vereint. Der einst angedichteten Kongruenz zur Hamburger Schule widersprechen MUTTER mit dem zielgerichtet aufwallenden ´Der Traum vom Anderssein´. Allein Tom Liwa und die FLOWERPORNOES könnten sich hier als auch zum lässigen ´Fremd´ in einer bunten Schnittmenge treffen. Mittelmäßigkeit scheint allerdings eine Problematik von ´Glorie´ zu sein, musikalisch kreischen andererseits sehr souverän die Instrumente, fette Tastenklänge ziehen von dannen und bedienen sich ungeniert sowie dreist Laura Branigans ´Gloria´, dadada, dadada, da-dada. Weil der MUTTER nichts unmöglich ist, sie nicht am Gewöhnlichen zu messen ist, geht die Partie im Autotune-Feinschliff mit ´Geh´, einem hallenden Trip in psychedelischen Garagenausschweifungen, und in ´Kravmann´, einem kraut-noisigem Ungetüm, das nicht tot sein will – Max Müller womöglich schon? – wieder in die Vollen. Da endet der Traum. Anders.

(8 Punkte)

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