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ASIA – Symfonia – Live In Bulgaria 2013 (2CD+DVD Digipak)

~ 2017 (Frontiers Records) – Stil: Bombast Rock ~


Liebe Brüder und Schwestern, wir haben uns heute um diese letzte Veröffentlichung versammelt, um nochmal Abschied zu nehmen von John Wetton – dem großartigen Sänger, Bassisten und Songwriter – der die Progwelt durch seine Teilnahme in verschiedensten Bandgefügen mit Klassikern der Musikgeschichte bereichert hat.

Nach KING CRIMSON, ROXY MUSIC, URIAH HEEP, UK oder WISHBONE ASH (er-)fand er seine lebenslängliche Liebe und eine der ersten Supergroups des Classic Rock: ASIA – den Bombaststern am AOR Himmel – mit dem YES-Gitarrenvirtuosen Steve Howe, der Drumlegende Carl Palmer von ELP und Geoffrey Downes (Keyboards – THE BUGGLES, ebenfalls YES), der ihn auch später bei Soloprojekten unterstützen sollte und mit dem ihn eine musikalisch produktive und privat gute Freundschaft verband.

Doch genug der Historie. Was hat der trauernde Musikliebhaber vom Nachlass der Legende – der eigentlich den größte Triumph darstellen sollte – zu erwarten? Die Messlatte lag nicht zuletzt durch die Ankündigung einer Zusammenarbeit mit Orchester sehr hoch, was besonders mich unglaublich angespannt die DVD mit zittrigen Händen ehrfurchtsvoll in den treuen Marantz legen ließ.

Jeglicher Zweifel wird Gott sei Dank sogleich eliminiert durch einen kraftvollen, motivierten und musikalisch erstklassigen Auftritt einer Besetzung, bei der leider Steve Howe durch den jungen (im Vergleich zum Rest der Band und auch mir) Sam Coulson vertreten wurde. Gerade bei diesem letzten Bild-und Tondokument hätte sich der Kreis natürlich im vollen Original-Lineup historisch geschlossen. Der Neuzugang ist technisch brillant, bekommt auch genug Spielräume für sich selbst, aber ‚ersetzen‘ kann man einen solch eigenständigen Charakter wie Steve Howe mit seinem unverkennbaren Gitarrenspiel leider nicht.

Einerlei, denn über allem thront die unverkennbare Stimme des Meisters himself, der auch schon Werke von PHENOMENA und AYREON durch sein Gastspiel veredelt hat. Immer noch powervoll und auch in den Höhen überzeugend, zeigen John Wetton, Geoff Downes in seiner Keyboardburg, Carl Palmer mit seinem klassischen Drumstil und Sam Coulson mit rockigen Solos, warum sich Nummern wie ‚Sole Survivor‘ und das fetzige ‚Time Again‘ vom Debüt, als auch die hymnischen ‚My Own Time‘ und ‚Open Your Eyes‘ vom Nachfolger ‚Alpha‘ für immer und ewig in den Gehirngängen das geneigten Fans festgefressen haben.

Doch, äh, halt – wo ist das Orchester? Freudestrahlend wird der sinfonische Verweigerer feststellen, dass die Band sich über die ersten vierzig Minuten (CD1) vorweg mit einer reinen mitreißenden Rockshow warmspielt, bei der auch neuere Titel – die mir persönlich auf Platte zu seicht erschienen – eine gute Figur machen und ein positives, lebensbejahendes Gefühl vermitteln.

Danach füllt sich also die großzügige Bühne des römischen Theaters in Plovdiv (CD2) und mit vereinten Kräften erschallen die Hits ‚Only Time Will Tell‘ und ‚Don’t Cry‘ vor altehrwürdiger Kulisse, wobei weiterhin treibender Rock dominiert, das Orchester liefert hauptsächlich die passenden Streicherparts. Ebendiese sind auch unverzichtbar bei den folgenden Kuschelsongs, für die John ein ganz besonderes Händchen hatte (wenn auch vor allem auf seinen Solowerken manchmal a touch too much) und verleihen zusammen mit dem restlichen Ensemble ‚The Smile Has Left Your Eyes‘ ein Finale mit Rumms. ‚Wildest Dreams‘ (bei dem nur der Kameramann weiß, wieso statt Carls Drumorgie ein bangender Sam zu sehen ist) und ‚Heat Of The Moment‘ bilden zu guter Letzt den Abschluss eines denkwürdigen Konzertes, welches so als Abschied nicht geplant war und deshalb mit knapp 80 Minuten einige Klassiker vermissen lässt.

Fazit: Ein würdiger Nachlass, der mich nur mit folgenden Fragen zurücklässt:
a) SYMFONIA – Orchester: nice to have, dennoch nur Begleitgegenstand statt neue Arrangements.
b) Wenn schon dieser Aufwand, wieso dann nicht mit einer längere Spielzeit und darüber hinaus?
c) Wenn schon ohne Steve Howe, wieso dann keine Songs von der ebenfalls brillanten dritten Scheibe ‚Astra‘ (damals mit Mandy Meyer von KROKUS, GOTTHARD & UNISONIC an der Klampfe)?
d) Die Hütte sollte für lautere Publikumsreaktionen gut gewesen sein – man muss es ja beim Mix nicht so übertreiben wie seinerzeit bei PRIEST ‚Live‘ – aber ich denke, vor Ort kam das Feeling bestimmt besser rüber, ansonsten wäre Schummeln erlaubt gewesen.

Dies alles kann mich jedoch nur zu einem Punkt Abzug bewegen, der andere geht für die teils übermotivierte, teils uninspirierte Kameraführung drauf. Aufgrund des tragischen, musikhistorischen Wertes dieses Werkes stocke ich allerdings auf unsere Wertung ‚essentiell‘ auf und schließe mit John Wettons Worten: „I’ll do what I want and I do it in my own time“.

YOUR time was way too short – but you did it! Goodbye and thank you for the music.

(9 Punkte)

originalasia.com
www.johnwetton.com