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IRON MAIDEN – The Book Of Souls

~ 2015 (Parlophone) – Stil: Heavy Metal ~


Respekt! Respekt vor der alten Jungfrau, die im vierzigsten Jahr ihres Bestehens ein neues Album herausgebracht hat. Respekt vor den Herrschaften, die in einem Alter, in dem andere vorzeitig die Rente beantragen, noch immer über den Globus jetten und auf den großen Bühnen dieser Welt ihren Mann stehen. Überraschenderweise ist das neue Werk ´The Book Of Souls´ ein Doppel-Album geworden. Dies entschädigt allemal für die heutzutage übliche, lange Dürreperiode zwischen den Werken, denn aus dieser Spieldauer hätten Plattenfirmen vor vierzig Jahren zweifellos drei Alben in drei Jahren kreiert.

Interessanterweise bringen IRON MAIDEN bereits seit Jahren immer längere Kompositionen auf den Markt. So läuft der Opener von ´The Book Of Souls´ namens ´If Eternity Should Fail´ ebenfalls über eine längere Distanz und weist – wie einige andere Songs ebenso – eine musikalische Einführung und einen abschließenden Teil auf. Hier mag das Intro an den Beschwörungstanz eines Schamanen erinnern, denn die Rauchschwaden und die klappernden Schlangen sind nicht fern. Dabei bedient sich zudem die Gitarre in den Strophen offensichtlich aus dem großen Fundus von RUSH zu ´A Show Of Hands´-Zeiten. Obwohl der Refrain („Reef in a sail at the edge of the world, if eternity should fail, waiting in line for the ending of time, if eternity should fail“) überzeugen kann, stellt sich bei dessen häufiger Wiederholung die Frage, ob dies einfach nur zur Liederweiterung so komponiert wurde. Andererseits nutzen solche Wiederholungen allen Ü50-Musikern wie auch -Fans, die dürfen schließlich nicht vergessen werden.

Das gesamte Album bietet ein durchgehend gutes Niveau und muss keine echten Ausfälle wie zuletzt beklagen. Dennoch gehören ´The Great Unknown´, das wie viele Songs der Band am Anfang und zum Ende hin von Steve Harris´ Bassspiel getragen wird, und ´Shadows Of The Valley´, eingangs ein Rip-Off von ´Wasted Years´, zu den farbloseren Gesellen. Eingängige aber ansprechende Songs und somit zukünftige Live-Aspiranten sind dagegen ´Tears Of A Clown´ und der kleine Ohrwurm ´Death Or Glory´. Obgleich ´Speed Of Light´, bei dem Bruce Dickinson eine neue Stimmfarbe einbringt („Shadows in the staaaars“), haargenau wie ein GUNS N´ ROSES- (also eigentlich AEROSMITH-Song) beginnt und ´Empire Of The Clouds´ eher bombastisch á la TEN aufspielt, so werden diese beiden Lieder allein durch Dickinsons Gesang zu echten MAIDEN-Songs. Und was bei jedem neuen TEN-Album früher jedes Mal auf der Tagesordnung stand, ist bei IRON MAIDEN dubioserweise nie ein großes Thema. Die Produktion von Kevin Shirley ist nämlich erneut so etwas von pappig, dass die Boxen erst rauchen müssen, bevor bei hoher Lautstärke Freude aufkommt.

Der Titelsong verwendet dann ausgiebig orientalische Einflüsse, wenngleich sich die Thematik des Songs um die Mayas dreht, so dass musikalisch leichte Erinnerungen an RAINBOW-Songs dieser Art und Weise aufkommen. ´When The River Runs Deep´ klingt auf jeden Fall so wie ein echter Maiden-Rocker zu klingen hat, wobei die mehrstimmigen Gesänge zwischendurch offenbaren, dass hier sogar ein Duett möglich gewesen wäre. Und erneut ruft das Publikum „da capo“, da die Refrains in Endlosschleife zu laufen scheinen, und Kai ruft: „Da capo da capo, Ruhm, Du tanzt Tango mit der Welt, jedes Lächeln bares Geld, es ist so geil, es ist so schnell, Küsse auf die Posterwand, Du bist die Königin im Popcornland“. Auf dem Thron der Königin im Popcornland sitzen IRON MAIDEN zwar bereits seit Jahrzehnten, aber ein Nachfolger auf ihre Regentschaft scheint nicht in Sicht. Obwohl sie nicht nur die Könige der Festivalsaison sind, sieht die Gruppe zur Umsetzung des Live-Faktors im Studio offensichtlich nur noch das Verwenden von ´Wohohohoho´-Gesängen vor. Diese Umsetzung des originären Maiden-Live-Erlebnisses wurde sogleich in drei Liedern, insbesondere völlig ausufernd in dem ansonsten sehr guten ´The Red And The Black´, vollzogen. Womöglich ersetzt es hier die fehlenden Textzeilen, da der Song erst am Ende zu seinem Höhepunkt findet, der ebenfalls RUSH-beseelt erscheint. Immerhin bietet das ausgedehnte Lied sehr viel Spielraum für die drei Gitarristen Adrian Smith, Dave Murray und Janick Gers, die sich alle ausgiebig präsentieren dürfen.

Diese Entwicklung von äußerst langen Songs gipfelt dieses Mal zum Album-Abschluss in dem fast zwanzigminütigen ´Empire Of The Clouds´. Das Lied ersetzt nun den Klassiker ´Rime Of The Ancient Mariner´ von 1984 als bis dato längsten Bandsong und startet erstmals mit Dickinson am Klavier eher gefühlvoll, entwickelt aber über die gesamte Distanz solch eine Energie und Entschlossenheit, dass fehlende Textzeilenwiederholungen nicht zu beklagen sind. IRON MAIDEN präsentieren mit ´Empire Of The Clouds´ nicht nur den kompositorischen Höhepunkt des Albums, sondern beweisen, dass all die langen Songs keinesfalls in Langeweile ausarten müssen. Interessant ist diese Entwicklung hin zu langen Liedern deshalb, weil die Band in einer Zeit begann, als der Punk den Prog Rock mit seinen überbordenden und endlos langen Kompositionen vorübergehend aus der musikalischen Landschaft warf. Nun, vierzig Jahre später, entwickelt sich die Band zu diesen Zeiten zurück. Lässt somit nicht nur ellenlange Kompositionen zu, sondern jegliche raue Attitude weicht den reichlich vorhandenen, progressiven Einflüssen in der voluminösen Beschaffenheit aller Songs.

´The Book Of Souls´ ist in seiner Gänze wohl das beste Werk in all den Jahren seit ´Seventh Son Of A Seventh Son´ geworden. Chapeau!

(Big 8 Points)

Michael Haifl

 

 

Up The Irons! The Maidens are back und Bruce Dickinsons unbändige Energie ist echt bewundernswert. Nachdem er seinem Krebs die kalte Schulter gezeigt und ihn überwunden hat, geht es auch gleich wieder auf zu neuen Taten. Nicht nur das neue Album hat Mr. Dickinson eingesungen, sondern einen Flugschein für eine dreimotorige Maschine gemacht, damit er nächstes Jahr mit der neuen, größeren ´Ed Force One´, einer Boeing 747-400, die ca. 90000 Kilometer zurücklegen kann. Vor zwei Wochen hat er noch flugs vor dem Release einige Fans sowie Gewinner eines Contests von Cardiff nach Paris geflogen, um gemeinsam an einer exklusiven Listening-Session teilzunehmen. Dickinson ist auf jeden Fall ein echtes Vorbild, ein Workaholic, ein Showman – alles in einem.

Elf Songs enthält das Album – und mit über 18 Minuten ist ´Empire Of The Clouds´ einer der längsten Songs, ansonsten unterschreitet kein Song die Vier-Minuten-Marke. Somit ist ´The Book Of Souls´ das allererste Studio-Doppel-Album der Band geworden und enthält natürlich die erste Single-Auskoppelung ´Speed Of Light´, die vom Anfang her stark an eine G´N´R oder aber auch MÖTLEY CRÜE-Nummer erinnert. ´Shadow Of The Valley´ klingt dagegen von den Gitarren her nach ´Wasted Years´ nur etwas langsamer. Vom Feeling her erinnert es sogar etwas an die Blaze Bayley-Zeiten und ist vielleicht aus den damaligen Sessions übrig gebelieben. Gut denkbar, denn er wurde von Gers/Harris geschrieben. Was im Allgemeinen die drei Gitarren der Band betrifft, so kommen diese nur hier und da mal zum Vorschein. Das Album hätte übrigens auch deutlich kürzer sein können, wenn die weit ausgedehnten Soli etwas zusammengekürzt worden wären, obwohl diese natürlich von der Band so gewollt sind. Dennoch war wohl das progressivste von IRON MAIDEN bis dato die ´A Matter Of Live And Death´-Platte. Bei genauerem Hören erinnert dann ´Tears Of A Clown´ hier und da etwas an die Solo-Platten von Bruce Dickinson. Es ist jedoch ein nachdenklicher Song, den Bruce als Nachruf zum Tod von Schauspieler Robin Williams geschrieben hat, obwohl bei ´Tears Of A Clown´ – als kleines Wortspiel – natürlich ´Tears Of The Dragon´ herüberwinkt.

Die neue Platte der Eisernen wurde wie zuletzt von Kevin Shirley produziert und gemixt sowie von Mastermind Steve Harris co-produziert. Zur Produktion sollte erwähnt werden, dass diese dumpf und daher auf Grund des Sounds nicht so ansprechend klingt. Außerdem hört man, dass Bruce Dickinsons Stimme gealtert ist, dies schadet aber keinesfalls seiner Performance. Seine Stimme wurde zudem weit nach vorne gemischt – während die Drums eher dumpf, weit im Hintergrund ihr Unwesen treiben.

Natürlich wurde vorgesorgt und einige Chöre zum Mitsingen bei der Live-Präsentation berücksichtigt. Flight 666 lässt grüßen! You`re sh** … and you know you are! Auf zu neuen Horizonten. Let the Eagle fly!

(6,5 Punkte)

Susi Rocketqueen Müller

 

 

Als einzige der ganz großen Metalbands haben es IRON MAIDEN geschafft, bis zum heutigen Tage kreativ und damit künstlerisch relevant zu bleiben. Auf jeder (ja, jeder!) Scheibe fanden sich nach eingehender Beschäftigung genügend erinnerungswürdige Songs, die Steve Harris & Co. wohltuend von all den Weggefährten abhoben, die sich zielsicher in die Selbstplagiats-Sackgasse manövrierten. Das vielerorts zu Unrecht abgekanzelte ‚The Final Frontier‘-Album von 2010 bildete mit Schmuckstücken wie ‚The Alchemist‘ oder ‚When The Wild Wind Blows‘ keine Ausnahme.

Und zum 40-jährigen Bandjubiläum nun also ein Doppelalbum. Elf Songs, 92 Minuten und trotzdem verhältnismäßig wenig Leerlauf. Nach einem halben Dutzend Durchgänge lässt sich ‚Book Of Souls‘ durchaus auf eine Stufe mit dem 2000er-Dickinson-Comeback ‚Brave New World‘ stellen. Die Gründe:

  • ‚If Eternity Should Fail‘: Das in seinem gemäßigten Galopp zeitweise an die zweite Hälfte von ‚Hallowed Be Thy Name‘ erinnernde Stück ist der beste Albumeröffner seit ‚The Wicker Man‘ und war eigentlich für ein Dickinson-Soloalbum vorgesehen. Textlich ließ sich unser Zungenakrobat vom Marvel-Comic „Dr. Strange gegen Mephisto“ inspirieren, was speziell in der gesprochenen Coda offenbar wird („Good Day, My Name Is Necropolis“).
  • ‚Death Or Glory‘: Die Startnummer der zweiten Scheibe ist ein umgehend stimmungshebener Adrian-Smith-Fetzer, der wohlige Gefühle an Evergreens wie ‚Aces High‘ oder ‚The Trooper‘ weckt und live sofort zünden wird.
  • ‚Tears Of A Clown‘: Die Smith/Harris-Hommage an Schauspieler Robin Williams, der seine Depressionen nicht besiegen konnte („Maybe it’s all just for the best / Lay his weary head to rest / Was forever feeling drowned / Tears of a clown“), hat nicht zuletzt durch seine Maiden-untypischen Breaks einen leichten QUEENSRYCHE-Touch, was eine formidable Mischung ergibt. Äußerst eingängig, aber niemals einfältig.
  • ‚The Man Of Sorrows‘: Die Kollaboration der beiden Urgesteine Harris/Dave Murray hat das Zeug zum Grower. Elegische Einleitung, interessante Rhythmusverschiebungen und synthiegestützte Stimmungswechsel. Nirgendwo sonst auf dem Album tritt der Prog-Anspruch der Jungfrauen deutlicher zutage als in diesem Stück. Zu DREAM THEATER (in deren besseren Zeiten) ist es hier nur ein kleiner Schritt.
  • ‚Empire Of The Clouds‘: Jawoll, das mit 18 Minuten (und einer Sekunde) längste MAIDEN-Opus der Bandgeschichte, rechtfertigt die Vorschusslorbeeren und zeigt die Band in einem neuen, orchestralen Gewand. Von einem einprägsamen Klavierthema eingeklammert erzählt Aviator Dickinson die Geschichte der englischen R101, des größten Luftschiffs seiner Zeit, das mit seinem Absturz beim Jungfernflug 1930 als „Titanic der Lüfte“ in die Geschichte einging. Dramatisch anschwellend, unter Sirenengesang in Turbulenzen geratend, dissonant abschmierend und schließlich reumütig den eigenen Größenwahn erkennend – ganz großes Kopfkino, was Dickinson und IRON MAIDEN hier gedreht haben.

Auch der Rest des Albums hat seine Momente. Die „Woohohwoho“-Chöre bei ‚The Red And The Black‘ sind ohrenscheinlich für die Bühne geschrieben, ‚Speed Of Light‘ verdient sich seine Daseinsberechtigung durch den rockigen Ansatz, der die Nummer in den ersten Takten tatsächlich wie eine Slash & Rose-Chose daherkommen lässt.

Als Kandidaten für die Skip-Taste drängen sich lediglich die allzu konventionell gestrickten ‚The Great Unknown‘ und ‚Shadows Of The Valley‘ auf; ein kleines Minus gibt’s auch für Dickinsons notorische Versuche, mit seiner Stimme immer noch die höchsten Höhen erklimmen zu wollen, was in den meisten Fällen doch arg gepresst klingt.

Sei’s drum. Unterm Strich ist das Buch der Seelen ein prächtiges neues Segel fürs Szene-Flaggschiff. Mögen uns IRON MAIDEN in dieser Frische und Schaffenskraft noch viele Jahre erhalten bleiben.

(satte 8 Punkte – in Relation zum Gesamtwerk)

Ludwig Krammer

 

 

Ein Doppelalbum muss es also zum Vierzigsten sein!? Hat die Band nicht schon zu genüge Maßstäbe gesetzt? Müssen IRON MAIDEN auch hier in diesem Fall protzen?

Die Ankündigung eines Doppelalbums führte bei mir zu Bauchkrämpfen, kann ich mich doch bis zum heutigen Tag nicht mit den drei letzten Studioalben anfreunden. Alles wirkte bei diesen Alben aufgesetzt, teils ausgelaugt und wenig innovativ. Was also soll `The Book Of Souls` anders machen? Überraschend viel – und dennoch will der letzte Euphoriefunke nicht wirklich überspringen. Hier will sich allem Anschein nach eine Band das ultimative Denkmal setzen und nimmt sich dabei jegliche musikalische Freiheit, die in ihrem Fall ohne anzuecken möglich ist. Oder war es der Drang, aller Welt zu zeigen, wir machen was wir wollen und selbst das verkauft sich wie geschnitten Brot? Und das tut es ja, wie man sieht …

Wäre das Album vielleicht nur halb so lang und hätte nur die Highlights darauf (und im Falle von Harris bin ich mir sicher, dass er weiß, welche Songs Ober- bzw. Mittel- und Unterklasse sind) – `The Book Of Souls` wäre eines der mächtigsten Alben der Nach-Achtziger-Phase. So muss sich der Hörer durch viel zu viel Mittelmaß hören, was natürlich immer noch besser ist, als das, was andere große Bands heutzutage abzuliefern.

Irgendwie zeigen sich jedoch recht schnell Verschleißerscheinungen. Zuviel von allem, was auf dem Album passiert, hat der Hörer bereits auf anderen IRON-MAIDEN-Scheiben gehört. Was überhaupt nicht geht, ist der Monumentaltrack `Empire Of The Clouds`. Beginnend mit Klavier und Dickinsons Gesang, steigert er sich zwar über die Länge bis zum triumphalen Ende hin zu einer eher typischen IRON-MAIDEN-Nummer, innovativ geht trotzdem anders. Das ist für mich pure Langweile. So richtig warm werde ich auch mit dem ziemlich verproggten `The Man Of Sorrows` nicht. Wobei die von Herrn Krammer erwähnten Parallelen zu DREAM THEATER nicht von der Hand zuweisen sind. Vielleicht reift der Track mit der Zeit. Dennoch, für einen MAIDEN Song ist mir das zu verkünstelt. Vielleicht bin ich zu banal gestrickt, aber die eher simplen, galoppierenden, von Bassläufen dominierten Songs, wie sie üblicherweise von IRON MAIDEN in Szene gesetzt werden, sind die Tracks, mit denen ich noch am meisten Spaß habe. `Death Or Glory`, `Speed Of Light` sowie `The Red And The Black` sind hier speziell hervorzuheben.

`The Book Of Souls`, das will ich nicht ausschließen, insofern ich es noch öfter höre, könnte wachsen. Aber mal ehrlich, warum soll ich typische IRON MAIDEN-Rhythmen, -Riffs oder Harris-Bassläufe (welche den MAIDEN-Sound seit den Achtziger prägen) auf einem Album hören, das nicht im geringsten an die alten Glanztaten anschließen kann? (Das frage ich mich weit mehr bei all den abgefeierten aktuellen Alben von MOTÖRHEAD, JUDAS PRIEST, SLAYER, W.A.S.P. und vor allem AC/DC, da bildet dieses Album eine große Ausnahme – Anm. Haifl) Da greife ich in diesem Fall lieber auf die Klassiker zurück.

(6,5 Punkte)

Jürgen Tschamler