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YES – Heaven & Earth

2014 (Frontiers Records) – Stil: Melodic-Rock


Das einundzwanzigste Studioalbum der Legende YES bot von Beginn an keine bestmöglichen Umstände für ein dem Bandnamen alle Ehre machendes Werk. „Is there a vision here“, lautet gleich zu Beginn eine Songzeile, doch selbst diese einfache Frage kann bis zum letzten Ton nicht mit Gewissheit beantwortet werden.

`Heaven & Earth` wurde zwar vom Großmeister an den Knöpfchen Roy Thomas Baker und dem ehemaligen Bandmitglied Billy Sherwood produziert sowie gemischt, doch weder von einer authentisch warmen old-school Produktion noch von einer guten modernen Heldentat kann hier in dieser Hinsicht gesprochen werden. Von großen Heldentaten wird bei vorliegendem Songmaterial in Zukunft ebenfalls nicht gesprochen werden können, außer der Hörer ist eine seltene Ausnahme und favorisiert Band Werke wie `Open Your Eyes` (1997) und `Talk` (1994), wobei sich das Songniveau etwas besser als auf dem poppigen Tiefpunkt des erstgenannten Werkes präsentiert.

Merkwürdig ist zuallererst, dass der neue Sänger Jon Davison (GLASS HAMMER), der hier erstmals auf einem Studioalbum vertreten ist, bei fast allen Liedern, mindestens auf der lyrischen Seite, songwriterisch involviert war. Es stellt sich die Frage, wieso eine Band mit solch einer Erfahrung und solch ehemals hochklassigen Songwritern auf das Potential ihres auch altersmäßig jungen Mitstreiters zurückgreifen muss. Sänger Jon Davison macht seine Sache immerhin unzweifelhaft gut und wäre auch bei entsprechend proggigem Material der richtige Mann auf der ureigenen Stelle eines Jon Anderson gewesen. Interessant wäre ferner zu erfahren, ob Davison sogar an der Akustik-Gitarre seinen Gitarristen Steve Howe entlastet hat, denn die Ideenschöpfung im Songbereich von Howe sowie Chris Squire (Bass) greift hier oftmals ins Leere und der langjährige Supporter ist von einer weiteren Erkenntnis schockiert, dass vorliegende Songs teilweise für ein Soloalbum von Squire vor fast zehn Jahren vorgesehen waren. Wenn den Herren Musikern im betagten Alter keine neuen brauchbaren Ideen einfallen, sollten sie nicht den Namen der Legende verhunzen. Das Dasein auf diesem Niveau sollte sich lieber auf die fortwährenden Anniversary-Tours, sei es zu Land oder im allerpeinlichen Schildbürgertum zu Wasser, konzentrieren.

Mit ´Believe Again´, einer von Davison und Howe komponierten Nummer, will sich die Band gleich zu Beginn etwas progressiv, augenscheinlich leicht verschachtelt, präsentieren, erreicht diesen Versuch einer progressiven Nummer tatsächlich aber erst im Abschluss-Song `Subway Walls`. Es folgt sogleich mit `The Game` ein Pop-Liedchen aus den angesprochenen alten Sessions, das aufgrund seiner – je nach Geschmack – grauenhaften bzw. direkt ansprechenden Backgroundchören seine besondere Note erhält. Eine erneute Davison/Howe-Komposition (`Step Beyond`) wäre nicht zu verachten, würde sie nicht zu sehr von billigen Keyboard-Klängen verhunzt werden. Die Keyboards haben im gesamten Album bewusst ihren teils esoterischen Klang behalten, über die Jon Anderson, pardon, Jon Davison sein markantes Organ einfühlsam in gewohnt hohen Lagen legen kann. Gerade hier stellt sich die Frage, ob Geoff Downes (ASIA) der richtige Mann für die Besetzung an den Tasteninstrumenten ist, tönen die Keyboards in `Step Beyond` doch eher nach einem Kleinkinder-Plastik-Lern-Computer. Die Ballade ´To Ascend´ entschädigt hernach zumindest etwas („On a wing and a prayer, a wounded bird in the hand, with the eyes of a child, come to understand, I will open the book, raise the pen, let it reinvent, my life again, take me from where I am, as a free bird, flies from the hand, to ascend, to ascend“), während `In A World Of Our Own` mehr beatleesk altmodisch nach JELLYFISH oder FOOL´S GARDEN klingt als nach einer Prog-Formation. Über den Wolken schwebend kann Jon Davison seine komplette Eigenkomposition ´Light Of The Ages´ vortragen. Das Gitarrengenie Howe spielt in seiner Kreation `It Was All We Knew` so frei auf, das die Melodie mitgesummt werden kann, inklusive eines `Starship Trooper`-Einschubs. Diese leichte Kost findet, endlich ist auch einmal ein Chris Squire präsent zu hören, zumindest im Abschluss-Song `Subway Walls` ihr Ende.

Der Alt-Fan wird sich `Heaven & Earth` ohnehin ungehört zulegen, falls er sich nicht schon vor Jahren mit Grausen abgewandt hat – immerhin ein schönes Album für den vorbehaltlosen Supporter.

Die Legende YES lebt, aber unter äußerst fragwürdigen Umständen, leider weiter.

(6 Punkte)