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TORI AMOS – Unrepentant Geraldines

2014 (Mercury Classics) – Stil: Piano-Songwriterin


Vor über zweiundzwanzig Jahren stand hier noch kein Baumhaus. An eine ´Galerina Sulcicep´-Suppe war noch lange nicht zu denken und so trug sich folgende kleine Geschichte zu:

Es war an einem ganz gewöhnlichen Frühlingstag, als ein Freund seinen Geburtstag feierte. Zur Unterstützung musste selbstredend ein kleines Handgepäck, nein, kein Hanfgebäck, voller Silberlinge eingepackt werden, um die musikalische Hintergrundbeschallung der Feier in vordergründigen Musikgenuss zu verwandeln. So zogen wir also mit allerlei Getränken bewaffnet in den Ort der Feierlichkeit ein; in einer Hand jedoch mit einer kaum hoch zu hebenden schweren Reisetasche. Im Kellerraum waren zwar einige Poster von nicht gerade unbekannten Gruppen und Musikern angebracht, doch unser junger und trainierter Blick fiel sogleich mit gierigen Augen auf den überdimensionalen Starschnitt von DORO, die lächelnd ihr strahlendes Gesicht und ihre nicht originalgetreu überproportionierte Oberweite uns entgegen streckte. Die Metal-Queen war nicht nur in diesem Hause ein Favorit aus der weiblichen Damenwelt des damaligen Musikgeschehens. Doch die Poster wurden nicht weiter beachtet, galt es doch die schwere Reisetasche von innen nach außen zu kehren, so dass die Beschallung der Gäste annehmbar beginnen konnte. Zu später Stunde, die Dunkelheit hatte ihren Zenit für diese Nacht schon längst überschritten, wurden die aktuellen Schmuckstücke aus der Silberling-Sammlung hervor gezogen und aufgelegt. Ein Silberling entsprang so gar nicht dem metallenen Bereich, wurde aber unverfroren – wie so oft bei brillanten Ausnahmeerscheinungen – einfach aufgelegt: “ … all the way to New York, I can feel the distance getting close, you’re right next to me but I need an airplane I can feel the distance as you breathe … sometimes I think you want me to touch you, how can I when you build the great wall around you? In your eyes I saw a future together, you just look away in the distance …!“- Der Gastgeber war restlos begeistert und vollkommen berührt, die Dame an der Wand schien ganz vergessen. Der Gesang war voller Emotionen und vollständiger Hingabe. Noch nie zuvor konnte man solche Gefühle aus einer Stimme vernehmen, geradezu fühlen. Klavier und Gesang schienen förmlich auf jeden Hörer hinüber zu strömen. Die neue Queen, zum tagtäglichen anhimmeln, hieß von nun an TORI AMOS. Von den Kindern, die man in der Zukunft zeugen und gebären würde, sollte das erstgeborene Mädchen auf jeden Fall Tori heißen.

Nun schreiben wir das Jahr 2014 … und TORI AMOS hat nach einigen klassischen Ausflügen – mit der Werkschau `Gold Dust` sowie dem (wundervollen und empfehlenswerten) Weihnachtsalbum `Midwinter Graces` – wieder zu sich selbst gefunden, so zumindest ihre eigene Aussage im Vorfeld der Veröffentlichung von ` Unrepentant Geraldines`.

Eine fast gänzliche Zustimmung zu diesem Bekenntnis fällt nicht schwer, obwohl der Verfasser dieser Zeilen anzweifelt, dass der Hörer dieselbe innige Beziehung und Verbindung wie zu `Little Earthquakes´ oder auch `Under The Pink` aufbauen wird. Zwar hat TORI auch diesmal wieder vierzehn Lieder auf diesem Tonträger verewigt – was mögliches minderwertiges Material nicht ausschließt, denn zu oft gab es im Laufe der Jahre auch bei ihr zeitlich viel zu lange Veröffentlichungen – doch diesmal bleibt die Spielzeit knapp unter einer Stunde.

Gleich zur Eröffnung erlebt der Hörer im Song `America` eine TORI AMOS in ihrer melancholisch und ergreifenden Art und Weise, dass es eine wahre Freude ist. `Trouble´s Lament´ legt hernach sofort einen tollen Groove vor, während das etwas schwächere ´Wild Way´ durch ´Wedding Day´ eine sofortige Wiedergutmachung erfährt. Etwas elektronischer, aber trotzdem brillant wird es in ´16 Shades Of Grey´. Bei `Promise` singt TORI dann ein wunderbares Duett mit ihrer Tochter Tash, legt in der ersten Zeile der Strophen von `Maids Of Elfen-Mere` eine 1a KATE BUSH Performance hin und offenbart mit `Oysters` und auch `Selkie` solch opulente, aber doch gleichzeitig intime Klaviervorträge – geradewegs zum verlieben. Letztlich sollte nicht nur der Titeltrack, sondern vielmehr noch der Abschluss-Song `Invisible Boy´ als herausragendes Material auf diesem Werk gepriesen werden.

Auch nach so vielen Jahren kann TORI AMOS allein mit ihrer Stimme und ihrem Klavieranschlag restlos begeistern … auch wenn alle Poster mittlerweile abgehangen wurden … auch wenn sie mittlerweile mit diversen Brillen auf den Fotos posiert und der Name Tori noch immer nicht auf den Jahreslisten der beliebtesten Vornamen erscheint …

TORI AMOS ist und bleibt eine Ausnahmekünstlerin.

(8 Punkte)