~ 2021 (Gearbox Records) – Stil: Jazz ~


DON CHERRY, Jahrgang 1936 und 1995 verstorben, dessen Werk als erschlossen gilt und schon reichlich Lobeshymnen erhielt, erweitert sein Oeuvre posthum mit ´Cherry Jam´. Dazu gleich mehr. Erst zur Person: CHERRY ist eine der Jazz-Ikonen; er ist Mitbegründer des Free Jazz. Ohne ihn wäre die Welt ärmer an guter Musik. Er hat alle heute über den Dingen schwebenden Jazzer der goldenen 1960er beeinflusst. Er war der wichtige Nebentrompeter (Sideman) für ORNETTE COLEMAN auf dem wegweisenden ´The Shape Of Jazz To Come´ (1959). Neben dem ORNETTE COLEMAN-Quartett musizierte er mit vielen Jazz-Größen seiner Zeit, darunter John Coltrane, Albert Ayler, George Russell und Sonny Rollins. Als Grenzgänger der Genres zeigte er allen seinen Fuck You-Finger, er tat immer das, was er gerade wollte. Bis zuletzt war es das, was ihn antrieb – eine Art Freiheits- und Friedensbotschafter zu sein.

So verband er Jazz und Weltmusik, er gilt als der World-Fusion-Pionier. Weil die Welt sein Zuhause war, kein Kontinent sich beschweren konnte, dass er zu wenig zu Besuch kam, nannten die Tageszeitungen ihn in den 1970ern den „Musical Marco Polo“. Ach ja, seine (Stief)kinder können auch was – sie sind nur näher am Pop als ihr Altvorderer. Namentlich: NENEH CHERRY (´Buffalo Stance´, ´7 Seconds´ mit YOUSSOU N’DOUR) und EAGLE-EYE CHERRY (´Save Tonight´).

Jetzt zu ´Cherry Jam´. Es ist, wie der Name schon sagt, eher eine Skizze als ein durchdachtes Album. ´Cherry Jam´ entstand sozusagen im Vorbeigehen. Lang, lang ist es her. Im Oktober 1965 war DON CHERRY in Kopenhagen beruflich unterwegs, wollte noch eine Geliebte für ein paar Tage besuchen, da packte ihn, den großen Trompeter, der schon MILES DAVIS zu Höchstleistungen antrieb, so richtig die Muse. Konkret?

Der Freigeist und Free Jazzer spielte drei neue Kompositionen und einen bereits bekannten Song bei einer Radiosession für den dänischen Sender „Danmarks Radio“ in Kopenhagen ein. Weil kein gewohntes Personal zugegen war, griff CHERRY, der Experimente ohnehin liebte und zu nutzen wusste, kurzerhand zu lokalen Größen. Die Szene war damals schon gut vernetzt, CHERRY schätzte die nordischen Homies. Seine Band für den Abend bestand aus Pianist Atli Bjørn, Tenorsaxophonist Mogens Bollerup, Bassist Benny Nielsen und Drummer Simon Koppel.

Auf der Setlist – gerade mal vier Songs. ´The Ambassador From Greenland´ ist ein stürmisches Stück aus der Zeit, als CHERRY schon als Teenager die Trompete gekonnt quälte, zugleich damit zu verzaubern wusste. Dann kommt ´You Took Advantage Of Me´, ein Cover, im Original eine gefühlsduselige Ballade von Richard Rodgers. Hier eine schöne, schnulzfreie Sache. ´Priceless´ ist ein druckvolles Jazz-Stück aus seiner unerschöpflichen Kreativkiste, während ´Nigeria´ klar nach dem späteren Weltmusik-Bombast der 1970er klingt, getragen von Afro-kubanischen Rhythmen und treibendem Swing.

Wer CHERRYS Werk schätzt, kann hier nichts falsch machen. Angenehmes Album, quick’n’dirty, mit sanften Momenten. Hinweis: Wer zum Vinyl greift, erhält 45 rpm, Monoaufnahme (siehe Cover).

(7,5 Punkte)


(VÖ: 26.02.2021)