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ALICE COOPER – Detroit Stories

~ 2021 (earMUSIC/Edel) – Stil: Rock ~


Alice Cooper feiert seine Heimatstadt, seine Detroit Rock City. Er gedenkt der Zeiten, in denen der Rock noch wild und revolutionär war. Der wütende Rock wurde schließlich laut Mr. Shockrock in Detroit geboren: „Im Eastown zum Beispiel konnte man an einem Abend Alice Cooper, Ted Nugent, THE STOOGES und THE WHO sehen, und das alles für 4$! Dann am nächsten Wochenende im Grande standen MC5, BROWNSVILLE STATION und FLEETWOOD MAC auf der Bühne, oder auch SAVOY BROWN und die SMALL FACES. Als Soft-Rock-Band hatte man da echt nichts verloren. Los Angeles hatte einen eigenen Sound mit THE DOORS, LOVE und BUFFALO SPRINGFIELD ”, ergänzt er. „In San Francisco gab es THE GRATEFUL DEAD und JEFFERSON AIRPLANE, in New York THE RASCALS und THE VELVET UNDERGROUND. Aber in Detroit wurde wütender Hard Rock geboren. Alice Cooper mit dem gitarren-lastigen Hard-Rock-Sound und der krassen Bühnenshow hat einfach nirgendwo in den USA reingepasst, weder musikalisch noch imagetechnisch. Detroit war der einzige Ort, an dem Außenseiter wie wir reinpassten. Und als die Leute noch rausfanden, dass ich im Osten von Detroit geboren wurde… waren wir zu Hause angekommen.

Mitte der Sechzigerjahre war Detroit das Pflaster für den Garage Rock von THE UNDERDOGS und THE FUGITIVES, von THE LORDS (mit Ted Nugent), THE PLEASURE SEEKERS (mit Suzi Quatro) sowie FOUR OF US und THE MUSHROOMS (jeweils mit Glenn Frey). Gegen Ende des Jahrzehnts setzten dann MC5 und THE STOOGES das Fundament für Punk und Hardrock der nachfolgenden Siebzigerjahre. Neben Alice Cooper standen THE AMBOY DUKES (mit Ted Nugent), THE BOB SEGER SYSTEM, FRIJID PINK, THE FROST (mit Dick Wagner) und POPCORN BLIZZARD (mit Meat Loaf) im Scheinwerferlicht. Auch „America’s only Rock ’n‘ Roll Magazine“ Creem wurde in Detroit gegründet und prägte als erstes die Wörter „Punkrock“ und „Heavy Metal“.

Spätestens im Jahre 1971 erfasste die ALICE COOPER-Band eine weltweite Popularität, erst wurde ´I’m Eighteen´ zur Hit-Single, dann erreichte sie den nächsten Höhepunkt mit dem 1973er Studioalbum ´Billion Dollar Babies´. Doch Vincent Damon Furnier, so Alices bürgerlicher Name, trennte sich 1975 von seiner Band und übernahm den Namen für sich als Musiker und als Künstler. Die Wege des Alice Cooper kreuzten fortan, in den Jahrzehnten hernach, nicht nur Hardrock und Glam Metal, sondern Anfang des neuen Jahrtausends auch etwas Industrial.

 

 

Da unterdessen viele andere Musiker den ursprünglichen Sound aus Detroit zum wiederholten Male in die Welt getragen haben, begann Alice Cooper bereits mit den Alben ´The Eyes Of Alice Cooper´ (2003) und ´Dirty Diamonds´ (2005) sich seiner Wurzeln aus den 60s und 70s zu besinnen. Jetzt setzt er mit ´Detroit Stories´ seiner Heimatstadt ein musikalisches Denkmal.

Alice Cooper ging mit Bob Ezrin – Produzentenlegende, Keyboarder auf Alice Coopers 1971er ´Love It To Death und Produzent der frühen Classics ´Killer´ (1971), ´School’s Out´ (1972) und ´Billion Dollar Babies´ (1973) – in ein Detroiter Studio und kreierte gemeinsam mit vielen Kult-Musikern aus Detroit diese Hommage. Ein nostalgischer Trip in die 60s und 70s erweist sich als Ehrerbietung vor den Golden Days von Detroit.

Denn 50 Jahre später ist jedenfalls in kaum einem Bereich der City von Detroit noch irgendetwas von den Golden Days zu spüren. Die einstige Vorzeigemetropole ist nicht mehr wiederzuerkennen. Die Angst vor einer Geisterstadt umweht die Mega-City mit ihren einst 1,85 Millionen Einwohnern, von denen durch immense Arbeitsplatzverluste in den vergangenen Jahrzehnten 60% Detroit den Rücken zugekehrt haben. 2013 musste Detroit gar Insolvenz anmelden.

Derweil der wütende Rock oder Hardrock schon längst seine Zähne verloren und es sich in einem wehmütigen Retro-Bett gemütlich gemacht hat, gedenkt Alice Cooper von Neuem den frühen Tagen dieser ehemaligen Rock-City. Genauso wie die Stadt Detroit verspürt der Rock’n’Roll in der Gegenwart eine gewisse Leere. Doch Cooper wirbelt nochmals in diesen wilden und diesen revolutionären Zeiten des Rock den Staub auf. ´Detroit Stories´ verschafft der Vergangenheit ein vielleicht letztes Mal den ihr zustehenden Glanz.

Der Besuch in einer Stadt wie Detroit startet selbstredend beim Rock’n’Roll. Seit Jenny fünf Jahre alt war, erzählt uns Alice, hört sie Radio und dann kommt dieser Rock’n’Roll. Doch eigentlich hat einst Lou Reed den ´Rock’n’Roll´ besungen. Daher überrascht diese VELVET UNDERGROUND-Coverversion als Eröffnungsstück für Detroit, bei der Garret Bielaniec, Joe Bonamassa und Steve Hunter – der auf fünf Alice-Alben in den 70s und auf Lou Reeds ´Berlin´ zu hören ist – die Gitarren bedienen. Damals waren die Zeiten noch in Ordnung. Gerade aus dem Knast gekommen, geht es in der Eigenkomposition ´Go Man Go´ schon in die Nacht dieser legendären City. Neben den Alice-Langzeitgefährten Garret Bielaniec und Tommy Henriksen (HOLLYWOOD VAMPIRES, WAR & PEACE) sorgen Wayne Kramer von MC5 und Mark Farner von GRAND FUNK RAILROAD für unaufhaltsames Rock-Gebläse.

Eine fröhliche Pre-Punk/Power-Pop-Hymne ist ´Our Love Will Change The World´. Den 70s-Rocker ´Social Debris´ hat Alice mit Schlagzeuger Neal Smith komponiert. Als Gäste an der Gitarre begrüßt Alice Rick Tedesco und seinen alten Weggefährten Michael Bruce, der bis Mitte der Siebzigerjahre und im letzten Jahrzehnt wieder mit Cooper musizierte. Fette Rocker mit Rock’n’Roll-Vibe nennen sich ´Hail Mary´ und ´Independence Dave´. Laut und hart besingt Alice die ´Detroit City 2021´: „Me and Iggy were giggin’ with Ziggy and kickin’ with the MC5, Ted and Seger were burnin’ with the fever, and Suzi Q was sharp as a knife. The kid was in his crib, Shady wore a bib, and the Posse wasn’t even alive, shock rock, choppin’ block, songs to make your heart stop, shove it into overdrive.

Für den Blues von ´Drunk And In Love´ sind Joe Bonamassa und Garret Beilaniec die richtige Besetzung an den Gitarren. Mit „Shoo doowop, shoo doowop, ooh“ und Bläsern wird es dagegen in ´$1000 High Heel Shoes´ ziemlich teuer. ´I Hate You´ erfreut mit dem abwechselnden Gesang von Alice, Neal Smith, Michael Bruce und Dennis Dunaway, der Original-Bassist der ALICE COOPER-Band, und ihrem jeweiligen Slang. Ohne Melancholie bebt die ´Wonderful World´: „It could be a wonderful world, if all of you could only see, it would be a wonderful world, if everyone was just like me. It could be a wonderful world, if everyone could only see, it would be a wonderful world, if all of you were just like me (just like me).“ Dass wir alle auf der Welt Brüder sind und sich niemand allein oder verlassen fühlen soll, thematisiert ´Hanging On By A Thread (Don’t Give Up)´. Selbstmord ist kein Ausweg – und so spendet Alice zum Songabschluss direkte Hilfe: „This is Alice Cooper in Detroit…Let’s keep fighting, don’t give up. Call the Suicide Prevention Hotline 1-800-273-8255.

´Sister Anne´ führt zurück ins Jahr 1971 und war ursprünglich der Opener des zweiten und letzten Studioalbums von MC5, natürlich mit Wayne Kramer an der Gitarre. Alice Cooper nimmt in ´Shut Up And Rock´ und ohnehin kein Blatt vor den Mund: „Don’t want to hear about your politics…hear about it every day, or all the talk about what makes you tick…don’t care anyway. It ain’t about your body or your face.  Baby, they’re way ok! Just shut up and rock. Oh, shut up and rock. Please, shut up and rock. Why can’t you just shut up and rock.“ Alles authentische Songs. Selbst die drei alten Fremdkompositionen stechen aus dieser breiten Songsammlung nicht heraus, so wie das, den Abschluss des Albums bildende ´East Side Story´, eine frühe Bob Seger-Single, die ursprünglich für THE UNDERDOGS komponiert war, aber von Seger für THE LAST HEARD genutzt wurde.

Those were the days. Das waren und sind die ´Detroit Stories´ – von Vincent Damon Furnier für Alice Cooper, von Detroit und für Detroit. Und sie waren großartig, diese Zeiten.

(8 Punkte)

 

https://www.facebook.com/AliceCooper/


Pic: Jenny Risher
(VÖ: 26.02.2021)