MeilensteineVergessene Juwelen

REINHARD MEY – Wie vor Jahr und Tag

~ 1974 (Intercord) – Stil: Liedermacher ~


Einer der bekanntesten Liedermacher aus deutschen Landen schwamm in den Siebzigerjahren auf einer Welle des Erfolges, die sowohl Bewunderer als auch Neider auf den Plan rief. Dass Reinhard Mey diese, ihm oft vorauseilende Missgunst in seinen Kompositionen verarbeitet hat, ist aus seiner Liedern herauszuhören. Sein fünftes Studioalbum ´Mein achtel Lorbeerblatt´ hatte etwa mit dem Titelsong und ´Bevor ich mit den Wölfen heule´ dementsprechende Kompositionen zu bieten. Mit dem Nachfolger ´Wie vor Jahr und Tag´ schloss er lückenlos an, auch in Sachen Qualität. Obwohl es zum Werkausklang so klingt, als wolle er all diesem Ärger aus dem Weg gehen und seinen Abschied einreichen: „Die Zeit des Gauklers ist vollbracht, denk an mich ohne Bitternis. Wenn ich mein Instrument jetzt niederleg‘, hab‘ vieles falsch gemacht, gewiss. Wenn du vergessen kannst, vergiss, dann werd‘ ich morgen nicht mehr sein, als nur ein Stein auf deinem Weg.“

Doch in diesem Fall hat Reinhard Mey nicht nur eine weitere Liedsammlung veröffentlicht, sondern nach ´Mein achtel Lorbeerblatt´ eine seiner besten. Zudem enthält sie seinen wohl bekanntesten Evergreen ´Über den Wolken´, der wahrscheinlich, auch aufgrund zahlreicher Remakes, mindestens jedem in Deutschland lebenden Ü30er geläufig sein dürfte. Die bekannteste Coverversion sollte wohl die von Dieter Thomas Kuhn aus dem Jahre 1994 sein, aber selbst DIE TOTEN HOSEN entliehen sich für ´Unter den Wolken´ Stoff aus dem Songklasssiker. Reinhard Mey hat obendrein selbst eine französische (´Au-dessus des nuages´) sowie eine niederländische (´Boven de wolken´) Version aufgenommen. Mit Ernie und Bert sang er den Song in der „Sesamstraße“ und der „Tatortreiniger“ Bjarne Mädel ihn in einer Fernsehfolge.

´Wie vor Jahr und Tag´ hat abermals mehr als nur einen Songwriter mit Akustikgitarre aufzubieten, denn Reinhard Mey (Gesang, Gitarre) hat die KAI RAUTENBERG COMBO und das KAISER DOPPELQUARTETT an seiner Seite.

Reinhard Mey knüpft lyrisch umgehend an die Themen des Vorgängers an, stellt sein Licht selbst unter den Scheffel und zieht einen Schlussstrich unter die ihm angeblich verbauten Berufschancen: „Weil man mich zu Recht für einen Trottel hält, weil man mir die Mannequin-Karriere verstellt, weil das Mambotanzen sich nun auch nicht mehr lohnt.“

Aber es bestehen natürlich noch weitere Möglichkeiten bei der Berufswahl. ´Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden´ ist nicht nur das Eröffnungsstück dieses Werkes, sondern damals, in Zeiten der „Watergate-Affäre“, wie auch heutzutage eine brillante Schelte auf die Bestechlichkeit von Politikern und einem, ihm nachgebenden Lobbyismus im Square-Dance: „Wer die Noten liebt, der mache Musik. Doch wer die Banknoten liebt, der mache Politik!“

Weil man mich zu Recht für einen Trottel hält,
Weil man mir die Mannequin-Karriere verstellt,
Weil das Mambotanzen sich nun auch nicht mehr lohnt,
Weil auf dem Mambokönigsthron bereits ein anderer thront,
Weil ich pleite, faul, gefräßig bin, entscheide ich prompt,
Dass für mich nur ein erholsamer Beruf in Frage kommt.
So komm‘ ich um die Erkenntnis nicht umhin,
Dass ich wohl zum Staatsmann geboren bin,
Denn wie sagte doch mein Vorbild Fred Kasulzke einmal
Nach seinem elften dicken Immobilienskandal:
Wer die Noten liebt, der mache Musik,
Doch wer die Banknoten liebt, der mache Politik.

Was kann schöner sein auf Erden
Als Politiker zu werden.
Vom Überfluss der Diäten
Platzen dir die Taschen aus den Nähten.
Du kannst dir auf leisen Sohlen
Dein Schäfchen ins Trock’ne holen.
Prost! Es lebe die Partei!
Frisch und fromm und steuerfrei!

Etwas Anständiges hab‘ ich Gott sei Dank nicht gelernt,
Hielt mich stets vom rechten Pfad der Tugend entfernt,
Und so steht, wenn ich mir meine Fähigkeiten überleg‘,
Einer Laufbahn als Politiker schon gar nichts mehr im Weg.
Außerdem hab‘ ich noch ein paar Trümpfe auf der Hand:
Mir sind von ’nem Minister ein paar Dinge bekannt,
Durch Kasulzkes Immobilien-Firma ist er mir vertraut,
Denn der hat dessen Maitresse einen Swimmingpool gebaut,
Und zum Dank und dafür, dass die Frau Minister nichts erfährt,
Hat er ihm den Auftrag für eine Sozialsiedlung beschert.
Dabei fiel für den Minister noch ein Bungalow mit an,
Und Kasulzke baut noch achtzig Kilometer Autobahn.

Was kann schöner sein auf Erden
Als Politiker zu werden.
Vom Überfluss der Diäten
Platzen dir die Taschen aus den Nähten.
Du kannst dir auf leisen Sohlen
Dein Schäfchen ins Trock’ne holen.
Prost! Es lebe die Partei!
Frisch und fromm und steuerfrei!

Der Minister, der sich während jeder Sitzung schlafend stellt,
Tut als ob er, wie die andern, nur sein Mittagsschläfchen hält,
Hat dabei die Ohren offen und verdingt sich als Spion
Bei der Rechten, bei der Linken, bei der Opposition.
Dieses Wissen bringt mir mehr als ein Hochschulstudium ein
Und beschleunigt die Beamtenlaufbahn ungemein.
Wenn dem Mann an seinem Amt liegt, und es lieg ihm sehr daran,
Dann versteht er, dass er auf mich nicht verzichten kann.
Wenn ich dann die schwere Bürde meines hohen Amtes trag‘,
Erlaub‘ ich mir den ersten Beratervertrag,
Kassier‘ von jedem Rüstungsauftrag Provision,
Beginn‘ eine Kampagne gegen Korruption.

Was kann schöner sein auf Erden
Als Politiker zu werden.
Vom Überfluss der Diäten
Platzen dir die Taschen aus den Nähten.
Du kannst dir auf leisen Sohlen
Dein Schäfchen ins Trock’ne holen.
Prost! Es lebe die Partei!
Frisch und fromm und steuerfrei!

Früher hatte ich vor Wahlen noch Gewissensqualen,
Heute wähl‘ ich die, die mir am meisten dafür zahlen.
Und geht irgendwann die Fraktion baden dabei,
Dann hör‘ ich auf mein Gewissen und ich wechsle die Partei.
Unter meinesgleichen habe ich mich bestens bewährt,
Darum wird mir nächstens das Verdienstkreuz beschert,
Und ich werd‘ vom Papst empfangen, geadelt, geehrt,
Nach der alten Devise: Wer gut schmiert, der gut fährt.
Die Zukunft seh‘ ich rosig, die Kollegen schweigen still,
Weil von denen keiner vor den Untersuchungsausschuss will.
Und platzt der ganze Schwindel eines Tages, na wenn schon,
Dann geh‘ ich krankheitshalber frühzeitig auf Pension.

Was kann schöner sein auf Erden
Als Politiker zu werden.
Vom Überfluss der Diäten
Platzen dir die Taschen aus den Nähten.
Du kannst dir auf leisen Sohlen
Dein Schäfchen ins Trock’ne holen.
Prost! Es lebe die Partei!
Frisch und fromm und steuerfrei!

 

Mit dem gerne überspitzten Lobgesang auf den Beruf des Klempners im Sound der Zwanzigerjahre wird eine weitere Berufsgattung authentisch besungen, die sich alles Erdenkliche einfallen lässt, um den Kunden und die eigene Kasse zu beglücken: „Ich bin Klempner von Beruf, ein dreifach Hoch dem der dies gold’ne Handwerk schuf! Linke Hand die Werkzeugtasche, Zwanz’gerschlüssel, Thermosflasche, rechte Hand meine Rohrzange, so wird mir so schnell nicht bange – Ich bin Klempner von Beruf! Und braucht man keine Klempner mehr. Na dann werd‘ ich halt Installateur!“

Die große Überraschung steht auch der ´Susann´ am Ende ins Gesicht geschrieben. Der jungen Dame ist das Landleben zu banal, also kehrt sie ihrem Dorf den Rücken zu: „Hier auf’m Land, ist’s hoffnunglos. Da in der Stadt, da is‘ was los – denk doch mal nach, dann siehst du’s ein: Man muss in die Stadt, um „in“ zu sein.“ Letztlich zieht sie sogar mit einem Freund in der Stadt zusammen, doch jener hält nichts von der Landflucht und sieht plötzlich alles mit anderen Augen: „Denn morgen kommen wir hier raus. Wir zwei zieh’n in ein Bauernhaus! Hier in der Stadt verkalkt man bloß. Da auf’m Land, da is‘ was los – denk doch mal nach, dann siehst du’s ein. Man muss auf’s Land, um „in“ zu sein.“

Mit der modernen Theaterkultur rechnet Reinhard Mey in dem Lied ´Zwei Hühner auf dem Weg nach Vorgestern´ ehrlich ab. Einer köstlichen Theatervorstellung in drei Akten „von Alfons Yondraschek“, einem der Pseudonyme von Mey, scheint der Sänger beizuwohnen. Die oft sinnfreien und inhaltsleeren Vorstellungen der Moderne offenbaren „des Dichters ungestümes Temp’rament“ und im zweiten Akt das „gesellschaftskritische Moment“, denn „wie das Leben nun mal spielt, trifft er zufällig einen zweiten Nackedei, die beiden üben laut Sozialkritik und schlagen Purzelbaum dabei.“ Ein Hoch auf diese Unterhaltungsshow – und „wohl dem im Saal, der Butterbrote oder eine Thermosflasche bei sich hat“, weil „jeder, der bis dahin folgen kann und der bislang auch noch nicht pennt, der ist entweder nicht ganz klar im Kopf oder Theaterkassenabonnent.“

 

 

Mit Flöte gedenkt Reinhard Mey dem Tod eines jahrelang im Zoo besuchten Bären. ´Der alte Bär ist tot und sein Käfig leer´ steht somit symbolisch für all die Tiere, die wir in Unfreiheit irgendwann vernachlässigen, ja, sogar für all die prominenten Tiervertreter wie Bao Bao, Flocke, Heide, Eisbär Knut oder Orakel Paul. Mindestens ebenso schlimm war Anfang der Siebzigerjahre das Aussterben der Maikäfer zu bedauern, die durch hohen Pestizideinsatz in den 1950er und 1960er Jahren beinahe ausgestorben waren. Der Titel ´Es gibt keine Maikäfer mehr´ ging in den geflügelten Sprachgebrauch ein. Später widmete sich Mey nochmals dem Thema. „Ich schreibe trotzdem auf ein Birkenblatt die Noten für ein Käferrequiem.“

Beinahe heroisch wie einst Udo Jürgens am Klavier ertönt ´Aber deine Ruhe findest Du trotz alledem nicht mehr´: „Du hast nicht gestohlen, nicht betrogen, und, wenn irgendmöglich, nicht gelogen, oder wenn, dann ist das wenigstens schon eine ganze Weile her. Hast fast nie nach fremdem Gut getrachtet und fast immer das Gesetz geachtet, aber deine Ruhe findest du trotz alledem nicht mehr.“ Natürlich nimmt sich Reinhard Mey auch der Liebe an, im gleichen Zuge wie dem Ableben. Beschwingt singt er ein Halleluja auf die Geliebte: „Wie vor Jahr und Tag, liebe ich dich doch. Vielleicht weiser nur und bewusster noch. Und noch immerfort ist ein Tag ohne dich ein verlor’ner Tag, verlor’ne Zeit für mich. Wie vor Jahr und Tag ist noch immerfort das Glück und dein Name dasselbe Wort. Allein, was sich geändert haben mag: Ich lieb‘ dich noch mehr als vor Jahr und Tag.“

Mit der Akustikgitarre schreibt er über die Liebe und lächelnd über die letzte Stunde und den letzten Willen, sein, ´Mein Testament´: „Hier liegt einer, der nicht gerne, aber der zufrieden ging.“ Am liebsten beim Verlassen des Diesseits, ´Wie ein Baum, den man fällt´. Das ist ganz großes Kino im Stehen: „Wie ein Baum, den man fällt, eine Ähre im Feld, möcht‘ ich im Stehen sterben.“ Alles scheint vorbei, ´Die Zeit des Gauklers ist vorbei´, erklingt nochmals die Akustikgitarre: „Und das Fest, das wir endlos wähnen, hat doch, wie alles, seinen Schluss, keine Worte, keine Tränen, alles kommt, wie es kommen muss, nun, keine Worte, keine Tränen. Alles kommt, wie es kommen muss.“

Und „dann hebt er ab und völlig losgelöst von der Erde“, nein, nicht wie später Peter Schillings ´Major Tom´, sondern Reinhard Mey, der auf dem Flugplatz steht und einem Flugzeug beim Aufstieg in die Wolken zusieht.

Wind Nord/Ost Startbahn null drei,
Bis hier hör‘ ich die Motoren.
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei,
Und es dröhnt in meinen Ohren,
Und der nasse Asphalt bebt,
Wie ein Schleier staubt der Regen,
Bis sie abhebt und sie schwebt
Der Sonne entgegen.

Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns groß und wichtig erscheint,
Plötzlich nichtig und klein.

Ich seh‘ ihr noch lange nach,
Seh‘ sie die Wolken erklimmen,
Bis die Lichter nach und nach
Ganz im Regengrau verschwimmen.
Meine Augen haben schon
Jenen winz’gen Punkt verloren.
Nur von fern klingt monoton
Das Summen der Motoren.

Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns groß und wichtig erscheint,
Plötzlich nichtig und klein.

Dann ist alles still, ich geh‘,
Regen durchdringt meine Jacke.
Irgend jemand kocht Kaffee
In der Luftaufsichtsbaracke.
In den Pfützen schwimmt Benzin
Schillernd wie ein Regenbogen
Wolken spiegeln sich darin.
Ich wär gern mitgeflogen.

Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns groß und wichtig erscheint,
Plötzlich nichtig und klein.

 

Selten hat ein deutscher Liedermacher ohne Schmalz und aufgetragene Sentimentalität solch eine Sammlung an Songs mit Witz und Intelligenz vorgetragen. Ebenso wie der Vorgänger ´Mein achtel Lorbeerblatt´ erschien auch ´Wie vor Jahr und Tag´ im 2017er, originalgetreuen Nachdruck der Erstausgabe mit aufklappbarem Gatefold-Cover. Dieses wird chronologisch und qualitativ direkt hinter ´Mein achtel Lorbeerblatt´ in das Plattenregal einsortiert, um es gerne und oft herauszuziehen.

(Klassiker)

 

https://www.reinhard-mey.de/


Foto 1+2: Gatefold der 2017er Vinyl-Ausgabe
Foto 3: Großformatiges Booklet mit allen Liedtexten und Fotos
der Vinyl-Box ´Jahreszeiten 1967-1977´.