PlattenkritikenPressfrisch

MEER – Playing House

~ 2021 (Karisma Records) – Stil: Dream Prog ~


Es gibt diese Platten, schon beim ersten Hören ist klar, ich will mehr. Mehr MEER. Mehr von diesem rauen Wind, der mir um die Nase bläst. Von der Gischt, die in dicken Tropfen auf der Haut trocknet. Mit den Füßen in der Brandung, atmend den Geruch von Salz und Weite. Der Blick ist zum Horizont gerichtet, da, wo blau auf blau trifft, da berühren sich Himmel und Erde.

In der Medizin gibt es Placebos. Mein Placebo ist Musik, in diesem Falle die Musik von MEER. Nicht zum ersten Mal haben „Karisma Records“ ein echtes Highlight am Start. Der geneigte Fan erinnert sich vielleicht an WOBBLER oder ARABS IN ASPIC. In dieses Prog Rock-Universum gehören auch MEER. Das norwegische Oktett stammt aus Hamar im HInterland von Oslo, weit entfernt von der Meeresküste. Der Bandname bezieht sich auch nicht auf die Gewässer unseres Planeten, das norwegische Wort heißt zu deutsch einfach nur „mehr“. Mehr Musiker, mehr Klang, mehr Fülle. Johanne und Knut Kippersund sorgen für mehr Stimmgewalt, vor allem auch zusammen.  Åsa Ree an der Geige und Ingvild Nordstoga Eide an der Viola ziehen mehr und andere Saiten auf. So sorgt man zu acht für einen vollen und tiefen Klang. Kaltes, mathematisches Gefrickel wird dem Genießer aber erspart.

Man höre schon im Opener ´Picking Up The Pieces´ das perlende Piano, Töne, die wie Regentropfen an einer Fensterscheibe herunterlaufen. Oder nimm ´Beehive´, welches zwischen dramatischen Streichern und heimeliger Wärme changiert. Das ist die gelungene Bewerbung für den Vorspann in einem nächsten James Bond. (Das Meer ist nicht genug…)

Die Weite der See wird beschworen in ´All At Sea´. Die Klippen marinen Kitsches weiträumig umsegelt, hinaus in die Ferne des Horizont, so geht die Fahrt voran. ´Song Of Us´ durchströmt eine tiefe Melancholie. Doch auch hier grüßt von Ferne ein Sonnenstrahl, der Zuversicht verbreitet und jeden Anflug von Selbstmitleid vertreibt.

Und so geht es weiter, Stück für Stück, nach der Weite des Raumes suchend, der Tiefe des Ozeans, der Fülle von Emotionen. Da berührt man in ´She Goes´ den Jazz Rock, ´Across The Ocean´ hat den Anflug TANGERIN´scher Träumerei. Auch MUSE dürften zu den Einflüssen gehören, genau wie nordische Folklore. Mit der intimen, geradezu schlichten Ballade `Where Do We Go From Here´ wird der Ruhepol gesetzt, nur aus Gesang und Bassläufen.

Den einzigen Kritikpunkt hat die Rote Königin. Als sie feststellt, dass die MEERsche Version von ´Here I Go Again´ nur als Vinyl-Bonus erscheint, lässt sie sich zu einem zornigen „Ab mit ihrem Kopf“ hinreißen. Wie kann man dieses Kleinod nur so schnöde verstecken, einen Höhepunkt eines nicht gerade schwachen Albums.

Da es nun sicher utopisch ist, in den nächsten Wochen das Meer zu sehen, außer auf Bildern oder im Film, greife ich nun auf MEER zurück. Denn MEER sind mehr als ein Placebo. Sie lösen nicht das Problem mit dem Fernweh, sie machen aber glücklich. Mehr will man manchmal auch nicht. Glücklich sein, am Meer und auch weit weg davon.

(9,5 Punkte)

 

 

https://meer.bandcamp.com/

https://www.facebook.com/MEERmusikk


(VÖ: 29.01.2021)