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KOKOON – Mrs. Jesus / Kokoon

~ 2003/2007/2021 (Golden Core/ZYX Music) – Stil: Poprock ~


Die Musiker, die einst die Gruppe KOKOON ausmachten, baden heute wie Dagobert in seinem Speicher voller Geld. Im Ernst? Tatsache? Natürlich nicht.

Gitarrist/Songwriter Kristian „Kohle“ Kohlmannslehner betreibt als erfolgreicher Produzent die „Kohlekeller Studios“. Sängerin Nadine Bonifer ist schon länger die Ehefrau von „Kohle“ und Mutter ihrer gemeinsamen Kinder. Bassist Guido Holzmann und Drummer Neudi waren zuvor gemeinsam bei SUDDEN DARKNESS und ECONOMIST. Guido Holzmann spielt heutzutage in einer regionalen Wave-Band. Drummer Neudi wurde im Anschluss mit VIRON und ROXXCALIBUR, dann mit JAMESON RAID, MANILLA ROAD und TRANCE ein weltbekannter Plauderer, der einst auch für Streetclip immer wieder gerne den Musikern das Mikro für ein Interview vor den Mund und unter die Nase hielt.

KOKOON entstanden vor über zwanzig Jahren. Auslöser war das Dahinscheiden von CENTURY. Dies war ein 1995 von CREMATORY-Schlagzeuger Markus Jüllich, Gernot Leinert und Michael Rohr initiiertes Projekt, bestehend aus einem Sänger und zwei Keyboardern, das für eine Live-Tournee mit HIM noch die Plätze an Gitarre, Bass und Schlagzeug besetzen musste. Kohle, Guido und Neudi nahmen diese fortan in der modernen Gothic-Pop- und Dark-Wave-Gruppe ein. Doch nach zwei Studioalben und zwei weiteren Tourneen mit PARADISE LOST sowie CREMATORY zerfielen CENTURY – die Geburtsstunde von KOKOON.

 

 

Kohle, Neudi und Guido fanden in Sängerin Nadine eine außergewöhnliche, aber dem Zeitgeist entsprechende Sängerin und nahmen in der Folge zwei Alben auf, 2003 ihr Independent-Debüt ´Kokoon´ und 2007 den Nachfolger ´Mrs. Jesus´. Dass sie es mit ihrem Mix aus Rock und Pop nicht zu Weltruhm brachten, lag vielleicht nicht nur an den Veröffentlichungen in Eigenregie, sondern ebenso an ihrer Musik, die für den weltweiten Durchbruch wohl zehn Jahre zu spät erschien. Denn die Musik auf den beiden Scheiben klingt sehr nach den Neunzigerjahren. KOKOON waren zwar rockiger als THE CARDIGANS, aber poppiger als 4 NON BLONDES. Es war eben der Sound, den man von HÉROES DEL SILENCIO und THE CRANBERRIES längst im Ohr hatte.

Dass sie sogar ein Angebot eines Major-Labels ablehnten, weil dieses Lieder auf Deutsch hören wollte, spricht für den Charakter der Bandmitglieder. Dieses Anliegen des Labels erfolgte selbstverständlich nur aufgrund der zeitgleichen Erfolge, die in jenen Tagen WIR SIND HELDEN, JULI oder SILBERMOND feierten.

Ein Kuriosum hielt den Namen von KOKOON aber noch weit über ihr Ableben hinaus im Gespräch. Drei Lieder ihres zweiten Werkes wurden auf einem fabrikneuen Modell eines MP3-Players der Firma Archos vorinstalliert, so dass ihr Lied ´Save Me´ mit dem blendend verkauften Player rund um die Welt zum Hit getragen wurde. Als im Laufe der Jahre auch noch die wachsende Anhängerschaft immer wieder nach einer Wiederveröffentlichung rief, ließen sich Neudi, der zwischenzeitlich zum A&R Manager bei „ZYX Music“ aufgestiegen war, und die anderen Bandmitglieder nicht lange bitten, und stimmten dem Re-Release der zwei Scheiben, beide vom gleichen Kaliber mit jeweils einigen herausragenden Kompositionen, über „Golden Core/ZYX Music“ zu.

Gepflegte Hörerschichten, ob mit oder ohne Karohemd, werden die Neuauflage auf einem Silberling lieben. Vorteilhaft startet sie mit den sieben Songs des ´Mrs. Jesus´-Werkes und dem prägnanten Opener ´Save Me´. Mit ´Here We Go´ haben KOKOON weiteren Power-Pop für die „Charts, die keiner kennt“ zu einem lässigen Groove in petto. Ausgefeiltes Songwriting mit Gefühl und eindringlicher Gesangsdarbietung schenkt das sechsminütige Titelstück ´Mrs. Jesus´ aus. Mit höherer Saitenschlagzahl und Energie tragen KOKOON ´Playgirl´ vor. Die pure Stimme von Nadine Bonifer hören wir hingegen zum Akustikgitarrenspiel in ´Mother´. Das erstklassige Gitarreninstrumental ´Mrs. Jesus Theme´ beendet schließlich den recht kurzen Zweitling, damit ´Mrs. Jesus´ gleichsam dem Debüt mit einem solchen endet.

Dann folgt auf der Wiederveröffentlichung, und somit in chronologisch umgekehrter Reihung, das Debüt ´Kokoon´ und seine zehn Songs, inklusive Hidden-(Instrumental-)Track zum Ausklang. Als Bonus darf es noch eine „Early Compilation Version“ von ´Save Me´ sein.

Der Eröffnungssong ´Honeymoon Stepdance´ des ersten Albums von KOKOON zeigt sogleich alle prägenden Merkmale ihres Alternative Rock auf – eine geräuschvolle und intensive Gitarre sowie eine ausgefallene Stimme im neckischen Pop-Appeal. Bereits auf dem Debüt gibt es mit ´Hey´ ein lässiges und niemals zu aufdringliches Poprock-Stück für den Wurm im Ohr sowie obendrein den 90s-Kult-Hit ´Entre Dos Tierras´ von HÉROES DEL SILENCIO in einer nahe am Original gehaltenen Version von KOKOON. Bei ´On Air´ hüpft die Anhängerschaft ebenso vor Freude auf die Boxen, kühlt sich bei ´You Is Me´ und ´Come With Me´ bis zum jeweiligen Ausflippen ab, ehe ´The Song Remains A Shame´ mit Klavier und Akustikgitarre zur Hand das Werk leicht opulent orchestriert sowie mit einem herzhaften „What the Fuck have you done“ grandios zum Abschluss bringt.

(8 Punkte)

https://www.facebook.com/KokoonProgpop/