MeilensteineVergessene Juwelen

BLUE MURDER – Blue Murder

~ 1989 (Chrysalis) – Stil: Hard Rock ~


Neben ´Spellbound´ von den dynamischen NWoBHM-Heroen TYGERS OF PAN TANG und ´Thunder And Lightning´, dem mächtigen Abschlussalbum der einzigartigen THIN LIZZY, ist ´Blue Murder´ die Sternstunde von John Sykes. Mit diesen drei Veröffentlichungen hat er sich ganz tief in die Rock- und Metal-Annalen eingetragen. Hier stimmte einfach alles. Mit Tony Franklin am Bass und Carmine Appice an den Trommeln waren die richtigen Mitstreiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In den wilden und trotzdem sehr komplexen und technisch anspruchsvollen Songideen ist vor allem textlich der Spirit des einstigen Mentors Philip Lynott eingefangen. Niemand hat das Erbe von THIN LIZZY so anspruchsvoll verwaltet wie John Sykes auf diesem Album. Musikalisch hat er dabei seinen ganz eigenen Stil gefunden. Nur die Ballade ´Out Of Love´ erinnert (leider aus meiner Sicht, da ´1987´ für mich nicht gerade eine Sternstunde ist und mit diesem Album für mich mein Abschied von WHITESNAKE eingeleitet wurde) an die kurze – für John so bittere – WHITESNAKE-Episode.

Ein halbes Dutzend sehr starker Songs – namentlich herausragend der sechsminütige Opener ´Riot´ – dynamisch, funkig (Bass!), heavy und mit dem genannten Philip Lynott-Gütesiegel und einem Gitarrensolo, das alles niederwalzt. Das folgende rhythmische ´Sex Child´ geht in die gleiche Richtung, nicht nur von der starken instrumentalen Darbietung, sondern auch vom für mich sehr starken Gesang von John Sykes, auch wenn er kein klassischer Shouter ist (wenn hier sogar auf den Spuren von Robert Plant und LED ZEP und zwar nicht als Kopie). Hervorragend mit künstlerischem und kommerziellem Gespür und trotzdem hochgradig verschachtelt.

Es folgt ´Valley Of The Kings´ – fast acht Minuten majestätischer Rock wie der Titel suggeriert (und ein Video voll im 80er-Jahre Poser-Stil mit der wunderschönen schwarzen Les Paul von John und dem Fretless-Bass von Tony Franklin – siehe hier ). ´Billy´ ist dann für John Sykes der ´Johnny´ von Philip Lynott aus den 70er Jahren für die 90er Jahre adaptiert. Ein Protagonist des Abenteuers, ein Verlorener und Verlierer, einfach so in eine tödliche Geschichte geraten, bei der es keinen guten Ausgang mehr geben kann. Ähnlich ´Ptolemy´, weniger über den gleichnamigen Mathematiker und Astronom als eine weitere Außenseiter-Geschichte. Ein mächtiger Song, der mit Gewalt voranschreitet.

Insgesamt sind der Gesang, die Gitarrenarbeit, das Songwriting und die zeitlose Produktion von Bob Rock ohne Fehl und Tadel. Die Rhythmusgruppe in Kombination mit Sykes‘ Gitarre nahe am optimalen Power-Trio, aber nicht in der sparsamen Form, sondern mit einem überquellenden „Wall of sound“. Melodien und Riffs, die einem für lange Zeit im Gedächtnis eingebrannt sind.

Da weckte John Sykes mit BLUE MURDER und diesem Debüt große, berechtigte Hoffnungen. Leider vielleicht zu große Hoffnungen, die leider mit dem Nachfolger ´Nothin‘ But Trouble´ mit neuen Mitmusikern bei Weitem nicht erfüllt werden konnten. Mit dem hervorragenden Live-Album ´Screaming Blue Murder: Dedicated to Phil Lynott´ konnte noch einmal etwas Boden gut gemacht werden, es folgten dann nur in Japan veröffentlichte Solo-Alben. Insgesamt ein quantitativ sehr geringer Output. Parallel die zunächst einigermaßen charmante, letztlich aber viel zu lange währende und mich schnell nervende LIZZY-Reunion. John Sykes war allerdings der einzige, den ich beim Gesang der Philip Lynott-Songs zuhören konnte und das einmal live auch tat.

Insgesamt schade, dass das große Talent von John Sykes, seine genialistische Verbindung der alten 70er Hard Rock-Schule, der NWoBHM-Aufbruchstimmung und songdienlichem Gitarren-Shredding nur von einer Insider-Gruppe goutiert wurde und wird.