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FATAL SIN – Episodes: The Complete Recordings

~ 2020 (Thrashback Records) – Stil: Technical Thrash Metal ~


Drei Songs! Drei Songs ist alles, was diese bereits 1985 in Boca Raton gegründete Band jemals physisch zugänglich gemacht hat. Die Stücke ´Fatal Sin´ und ´Intense Distress´ befinden sich auf der selbstbetitelten Demokassette von 1989 und das Stück ´Episode´, welches sich Gerüchten zufolge zusätzlich auf einer späteren Version des 89er Demos befinden soll, wurde dann noch 1992 auf dem Sampler ´Unsigned III: Killing Time´ verbraten. Diese drei Tracks bilden nun auch das Herzstück der am 30. Oktober dieses Jahres erfolgten Veröffentlichung. Da diese drei Stücke dem aus Ft. Lauderdale, Florida, stammenden Label „Thrashback Records“ aber für ein Re-Release wohl etwas dünn erschien, gibt es noch drei unveröffentlichte Stücke als Live-Versionen obendrauf, die von den Originalbändern speziell für diese Veröffentlichung neu aufbereitet (remastered) worden sind. Konsequenterweise wurde dem ganzen noch eine DVD beigelegt, die den gesamten, am 22. März 1990 in der Universität von Boca Raton aufgezeichneten Auftritt von FATAL SIN enthält. Das Ergebnis ist nun eine auf 300 Exemplare limitierte Deluxe Edition, welche die fünfte Veröffentlichung der ´Florida Metal Archives Series´ darstellt.

Als FATAL SIN (nicht mit der gleichnamigen Band aus Rockville zu verwechseln, die sich 1986 in INDESTROY umbenannte) vom Gitarristen Adam Riewold und dem Schlagzeuger Greg Threlkel gegründet wurde, gingen beide noch zur Schule und es dauerte eine ganze Weile (ich vermute es war 1998), bis nach einer Reihe von Besetzungswechseln mit dem Gitarristen Haven Eaton und dem Bassisten Kevin Bachaus endlich ein stabiles Line-up gefunden wurde. Aber wer weiß, ob überhaupt ein Zeugnis der Musik dieser Band existieren würde, wenn sie nicht bei einem lokalen Bandwettbewerb vier Stunden Aufnahmezeit in einem Studio gewonnen hätten. Diese Studiozeit wurde nämlich sinnvoll für die Aufnahme des bereits oben angesprochenen Demos eingesetzt, bei welchem kein geringerer als Tom Defile, zu jener Zeit Bassist bei SAIGON KICK, als Produzent agierte. Im Folgenden wurde jede Gelegenheit zum Auftreten genutzt und FATAL SIN teilten sich die Bühne mit solchen heutzutage illustren Bands wie PANTERA, DEICIDE, VIO-LENCE und MORBID ANGEL, die damals am Beginn ihrer Karriere standen, oder gerade im Begriff waren, richtig durchzustarten. Ein Schicksal, welches FATAL SIN verwehrt blieb, wobei das Schicksal auch sie heimsuchte, denn nur kurz nach der Aufnahme des Demos erkrankte Kevin an Krebs und musste die Band verlassen. Als Konsequenz hieraus schnallte sich Adam fortan den Bass um, wodurch die Band zu einem Trio zusammenschrumpfte. Das war dann auch der Zeitpunkt, zu welchem FATAL SIN einen leichten musikalischen Richtungswechsel vollzog. Hatte man bis dahin einer Spielart des Thrash gefrönt, dessen Wurzeln bei den musikalischen Vorbildern der Band, also vor allem SLAYER und MEGADETH, gefunden werden konnten, so wurde ihre Musik nun progressiver und technischer. Der hierbei gezogene Vergleich mit WATCHTOWER und VOIVOD ist durchaus zutreffend. Nimmt man den technisch progressiven Anteil von WATCHTOWER, paart ihn mit dem Thrashfundament der frühen VOIVOD (´Killing Technology´ und ´Dimension Hatröss´ sind hierfür geeignete Referenzen) und verpasst dem eine Prise VEKTOR (natürlich ohne deren Gesang) und eine Messerspitze ANACRUSIS, so umschreibt dies den musikalisch Inhalt des bereits erwähnten Stückes ´Episode´  und den der drei auf dieser Zusammenstellung mitgelieferten Live-Aufnahmen recht gut.

Wie es der Band in den Jahren von 1991 bis 1993 ergangen ist, kann ich zwar nicht sagen, aber ich vermute mal nicht sehr gut. Ich gründe meine Vermutung auf der Tatsache, dass sie in dieser Zeit keinerlei Material veröffentlichten und sich 1993 in UNIVERSAL LANGUAGE umbenannten, um mit dieser neuen Band fortan ihr Heil im Bereich des Heavy/Funk zu suchen. Das scheint aber auch nicht so geklappt zu haben, denn nach nur einem Demo mit drei Stücken im Jahr 1993 war auch dieses Abenteuer beendet und jeder der drei ging seiner Wege.

 

 

Es ist mir etwas unverständlich, wieso man ´Episodes: The Complete Recordings´ mit ´Episode´ beginnen lässt, da es weder chronologisch (es stammt aus dem Jahr 1991) noch musikalisch zu den beiden folgenden Stücken passt. An dritter Stelle, vor den Live-Stücken angeordnet, wäre es meiner Ansicht nach sinnvoller gewesen. Aber sei es drum…

Wie bereits erwähnt, sind die beiden 89’er Stücke geradliniger und noch tief im klassischen eher melodischen Thrash verhaftet, wenngleich bereits beide Songs deutlich progressive Züge aufweisen. Beide Songs beginnen mit ruhigen Tönen und einem geflüsterten bzw. gesprochenen Intro, bevor diese dann ordentlich Fahrt aufnehmen. Auch wenn Adam seine Stimme sehr abwechslungsreich einsetzt, wodurch allerdings der Gesang stellenweise theatralische Züge annimmt, bleibt die Stimme dennoch durchgehend im cleanen Bereich und die Musik weitestgehend frei von undifferenzierten Stakkatoattacken, wenngleich in der zweiten Hälfte beider Stücke durchaus schnelle und aggressive Parts enthalten sind. Ich betone dies, weil das spendierte neue und stark an die klassischen Ed Repka-Cover erinnernde Artwork (siehe z.B. ´Hell On Earth´ von TOXIC HOLOCAUST), eher Assoziationen mit Bands wie den Schweden GUILLOTINE, oder den Spaniern HOLYCIDE in mir wecken.

Der ´Opener´ und die drei abschließenden Live-Stücke klingen hingegen in meinen Ohren wie die unehelichen Bastarde von Mutter „Funk“ und Vater „Free-Jazz“, die jedoch vom Patenonkel „Zwölftonmusik“ statt mit Harmonien mit Atonalität aufgezogen worden sind. Insbesondere ´Episode´ hat etwas von einer musikalischen Kunstperformance, bei der das technisch vertrackte und mathematisch genau ausgezirkelte Gitarrenspiel sowie das dynamisch und sehr variabel gespielte Schlagzeug recht unbeeindruckt von einem knackig coolen Bass begleitet werden, während der stakkatoartige (ja, hier ist es so) Sprechgesang in seiner bereits angesprochenen Theatralik (fast) alle Höhen und Tiefen der menschlichen Stimme auslotet. Die Kombination dieser vier Komponenten führt schlussendlich dazu, dass dieses Stück durchaus eine gewisse Faszination auf mich ausübt und nicht einer gewissen Anziehungskraft entbehrt.

 

 

Sicherlich wird es nicht wenige Menschen geben, die sich nach dem Hören dieser Stücke die Frage „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ stellen werden und auch ich gebe zu, dass ich nach dem ersten Hören erstmal froh war, die 27 Minuten geschafft zu haben. Aber so ging es mir schließlich auch nach den knapp 29 Minuten des letzten Werkes von WATCHTOWER, welches ich dennoch sehr schätze. Es ist eben keine Musik für den Dauerkonsum, sondern eher für den akzentuierten Genuss. Schließlich kann man sich ja auch nicht dauerhaft von Austern, Hummer und Kaviar ernähren.

Daraus folgt natürlich auch, dass sich diese Veröffentlichung einer profanen Einordnung entzieht, weswegen ich mir an dieser Stelle eine Punktevergabe erspare, ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass diese aus CD und DVD bestehende Deluxe-Edition, welche auch ein achtseitiges Booklet mit Archivfotos und persönlichen Anmerkungen von Adam Riewold enthält,  für lediglich 9,99$ hier bezogen werden kann. Selbst zuzüglich der 8$ Versandkosten nach Deutschland ist das in meinen Augen noch ein fairer Preis, den Liebhaber solcher obskuren musikalischen Wiederentdeckungen sicherlich bereit sind zu entrichten.

Ob man dieses Album nun schlussendlich wirklich braucht, muss aber jeder für sich selbst entscheiden.