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AC/DC – Power Up

~ 2020 (Columbia/Sony Music) ~


 

 

Selbstverständlich sollte es kein Schnellschuss werden, als Streetclip erst kurz vor knapp den Stream zu ´Power Up´ erhält. Doch ich breche mein Wort, weil ´Power Up´ auch eine Art Schnellschuss ist – aber ein treffender. Denn: Trotz dessen, dass ´Power Up´ auf Recyclinghöfen alter Ideen vom verstorbenen Bandboss beruht – es ist im internationalen Marktvergleich gute Qualität. Und verdient Respekt. Zumindest meinen.

So wie es sich für eine megaberühmte Star-Truppe nämlich heutzutage geziemt, erscheint urplötzlich das siebzehnte Studioalbum, das sechzehnte internationale und vielleicht das letzte Studioalbum von AC/DC mit dem Namen PWR/UP oder schlicht ´Power Up´.

Ein neues AC/DC-Album. Ja, und? Die Welt dreht sich weiter. AC/DC, come on! Hast du eine Platte (mit Brian Johnson), hast du alle. Nun ja, nicht ganz, aber auch nicht ganz falsch. Dass es 2020 überhaupt noch einmal ein neues Album geben würde, hat uns doch alle überrascht. Da haben die alten Männer noch einmal ordentlich in die Steckdose mit dem nassen Mittelfinger gegriffen.

Noch einmal hat sich die Young-Family im Studio versammelt, um vor allem nach dem Tod von Malcolm Young im Jahre 2017, diesem mit PWRϟUP als Bandmitbegründer ein überdimensionales Denkmal zu setzen.

Dies war zumindest die Intention von Gitarren-Maestro Angus Young, der seinen anderthalb Jahre jüngeren Neffen Stevie Young zum wiederholten Male als Ersatz an der Rhythmus-Gitarre gewinnen konnte. Zur echten Traumbesetzung kam es jedoch erst durch die Rückkehr von Sänger Brian Johnson, der während der letzten Tour offiziell aufgrund eines Hörverlustes ersetzt wurde, Bassist Cliff Williams, der sich nach den Tourneestrapazen schlicht zurückgezogen hatte, und Schlagzeuger Phil Rudd, dem bereits vorher Drogenbesitz und einiges Schlimmeres vorgeworfen wurde.

Lange sah es tatsächlich so aus, als seien die Tage von AC/DC wirklich gezählt. ´Stiff Upper Lip´, ´Black Ice´ oder das letzte Studioalbum ´Rock Or Bust´- nichts was wirklich nachhaltig war und ist. Pro Platte standen zwei bis drei Granaten bereit, und der Rest..!?!?  Alben also, die man in einer AC/DC-Sammlung nicht wirklich braucht. Immerhin schien ja Bruder Malcolms Tod alle letzten Hoffnungen auf neue Glanztaten zunichte zu machen. Doch dieses Album nach Malcolms Tod spricht für sich. Denn: Ein Könner stirbt, seine Riffs leben weiter – selbst die Aussortierten. Sie übertreffen immer noch vieles, was andere Gitarristen weltweit bekannter und gut kassierender Bands voller Stolz veröffentlichen. Wird man also ´Power Up´ rückblickend, in ein paar Jahren, in der gleichen Ecke wie die genannten Alben ablegen? Nein, denn ´Power Up´ hebt sich wohlwollend von diesen Alben ab, überrascht sogar mit einigen untypischen Nummern, die unter dem Strich das Album aufblühen lassen.

Die Kompositionen sind letztlich allesamt vom Gespann Malcolm Young & Angus Young bzw. Angus Young & Malcolm Young verfasst worden, so dass sie bereits gut gelagert und ausgereift sind. Schließlich basieren die Ideen auf ungenutztem Material, das der verstorbene Rhythmusgitarrist um die Zeit des 2008 aufgenommenen Albums ´Black Ice´ geschrieben hatte – und wegwerfen wollte. Bruder Angus griff beherzt zu. So sind ´Rock Or Bust´ sowie jetzt ´Power Up´ klassische Halde-Produkte. Schlecht sind sie deswegen noch lange nicht.

´Power Up´ ist ein machtvolles, ein muskulöses Album geworden. Es folgt, entschlackt und ohne einen Saitenanschlag zu viel, den etablierten Mustern der Young-Brüder, von denen der wegweisendere ja leider schon tot ist. Der jüngere Bruder, notorisch in Schuluniform, macht unbeeindruckt einfach weiter. Des Geldes wegen? Egal. Fakt ist: ´Power Up´ passt. „Vergiss Hendrix, vergiss Clapton; das Einzige, was zählt, ist Chuck Berry“, so die Devise der jungen Young-Brüder zu Beginn der 1970er. Und so klingen sie auch 2020 noch. Was können AC/DC schon falsch machen? Die Songmuster sind in den Genen der Musiker eingeätzt. Jede Veränderung wäre wie Krebs. ´Power Up´ klingt gut, was auch viel an einer recht harmonischen, eher warmen Produktion liegt und an Songs, denen man trotz Rotz, Riffs und Rock´n´Roll einen grundsätzlich basisorientierten Blues anhört. Sicher war der Blues schon immer die Basis dessen, was AC/DC kreiert haben, aber nach drei blassen Studioalben wirkt ´Power Up´ organischer, ehrlicher, erdiger. Überhaupt, wem AC/DC in den 1980ern eischließlich ´Razors Edge´ (1990) zu poliert poppig waren, dem ist mit ´Power Up´ geholfen; es hat diesen trockenen 70s-Vibe – inklusive der zuletzt mit ´Rock Or Bust´ (2014) neu bewiesenen Erdigkeit. 

´Power Up´ explodiert förmlich mit dem Eröffnungstitel ´Realize´, der AC/DC-Fans daran erinnert, was sie so lange vermisst haben – mit Texten und Themen aus der Mitte des Körpers, die uns auf das vorbereiten, was den Rest des Albums sehr simpel, aber uns so schön Spaß macht. ´Realize´ besitzt die Kraft zum Elektrisieren und möchte gerne ´Thunderstruck´ sein. Doch keines der neuen Lieder dürfte sich als großer Hit in dieser Traditionskette erweisen. Hier erschallen auch bereits in der kraftvollen Produktion eines Brendan O’Brien die ersten „Ahh, ahh, ahhh“s für das spätere Hallenpublikum, ebenso gerne genutzt in ´Through The Mists Of Time´, das mit seinem etwas freieren Sound mit Südstaaten-Anklängen leicht hymnisch aus den Boxen ballert – etwas out of line, aber packend. Es rockt langsamer, fast das wohlige Gefühl einer 80er-Jahre-Power-Ballade hervorrufend. Die Nummer ist für die Herren ein eher ungewöhnlicher Track. Kommerziell unkommerziell. Würde Johnson nicht singen, könnte man dahinter auch eine andere Band vermuten. Sehr geschmeidiger Song.  Zum Slogan Geld oder Leben genügen in ´Rejection´ dagegen einfache „Uhh, uhh, uhh“s aus dem Background.

Überhaupt Johnson, für meinen Geschmack schreit er weniger, sondern sucht den Kontakt zu dem Wort „Singen“, was dem Album an sich sehr zu Gute kommt. Selbst die groovenden Rocker in der typischen AC/DC-Manier, wie ´Wild Reputation´ oder ´Shot In The Dark´ zeichnen sich eher durch warme Heavyness aus als durch aggressives rumgeriffe aus. Man hat den Schwerpunk eindeutig auf klassische Eingängigkeit gelegt. Wenn nämlich der elektrifizierte Funken des Quintetts vollends überschlägt, heißt es für alle, ´Shot In The Dark´ mitzusingen, das als erste AC/DC-Single des Albums mit einem besonders befriedigenden bluesigen Solo von Angus Young glänzt. Classic style. Wer die Wild Boys from Down Under sind, wollen sie nämlich in ´Wild Reputation´ nochmals beweisen. Dreimal am Tag eine Dosis AC/DC wird sich selbst für ältere Damen und Herren nicht schädlich auswirken, sollte dabei ein ´Money Shot´ mit einverleibt werden.

Der wildeste, tighteste Track, aus meiner bescheidenen Sicht, nennt sich ´Demon Fire´. Er ist der kleine Wirbelwind des Albums, schnell und quirlig auf der Gitarre. Ein weiterer Höhepunkt, voller ansteckender Energie, die uns alte Herren wieder zu Kids mit Tennisschläger als Gitarrenersatz unterm Arm macht.

Ruhe kehrt schließlich gegen Ende ein, mit dem abermals bluesigen und gefühlvollen, dem „Gesucht und Gefunden“-Stück ´No Man’s Land´, bevor es mit der abschließend-kraftvollen Hardrock-Hymne ´Code Red´ klischeegerecht endet, dem letzten harten Kampf der Band zum Ausklang. Obwohl gerade ´Code Red´ sehr vertraut beginnt, überrascht der mehrstimmige (glattgebügelte) Refrain in dieser Form doch irgendwie. Und von dieser Kategorie Songs gibt es einige, die viel Wert auf gerade diese Art Refrains legen. Man nenne nur ´Kick You When You´re Down´, „Oh, no!“, nachtreten nicht erwünscht, das wäre nämlich kein feiner Zug.

Anyway, grundsätzlich also nichts Neues aus dem Hause AC/DC. So gesehen ist also alles gut, zumindest für die eine Fraktion. Die andere, die der Band musikalischen Mut abspricht, wird auch dieses Album nicht worshippen. Trotz meiner Skepsis und meinen Vorurteilen ist ´Power Up´ das mit Abstand beste Album der alten Herren seit ´The Razor´s Edge´ und übertrifft seinen Vorgänger mit Leichtigkeit.

Thanx, Malcolm.

 

(7,5 / 7,5 / 7,5 Punkte)

Johannes Zenner
Jürgen Tschamler
Michael Haifl

 

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