PlattenkritikenPressfrisch

FATES WARNING – Long Day Good Night

~ 2020 (Metal Blade Records) – Stil: Metal ~


 

 

Ich muss zugeben, ´Long Day Good Night´ hat mich spontan schneller mitgenommen als die beiden Vorgänger ´Theories Of Flight´ sowie ´Darkness In A Differnt Light´. Nicht dass sich die Alben grundlegend unterscheiden, aber die Songs an sich sind einfach zugänglicher und die Melodien weniger erzwungen. Das Album wirkt geschmeidiger, punktet dabei aber auch mit Tracks, die markant energisch gespielt werden.

´Scars´ ist in diesem Zusammenhang ein exzellentes Beispiel, das FATES WARNING sicher von einer weniger innovativen, aber zugleich härteren Seite zeigt. Im Longtrack ´The Longest Shadow Of The Day´ lebt sich die Band aus, unterteilt den über elf-minütigen Track in zwei Teile, die nicht wirklich einen Zusammenhang erkennen lassen. Während in der ersten Hälfte rumgenudelt wird, mit teils jazzigen Einlagen und kurzen energischen, metallischen Ausbrüchen, verfällt man im zweiten Teil in typische Strukturen wie auf den beiden Vorgängern. Ruhiger, seltene kurze Ausbrecher in mitreißenden Passagen, wirkt der Longtrack irgendwie halbgar.

Dagegen wirken Stücke wie ´Shuttered World´, ´Begin Again´ oder ´Now Comes The Rain´ wie aus einem Guss. Ray Alders Gesang dominiert diese Songs, die mit eindringlichen Gitarrenparts unterfüttert sind. ´Glass Houses´ und ´Liar´ sind sicher, aus Metallersicht gesehen, die intensivsten, druckvollsten Songs, aber auch mit weniger hohem Anspruch. Dennoch agiert man auch bei diesen Tracks weit über Durchschnitt. Auch wunderbar: ´When Snow Falls´. Der langsame, atmosphärisch dichte Track ist für Gänsehaut gut. Gerade die Gitarrenspuren erregen hohe Aufmerksamkeit. Auch überragend: ´Alone We Walk´, das eher zu den „härteren“ Kompositionen gehört und mich immer wieder in die Knie zwingt. Diese Gitarren! Und diese Gesangslinie! Allmächtiger.

Viele der 13 Tracks arbeiten trickreich mit Melodien, die sich nach zwei bis drei Durchgängen wie Zecken im Ohr verbeißen, trotz der verschachtelten, progressiven Elemente, die im FATES WARNING-Musikkosmos unentbehrlich sind. Allerdings hätte man sich ´The Last Song´, welches wirklich der letzte Song des Albums darstellt, komplett sparen können, das wirkt wie ein Lückenfüller mit diesem krass ausgefadeten Ende.

Interessant ist auch der Umstand, dass man für FATES WARNING-Verhältnisse eher kompakte Songs, auf die Songlänge bezogen, abgesehen vom erwähnten Longtrack, produziert hat.

`Long Day Good Night` liefert zwar keine neuen Offenbarungen aus der FATES WARNING-Welt, macht aber klar, dass es mit Erreichtem immer noch möglich ist, Gänsehaut zu erzeugen.

(8 Punkte)

Jürgen Tschamler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das dreizehnte Werk von FATES WARNING, das sich als letztes Werk der Legende entpuppen dürfte, steht eindeutig im Schatten seines Vorgängers. Das 2016er Meisterwerk ´Theories Of Flight´ verzichtete auf elektronische Spielereien und begeisterte mit einer neu gewonnenen Energie und klaren Melodieführung.

´Long Day Good Night´ verpasst es vier Jahre später, abermals den Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben. Das Werk bleibt trotz seiner durchgehenden Stärke wie dereinst ´Parallels´ (1991) im Schatten seines überdimensionalen Vorgängers ´Perfect Symmetry´ (1989), nur dass ´Parallels´ gleichwohl mit legendären Songs wie ´The Eleventh Hour´ und ´The Road Goes On Forever´ oder Hit-Kompositionen wie ´We Only Say Goodbye´ wuchern konnte. ´Long Day Good Night´ ist hingegen, obgleich einige Veränderungen im Spiel sind, äußerst vorhersehbar ausgefallen. Die Kompositionen sind nicht unbedingt spannungsreich aufgebaut und bescheren selten Gänsehautmomente. Womöglich fehlt es diesen schlichtweg an Dynamik, wenn allein die eingängigen Momente aufhorchen lassen und weniges Songmaterial Klassiker-verdächtig heraussticht. Echte progressive Anwandlungen können selbstredend ohnehin nicht erwartet werden. Einem Klassiker sehen wir jedoch im Falle von FATES WARNING regelmäßig entgegen. Wünsche und Hoffnungen werden andererseits nicht immer erfüllt.

Der achtminütige Opener ´The Destination Onward´ dreht folglich in aller Anmut, in den ersten Sekunden gar auf den Spuren von LED ZEPPELIN, langsam seine Motoren auf, die der Einfachheit halber meist mit dem Etikett des Prog Metal verziert werden. Überwiegend wandeln die Tonfolgen jedoch schlicht auf denen des melodischen US Metal, etwa in ´Shuttered World´. Leichte Ohrenschmeichler sind ´Under The Sun´, mit Geigen und Akustikgitarre, oder ´Liar´. Die Kompositionen des Songwriting-Gespanns Jim Matheos/Ray Alder entwickeln selten wie in ´Glass Houses´, ausnahmsweise von Schlagzeuger Bobby Jarzombek mitverfasst, mehr Druck oder Leidenschaft wie in ´The Way Home´. Verblüffend nach Grunge-Tagen tönt ´Begin Again´ und ´When Snow Falls´ dezent nach Alternative Rock. Das epische, elfminütige ´The Longest Shadow Of The Day´ aus der alleinigen Feder von Gitarrist Matheos wandelt nicht uninspiriert sogar in sphärischen als auch doomig schleppenden Bahnen. Und dann holt Jim Matheos zu ´The Last Song´ nochmals die Akustikgitarre heraus und Ray Alder versucht letztmalig alle Emotionen in den Gesang zu legen, bis die letzten Sätze gesungen sind: „The writer writes his final wrong, this is the last song.“

(8,25 Punkte)

Michael Haifl

 


(VÖ: 6.11.2020)