PlattenkritikenPressfrisch

BOB MOULD – Blue Hearts

~ 2020 (Merge Records) – Stil: Powerpop/Punk ~


Er ist 1960 in Malone/New York zur Welt gekommen. Seit 1979 lebt er von Musik. Mittlerweile ist auch er ein Berliner. Lange her, dass man ein Album der HÜSKER DÜ-Legende BOB MOULD als Powerpop bzw. Punk bezeichnen konnte. Doch nach dem letztjährigen ´Sunshine Rock´ ist es im Jahr der US-Wahl und wachsender Sorgen um weitere Qualen unter Trump sowie ein mühseligeres Leben mit Corona höchste Zeit für Mouldsches Akkord-Schieben – garniert mit sanft-süßer Melancholie.

´Blue Hearts´, das zehnte Soloalbum nach dem Exitus von HÜSKER DÜ 1987 und dem Ableben von SUGAR 1995, ist wohl die direkteste Sache in BOB MOULDs vier Jahrzehnten währender Karriere. Es ist eine für seine Verhältnisse wütende 14-Lieder-Sammlung gegen die Deppen dieser Welt. MOULD sagt: „The catchiest batch of protest songs I’ve ever written in one sitting.”

Das Album nahm MOULD im angesehenen „Electrical Audio“ in Chicago mit seinem langjährigen Vertauten Beau Sorenson auf. Hier stimmt jeder Ton in jeder Sekunde. Die Rhythmus-Jungs um Schlagzeuger Jon Wurster und Bassist Jason Narducy machen ihren gewohnt souveränen Job. Das Trio fungiert als Band – keiner steht im Mittelpunkt.

Rückblick: Der Vorgänger ´Sunshine Rock´ war mir fast zu zuckrig, zeigte BOB MOULD „violently happy“ (Rolling Stone). Jetzt: ´Blue Hearts´ ist stürmisch und kritisch pointiert. Das passt zum Mann, der mit HÜSKER DÜ Anfang der 1980er den maskulinen US-Hardcore kastrierte und auf eine künstlerischere Ebene mit Hang zu Harmonien hob. Das passt zum Homosexuellen, der uns zeigte, dass Liebeslieder hart seinen können, nicht gender-konservativ sein müssen – lange bevor die ewig-gestrige Metal-Szene mit ROB HALFORD ihr ruhmloses Coming Out hatte.

MOULD beschäftigt auf ´Blue Hearts´ der Klimawandel, Menschen, Misanthropien – und mal wieder gescheiterte Beziehungen, teils sehr persönlich erzählt. Für MOULD ist es übergreifend eine Reise zurück zu den Anfängen: Seine wütenden Hymnen sind tief verwurzelt in seinen Erfahrungen und Erinnerungen an die ihn prägenden, frühen 80er-Jahre. MOULD war damals der „22-year-old closeted gay man“, der mit HÜSKER DÜ auf Tournee war und erste kommerzielle Erfolge feierte, als Aids seine Community verzehrte. Der aber dann offen sagte, was er fühlte, wie er tickte – und Scham und Schande aushielt.

Dass sich seit nahezu 40 Jahren so viel nicht geändert hat, dafür steht ´Blue Hearts´. Und MOULD wütet weiter – auf seine zurückgenommen sensible Art.

(8 Punkte)


(VÖ: 25.09.2020)