ME(N)TAL HEALTHNeu!Redebedarf

Auge in Auge

Was löst Musik machen oder hören in Menschen aus, worin begründet sich ihr positiver Effekt? Wieso lieben wir Metal so heiß und innig? Macht Metal abhängig? Welche Rolle spielen Emotionen wie Aggression, Angst oder Trauer in unserer Musik? Was bedeutet es, Musiker “mit Leib und Seele” zu sein, und woher ziehen Musiker ihre Inspiration und Energie? Welcher Zusammenhang besteht zwischen ihrem kreativen Schaffensprozess und dem eigenen emotionalen Erleben? Was ist die Voraussetzung für Kreativität? Was macht Metal so dermaßen faszinierend, dass sich die Fans komplett mit dem Genre identifizieren? Das sind die Themen, mit denen wir uns im Rahmen unsere ME(N)TAL HEALTH-Projekts (mehr Infos hier) beschäftigen.

Zu diesen und vielen anderen Fragen und Thesen werden uns Musiker unterschiedlicher Genres Rede und Antwort stehen. Freut euch auf abwechslungsreiche und intensive Interviews!

Ute & Jessi

 

 

~ Interview mit Ralph Schmidt, Teil 1 ~


Als wir 2018 unser ´Me(n)tal Health´-Projekt zum Thema harte Musik und seelische Nöte starteten, stand Ralph Schmidt, Bandkopf von ULTHA und zuvor PLANKS, von Anfang an ganz weit oben auf unserer Wunschliste potentieller Interviewpartner.

Wer seine Musik kennt, weiß, wie extrem emotional diese ist; in seinen Texten nimmt er regelmäßig Bezug auf psychische Herausforderungen als Spiegel gesellschaftlicher Missstände, geht aber auch ganz offen mit seinem eigenen Kampf gegen innere Dämonen um. Bereits in vielen Interviews hat er, wenn auch eher am Rande, seine eigene Schwermut sowie seinen Umgang damit thematisiert.

Trotzdem waren wir mächtig nervös, wie er wohl auf unsere Anfrage reagieren würde, denn wir wollten mit ihm diesmal wortwörtlich da hin, wo es weh tut. Unser Thema ist schließlich der Zusammenhang zwischen Metal und der Verarbeitung extremer Gefühle, zwischen seelischen Nöten und Kreativität, der gesellschaftlichen Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und vielem mehr … harter Tobak für jemanden, der regelmäßig mit seiner Band im Rampenlicht steht.

Umso mehr haben wir uns über seine Begeisterung über unser Thema, seine sofortige Zusage, vor allem aber über sein Vertrauen gefreut, dieses Interview mit ihm führen zu können. Auf seinen Wunsch hin haben wir es als schriftlichen Dialog angelegt, schlussendlich lief es über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Monaten hinweg.

Dass das Leben im Laufe von fast zwei Jahren mit so einigen Überraschungen und Wendungen aufwartet, ist klar – viel ist passiert, die Welt ist aktuell in einem enormen Umbruch, und auch wir haben uns verändert. Fragen, die man jemandem stellt, wollen, mehr oder weniger unbewusst, auch von einem selbst beantwortet werden, und manche überraschende Antwort stößt ungeahnte innere Prozesse an – hoffentlich auch bei euch Lesern! Wir möchten jedoch all diejenigen, bei denen die Thematik Depression/Suizidalität Angstreaktionen auslösen kann, an dieser Stelle warnen; psychologische Notfallnummern haben wir am Ende jedes Teils eingefügt.

Wir freuen uns, euch diese umfangreiche Konversation in den nächsten Wochen in mehreren, thematisch ganz unterschiedlichen Teilen präsentieren zu können. Folgt Ralph und uns also auf eine spannende Reise zu den hellen und dunklen Seiten des Lebens und der Musik, die wir alle so lieben!

 

 

Ralph, in welcher Phase Deines Lebens hast Du begonnen, extreme Musik zu hören? Welche Bands waren damals Dein Einstieg?

Es gab zwei Punkte, die mich zu härterer Musik geführt haben:

An meinem Geburtstag im Jahr 1991 wurde TERMINATOR 2 in den Kinos veröffentlicht. Im Zuge der Promomaschine lief ständig ´You Could Be Mine´ von GUNS’N’ROSES im Radio und auf MTV. Das war einer mein ersten Lieblingssongs von einer klassischen Rockband und dann irgendwie später die Brücke zu AC/DC, MAIDEN, METALLICA, SLAYER etc.

Fast zeitgleich lief ´Smells Like Teen Spirit´ ebenfalls andauernd auf MTV, aber hatte einen noch größeren Einfluss. Retrospektiv würde ich sagen, NIRVANA war die wichtigste Band für meine frühe musikalische Sozialisation. Ich denke, G’N’R war die Brücke zum Metal, und NIRVANA die zum Punk.

In den Winterferien 91 waren meine Familie und ich dann auf einem Austausch in Le Chesnay, der französischen Partnerstadt meiner alten Heimat. Mein Austauschpartner Arnauld war zwei Jahre älter und musikalisch viel weiter. Er gab mir dann am Tag meiner Abreise ein Tape mit SISTERS OF MERCY auf der A-Seite, ALICE COOPER auf der B-Seite. Das war der Anfang. Ende 1992 war ich dann schon im Death Metal angekommen und Anfang 1993 begegnete ich das erste Mal Black Metal. Zeitgleich hatte ich schon etliche Tapes von Älteren aus meiner Schule erschnorrt, wo ich dann u.a. THE CURE, CHRISTIAN DEATH, DEAD MOON, BAD RELIGION, THE DAMNED und auch NEW MODEL ARMY kennenlernte. Letztere avancierten über die Jahre zu meiner Lieblingsband.

 

(Edit April 2020: Zum Thema meiner musikalischen Sozialisation habe ich vor kurzem unter dem Titel „Point Of Entry“ einen Podcast mit meinem Freund Mike Hill (TOMBS) für seine METAL MATTERS Reihe gemacht. Bei Interesse findet ihr den link am Ende diesen Teils.)

 

 

Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass damals, also zu Vor-Internet-Zeiten, der Austausch von Tapes für Musikfreaks so essenziell war, ich denke jeder hat da seine nostalgischen Erinnerungen daran oder die Cassetten sogar aufgehoben. Und Du bist dann also direkt in den Metal und seine düsteren Seiten eingestiegen.

Wie beschrieben ging das dann sehr schnell. Primär wegen meiner Faszination für Monster und Horror. Ich habe dann mit zwölf auch das erste Mal „A Nightmare On Elm Street“, „Phantasm“und „Das Omen“ gesehen. Ich war vom Bösen und dem Düsteren sofort fasziniert. Horrorfilme und Metal passten einfach wie die Faust aufs Auge. Deswegen waren mir klassische Metal- und Thrash-Bands wie IRON MAIDEN, METALLICA und ANTHRAX schnell zu harmlos. Da tauchten immer Teufel und Dämonen im Artwork auf, aber die Musik war nicht böse. Der Kauf der ´The End Complete´ von OBITUARY war dann quasi das „Tor zur Hölle“. Mir war viel Taschengeld zugänglich, deswegen kaufte ich alle paar Tage eine neue Death Metal-CD. Mit DISASTROUS MURMUR und INCANTATION war ich dann endlich da, wo ich hinwollte. Als ich dann dank der „Kerrangg“ mit dem bekannten Norwegen-Special, das mein Vater mir aus England mitbrachte, diese geschminkten Typen sah, die wie direkt aus einem Horrorfilm aussahen, war es endgültig aus. Schnell hatte ich über Magazine (primär durch die ersten Ausgaben der „Ablaze“) ein Netzwerk an Tapetradern an der Hand. Das war eine irre Zeit. Ich ärgere mich total, dass ich all die Sachen später weggab.

Wann hast Du angefangen, selbst Musik zu machen, was hat Dich dazu ermutigt? Welches Instrument hast Du zuerst gelernt?

Mein Vater und ich hatten schon immer ein eher angespanntes Verhältnis. Eine seiner vielen pauschalen Aussagen über mich war, dass ich unmusikalisch sei… ohne dass ich jemals ein Instrument versuchen durfte. Er hatte viele Erwartungen, dass ich so sein sollte, wie er sich einen Wunschsohn vorstellte – am besten als Miniaturversion von sich selbst. Primär ging es der Musiksache darum, dass ich nicht wie er auf Blasinstrumente, Sousa Marches und TRUCK STOP stand. Er wollte, dass ich Tuba lerne – ich wollte ans Schlagzeug. Ein übergewichtiger Junge in bunter Kleidung, der Tuba spielt…ich möchte mir gar nicht vorstellen wie viel schlimmer meine ohnehin schwere Jugend noch hätte sein können.

Nachdem ich die ´Nevermind´ und ´Use Your Illusions 1+2´ hatte, war klar, ich will Musiker sein. Mit ´Would?´ von ALICE IN CHAINS war dann Ende 1992 klar, dass es Bass sein muss. Ich wollte diesen Anfang von diesem Song spielen. Der Song ist heute noch einer meiner absoluten Lieblingssongs.

Von meinem Taschengeld ein Instrument zu kaufen war jedoch unmöglich und von meinen Eltern musste ich keine Unterstützung erwarten. Ich hatte dank Kontakten zu älteren Jugendlichen (die meinen übertriebenen Fanatismus für Musik total gefeiert haben) Zugang zu einem Proberaumkomplex unter einer Dachplanenfirma. Da hing ich oft bei Bands im Proberaum ab und habe zugesehen und zugehört. In einem anderen Raum probten ein paar Dorfnazis, die später eine einschlägig ziemlich bekannte Rechtsrockband wurden. Es gab mit denen immer Duelle auf verbaler und irgendwann auch physischer Ebene. Irgendwann hieß es, wir setzen deren Raum unter Wasser. Spät abends wurde das Ding aufgebrochen und wir haben Eimer um Eimer mit Wasser aus den Toiletten geholt und wirklich den Raum getränkt. Direkt an der Tür stand ein ranziger Bass mit nur zwei Saiten. Ich war gerade mit einem Eimer im Raum als jemand rief, dass Leute kämen. Die anderen waren schon am Wegrennen, da sah ich meine Chance, griff mir den Bass und rannte, so gut das bei einem dicken Jungen ging. Retrospektiv ist das mit dem Klauen etwas für das ich mich schäme (das mit dem Wasser nicht). Aber so kam ich an mein erstes Instrument und habe dann autodidaktisch Bass gelernt.

 

 

Du hast erwähnt, dass das Verhältnis zu Deinem Vater sehr angespannt war, Du aber trotzdem musikalisch entgegen seinen Vorstellungen „Dein Ding“ durchgezogen hast und tatsächlich Musiker wurdest. Kam Dir das Genre Metal da als Ausdrucksmittel entgegen? Selbst bezeichnest Du Dich ja nicht als klassischen Metalhead, gleichzeitig verarbeitest Du Deine Emotionen genau in diesem Musikstil. Warum ist ULTHA z.B. keine Post Punk-Band? Und was passierte davor, wie kam der Bass-Autodidakt zu seiner ersten Band?

Man könnte aufgrund meiner Ausführungen sicher erwarten, dass es psychologisch ganz klassisch „Metal als Auflehnung gegen die Eltern“ war. Tatsächlich kann ich gar nicht greifen, was mich am Sound so mitnahm. Aber es ist dieselbe Frage, die ich mir immer wieder stelle: Wie kam das Negative in meine Gedanken, denn eigentlich hatte ich ein recht okayes Elternhaus, abseits der Engstirnigkeit. Kennt ihr den Film „High Fidelity“? Der Film hat ein Zitat am Anfang, dass mir seit Jahren nicht aus dem Kopf geht: John Cusack sitzt mit Kopfhörern zwischen seiner Plattensammlung und spricht in die Kamera:

„What came first, the music or the misery? People worry about kids playing with guns, or watching violent videos, that some sort of culture of violence will take them over. Nobody worries about kids listening to thousands, literally thousands of songs about heartbreak, rejection, pain, misery and loss. Did I listen to pop music because I was miserable? Or was I miserable because I listened to pop music?“

Diese Frage stellt sich mir sehr oft. Seit ich 13 bin habe ich regelmäßig Alpträume, was das Schlafen oft nicht gerade entspannend macht. Eventuell kam damit auch die Melancholie? Ich weiß es nicht. Insgesamt war Rock und Metal also null Rebellion gegen meinen Vater, aber es war direkt der Ton, der meine Gefühle am ehesten ausdrückte. Und das ist so bis heute. Auch wenn ich selbst nur noch wenig Metal höre und eigentlich Punk, Dark Wave und Filmscores meine Gefühle am ehesten spiegeln. Ich empfinde keinen Hass mehr, dafür konstant Schwermut.

Ich habe mich das, vor allem im letzten Jahr, sehr oft gefragt: Warum Metal? Warum laute und räudige Gitarren? Und auch hier, es ist einfach ein Gefühlsding und keine rationale Entscheidung. Als Jens (erster Gitarrist von ULTHA und einer meiner besten Freunde) und ich wussten, dass Manu nach Köln zieht, war sofort klar, jetzt müssen wir endlich unsere lange geplante Black Metal-Band machen. Mit Jens hatte ich bereits 8-9 Ideen für Bands und wir haben Material dafür geschrieben. Nichts hatte sich je wirklich durchgesetzt.

Black Metal hatte dieselbe Melancholie im Grundsound wie Dark Wave. Deswegen griffen beide Musikrichtungen gleichstark. Dazu mochte ich, es im Sound zu ertrinken, und das konnte man bei monotonem Dark Wave ebenso wie bei Black Metal. Es ist ein „sich im Sound verlieren“, das mich dabei reizt. Musik soll meinen Kopf ausschalten oder einlullen. Beide Genres höre ich bis heute noch gerne, wenn ich will, dass mein Kopf aufhört, mit mir zu sprechen.

Zu meinen Anfängen: Meine erste Band hieß SCHNARRKE und war Deutschpunk. Danach kam FRAUENSACHE, ebenfalls Deutschpunk. Aus meiner ersten Hardcoreband xABSENTx wurde REPUGNANT, eine von Cleveland Metalcore geprägte Band. Nach dem Ende von REPUGNANT kam eine Weile nichts oder nur Projekte, bis HELLSTRÖM gegründet wurden, eine Fastcore-Crustband. Danach PLANKS und dann eben ULTHA.

 

 

Die Frage, ob Musik etwas widerspiegelt, was bekanntermaßen schon in Dir war, oder dir Trost gibt, weil Du dich einfach emotional in ihr wiederfindest, ist hochinteressant und wird uns noch begleiten. Anhaltende Alpträume seit der frühen Jugend sind jedoch noch einmal ein ganz anderer, belastender Aspekt. Würdest Du sagen, die Alpträume waren eine Folge der von Dir selbst erwähnten „schweren Jugend“? Möchtest Du darüber mehr erzählen? Wie wurde deswegen bei Dir interveniert, wie wurdest Du diesbezüglich unterstützt? Was hilft/half Dir vielleicht bis heute?

Ich kann leider nicht wirklich festmachen, wo die Alpträume herkamen. Das gelang mir selbst in Therapiesitzungen nicht. Ich kann mich noch daran erinnern, dass das im zweiten Haus, in dem wir als Familie gelebt haben, wohl so mit zehn Jahren, das erste Mal zu solch einem Traum kam. Die Träume ähneln sich immer irgendwie und es gibt signifikante Orte, die immer wieder eine Rolle spielen. Aber ich konnte nicht herausfinden, ob an diesen Orten, die es real gibt, mal etwas passiert ist, was mir ein Trauma hätte bescheren können. Mir wurde oft geraten, mich mal hypnotisieren zu lassen, aber ich kann mich auf sowas „esoterisches“ nicht einlassen. In einer Therapiesitzung sollte ich mal ein Traumtagebuch anfertigen, aber das hat auch nicht viel gebracht.

Über die Jahre hat sich mein Unterbewusstsein aber auf die Signale in den Träumen eingestellt, so dass scheinbar wie ein Warnimpuls kommt, wenn der Traum von normalem Traum zum Alptraum umschlägt, und ich dann aufwache. Es gibt aber auch Nächte, wo ich danach das Gefühl habe, ich hätte mich im Traum bewusst entschieden, mich dem Alptraum zu stellen; sich der Angst zu stellen. Wenn ich das zulasse, bin ich aber nach dem Aufwachen erst einmal eine ganze Weile gerädert, weil es ziemlich anstrengend ist. Ob und wie das alles „bewusst“ stattfindet, müsste mir wohl ein/e TraumforscherIn erklären.

Grundsätzlich aber sind die Merkmale meiner Träume oft, dass da Menschen aufeinandertreffen, die sich nie an Orten meines Lebens kennen lernen werden, an denen diese nie sein werden. Alle sind aber immer etwas „off“, also, anders und absonderlicher als sonst. Ich glaube dies ist auch einer der Hauptgründe, warum ich nicht mit Leuten klar komme, wenn sie auf Drogen sind.

Zum Thema schwere Jugend möchte ich tatsächlich nicht viel sagen. Kurz zusammengefasst: Von außen betrachtet würden BetrachterInnen sagen, ich hätte ja alles gehabt, was man sich als Kind wünschen kann – leider hatte ich von vielen essentiellen Dingen zu wenig und dafür von anderen bedrückenden Dingen zu viel.

 

 

Alle sind sich darin einig: Musik und Emotionen sind untrennbar miteinander verbunden. Betrachtet man Bandnamen oder Texte mal genauer, so finden sich gerade im Metal extrem viele Andeutungen zu Aggression, Gewalt, aber auch Schwermut und Melancholie bis hin zu Verzweiflung, Suizid und diversen psychischen Erkrankungen. Wir haben zu Beginn unseres „Me(n)tal Health“-Projektes dazu mal eine ziemlich aufschlussreiche Zusammenstellung gemacht, siehe hier.

Warum werden Deiner Meinung nach gerade in diesem Genre so oft sensible oder negative Themen behandelt und in ein musikalisch hartes Gewand gekleidet?

Das ist eine extrem schwere und komplexe Frage. Denke es wird da diverse Abhandlungen aus der Soziologie und Psychologie zu geben. Ganz ehrlich, keine Ahnung. Ich würde wohl den direktesten Vergleich als valide nehmen: Alles dreht sich immer um Gegensätze – hell-dunkel, schön-hässlich, normal-anders, gut-böse etc. Es gab natürlich vor Metal schon lange Blues, der voller Melancholie steckte; weit davor die klassische Musik, wo auch Schwermut und Schmerz eine riesige Rolle spielten. Mit hartem Rock (primär dann im Metal und Punk) kam eine Möglichkeit hinzu, Wut anders auszudrücken, Frustration und Schmerz in seiner emotionalen Urgewalt laut und zerreißend darzustellen, wie es vorher kaum möglich war. Eventuell kommt es daher.

Ich sehe mich immer wieder diesen stereotypen Ansichten ausgesetzt, wenn man sagt, dass man Metal hört: Metal sei Musik für Dumme / Metal sei für Asoziale / Alle Leute, die Metal hören, seien extrem und gefährlich. Tatsächlich sind aber gerade Metalkonzerte oftmals die harmlosesten Events. Vor allem die Leute, die sich auf der Bühne oft ach-so-böse darstellen, sind die harmlosesten Menschen abseits der Bühne, was mich an der Authentizität so mancher Band zweifeln lässt. Viele in dieser Szene verbindet jedoch, dass sie Dinge in Frage stellen, zweifeln und eher negative Assoziationen haben. So stellt sich auch hier wieder die Frage: Das Huhn oder das Ei?

 

 

Du selbst gehst heute offen mit Deinen Depressionen um, sprichst von Enttäuschung, Schmerz und Trauer, und dass Musik Dein Seelenleben in Balance hält. Wie war der Weg dahin, was hat Dich dazu gebracht, Deine diesbezüglichen Gefühle öffentlich zu machen? Und wie fielen die Reaktionen in Deinem persönlichen und öffentlichen Umfeld dazu aus? Empfindest Du Deine Offenheit eher als Befreiung oder fühlst Du Dich stigmatisiert?

Stigmatisiert gar nicht. Es kommt eigentlich nicht vor, dass mich jemand deswegen anders behandelt oder vorverurteilt, zumindest im Kontext der Musik. Meine Familie hingegen sieht so etwas als Einbildung und Hirngespinst an – da gibt es kein Versagen und keine Schwäche; ehemalige Freunde sehen es ebenso als Einbildung und Masche. In der größeren Gesellschaft ist das nochmal anders. Da sind ja viele Themen wie Depressionen und Suizid ebenso tabuisiert wie Sexualität. Es entspricht halt nicht der Norm, dahingehend stark zu empfinden oder andere Ansichten zu haben. Ich selbst bezeichne was ich habe auch nicht mehr als Depression – ich finde, dafür habe ich mein Leben mittlerweile zu gut unter Kontrolle. Ich finde „krankhaft-pessimistische Melancholie“ passender.

Würde ich, egal wie man es nennt, in meinem Arbeitsumfeld offen darlegen wie es mir oftmals geht, könnte dies eine folgenschwere Sache sein. Mit diagnostizierter Depression hätte ich zum Beispiel meine Verbeamtung auf Lebenszeit nicht bekommen, geschweige denn überhaupt eine Stelle. Es geht da um dieses abartige Wort „Funktionsvorbehalt“. Wenn ich es jetzt quasi melden würde, würde ich sofort gezwungen werden zum Arzt und kausal in eine Kur zu gehen, damit ich möglichst schnell wieder „100% einsatzbereit“ bin. Witzigerweise bin ich trotz all dem, was mich ständig bedrückt und sogar behindert, einer der zuverlässigsten Menschen, die dort arbeiten. Ich nehme meinen Job sehr ernst und mein pädagogischer Ethos lässt mich da die nötige Kraft für aufbringen, die mir in vielen Teilen meines Lebens sonst fehlt. Die Arbeit mit Kindern empfinde ich als so ziemlich den authentischsten Austausch, den ich mit anderen Menschen habe. Es hilft mir, weil sie bei vielem so unvoreingenommen, ja „echt“ sind und ich etwas Gutes tun kann, wenn ich nicht so ein Arschloch bin wie viele andere Lehrkräfte. Dazu gibt mir die anstrengende Arbeit da Ablenkung ebenso wie Struktur und Stabilität.

Über lange Zeit kam ich mir vor, als sollte ich nicht offen darüber reden. Bildete mir ein, Angst vor dem zu haben, was andere denken, was sie sagen. Tatsächlich war es eher die Angst, dass ich wieder hängen gelassen werde. Das war und ist nämlich eine der wenigen Konstanten in meinem Leben und sicher großer Teil des Problems, warum ich meinen Kopf nicht frei bekomme: Ständige Bedrohung der Enttäuschung und des am Ende alleine Dastehens, und das obwohl ich total gerne alleine bin. Die Balance ist bei diesem Thema momentan gerade wieder enorm in Schieflage. Ich verknüpfe diesen Teil meines Lebens mit Poe’s “The Man of the Crowd“. Die Einsamkeit half mir und machte mich noch kränker, bis ich an den Punkt kam, dass ich merkte, es muss sich etwas ändern. Ich habe mehrere Therapieansätze gemacht, aber nie die Person gefunden, die ich wirklich ernsthaft an mich ranlassen konnte. Komischerweise kamen aber auf Konzerten von meinen Bands immer wieder Leute auf mich zu und sprachen mich auf meine Texte an. Diese Texte sind wie ein kryptisches Tagebuch und helfen mir, Gedanken zu sortieren und Gefühle zu beschreiben. Der Austausch mit völlig Fremden wurde mir lieber als jedes Gespräch mit Leuten aus meinem Umfeld. Warum das besser für mich funktioniert als Gespräche mit Bekannten wäre eine Frage, die sicher eine therapeutische Fachkraft besser zu entschlüsseln vermag.

 

 

Dein Mut, als „öffentliche Person“ auch über Deine negativen, verwirrenden und belastenden Empfindungen zu sprechen, ist bewundernswert, das schaffen leider nur die Wenigsten, auch wenn es enorm befreiend sein kann (und hier sprechen auch wir aus eigener Erfahrung). Daher ist es toll, dass Du meist sehr positives Feedback darauf bekommst.

Andererseits kennen wir, mit ganz unterschiedlichem Background, genau das Phänomen, dass Angehörige und Freunde überfordert davon sind, wenn psychische Probleme angesprochen werden – was sicherlich auch daran liegt, dass, wie Du selbst sagst, der ganze Themenkomplex seelischer Ausnahmezustände und -erkrankungen in unserer Gesellschaft tabuisiert ist, und daher auch kaum jemand weiß, wie er in einem solchen Fall, ja vielleicht sogar einem echten Notfall, reagieren soll. Hier mehr Bewusstsein zu schaffen, die Grauzone durch Aufklärung aufzubrechen und damit auch die Hemmschwelle für Betroffene zu senken, ist ja auch eine der Hauptmotivationen unseres „Me(n)tal Health“-Projektes.

 

 

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TRIGGERWARNUNG & NOTFALLNUMMERN

Falls sich beim Lesen dieses Interviews unangenehme Gefühle bei Dir eingestellt haben oder du dich verunsichert fühlst, weil du vielleicht gerade selbst in einer Krise steckst, dann solltest du dies unbedingt ernst nehmen! Es hilft immer, mit jemandem darüber zu reden, die Telefonseelsorge ist 24/7 anonym und kostenfrei für dich da nach dem Motto „Sorgen kann man teilen“:
Rufnummern: 0800 / 111 0 111     –     0800 / 111 0 222     –     116 123

Falls dir das lieber ist, kannst du dich hier mit jemandem per email oder Chat austauschen: https://online.telefonseelsorge.de/

Tagsüber gibt es bundesweit das kostenfreie Angebot des Info-Telefon Depression: 0800 3344533, wo du weiterführende Infos zu Anlaufstellen in deiner Nähe erhältst.

In akuten Krisen wende dich jedoch bitte an deinen Arzt oder Therapeuten, bzw. die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.

Österreich: www.telefonseelsorge.at

Schweiz: www.143.ch

 

https://templeofultha.com/

https://ropesofnight.bandcamp.com

https://planks.bandcamp.com/

 Mehr zu ULTHA findet ihr hier.