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SINISTER – Deformation Of The Holy Realm

~ 2020 (Massacre Records) – Stil: Death Metal ~


28 Jahre ist es für mich her, dass ich mir die erste SINISTER ´Cross The Styx´ gekauft hab, die beiden von 1993 und 1995 hatte ich danach auch noch, dann verlor ich das Interesse über die Zeit und gab sogar die zweite und dritte CD wieder weg, was ich bereue. Jetzt bin ich mit 45 / 46 erst so richtig auf den Trip mit technischem, präzise geknüppeltem Death Metal gekommen, bei dem im ganzen Gewürge und Gehaue auch extrem coole Melodien zu finden sind und arbeite mich durch die Jahre, immer auf der Suche nach alten Helden und da sind die äußerst umtriebigen SINISTER, bei denen als einziges Gründungsmitglied noch der frühere Drummer und jetzige Growler Aad Kloosterward (seit 2005 am Mikro) dabei ist, mit einer neuen Scheibe am Start. Die Songs an sich klingen bei allen Wechseln an Gitarre und Bass und Schlagzeug und Gesang immer noch nach SINISTER. Gnadenlos ist das verdrehte Riffing dabei, Dir die Rübe vom Hals zu metzeln, gnadenlos knattert der Bass, donnert das Schlagzeug. Dazu kotzt Aad wirklich abartig widerwärtig ins Mikro. Stilistisch geben SINISTER dem Genre keine Innovationen. Aber die Songs haben es in sich.

Nach dem Intro ´The Funeral March´ schädelt der Titelsong in gewohnter Manier drauflos, scheint mir aber bei allem Riffmassaker sehr schmissig und bekommt im weiteren Verlauf viele Melodien dazu, die sogar bis zur Blütezeit der ersten Death Metal-Welle im tiefsten Underground Mitte der 80er und hin zu den alten Thrashklassikern tendieren. Das wilde, leidenschaftliche Gitarrensolo ist so entfesselt und melodisch zugleich, dass hier ein absoluter Ohrwurm entsteht. ´Deformation Of The Holy Realm´ ist eine echte Death Metal-Hymne, die zwar treibender und wilder als u.a. POSSESSED mit ´The Exorcist´ 1985 daherkommt, aber ein ähnliches All-Time-Fave-Potential aufweist.

´Apostles Of The Weak´ hat im Refrain ein paar Bombastchöre als Beigesang zu Aads Gekotze und ist ohnehin sehr von Melodien und noch mehr Melodien getrieben, eingängig, wild und mitreißend. Die spieltechnische Präzision wird dabei stets beibehalten. SINISTER geben sich einmal mehr als absolute Genreanführer und zeigen der Brutal-Death Metal-Szene, wie man Songs schreibt, die sich auch in der Seele des Fans festsetzen. Sie bleiben dabei sogar recht traditionsbewusst an ihrem ureigenen Stil kleben, aber das setzt sie unter Zugzwang, wirklich frische Ideen einzubringen. Mit ´Apostles Of The Weak´ ist ihnen das gelungen. Ein Song, der zwar von 1992 hätte sein können, der aber 2020 noch immer absolut relevant klingt.

Aad ist über 50, die anderen zum Teil im gleichen Alter oder nicht weit davon entfernt, ex-Bassist und nun Gitarrist Ghislain Van Der Stel (Thundersteel?) scheint ein wenig jünger. Die Kombination macht es aus. Jeden Song einzeln zu beschreiben, brauche ich da auch gar nicht. Die Marschrichtung eines SINISTER-Albums ist seit fast 30 Jahren gleich. Zwischendrin haben sich nach 1995 auch hier und da ein paar Kriecher eingeschlichen, die immerhin noch okay waren. Aber das ist Geschichte, 2020 sind SINISTER doppelt und dreifach auf der Höhe. Wenn sie heute live spielen könnten und ich alter Sack dabei wäre, ich stünde in den vorderen Reihen in einer tobenden Menge vor schierer Lebenslust durchdrehender Deathbanger und pogte mit, bis mir die müden Knochen schmerzten. Dies ist zwar durchaus Musik, die man sich anhört, gerne über Kopfhörer, damit bei aller Raserei auch die schönen Details und eindringlichen Melodiechen vollkommen erfasst werden, aber dieser massive Energiebolzen lädt einen förmlich ein zum Explodieren.

Thrashpassagen im Mid-Tempo kommen verstärkt vor und immer wieder bricht die Band in eruptive Geschwindigkeitsregionen aus, bleibt dabei jedoch nachvollziehbar und packt Dich, reißt Dich mit, in die dunkelsten Tiefen eines abyssalen Strudels, der irgendwo in Deiner Seele endet. Wenn sie dann solche ergreifend schönen, ja das gibt es, Melodieparts wie in ´Unique Death Experience´ einflechten, kannst Du als kleiner Mensch Deine Gefühle kaum halten.

Auch wenn ich immer ein Debütalbenfreund bin und zu meiner Schande gesehen muss, die anderen SINISTER-Platten nicht wirklich zu kennen, was ich aber nachholen will, für mich ist das hier ihre bisher beste Platte, zumindest von allem, was ich gehört hab.

1992 mit 18 hätte ich das hier wohl jeden Tag bis zum Erbrechen gehört, man hatte halt noch nicht soviel Zeug. Aber 2020 bleibt mir da wohl auch nichts anderes übrig. Ob SKELETAL REMAINS, die US Jungspunde da noch einen draufsetzen können? Die Performance ist hier 10 Punkte wert, die Balance aus Technik, Brutalität und packendem Songwriting auch. Innovationen finden sich nicht, dafür aber liebe ich den Klang. So schenke ich SINISTER einen fetten 9er und empfehle jedem Fan von klassisch brutalem Deathmetal mit geilsten Songs ein Album, das für ewig zum Klassiker werden könnte, auch 30 Jahre nach der absoluten Hochphase.