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DOCTOR BUTCHER – Doctor Butcher

~ 1994/2020 (BlackBeard/Jolly Roger) – Stil: Power Metal ~


Soweit die Gedanken noch richtig kombinieren können, gelangten im Jahre 1994 zwei Alben aus einer Bestellung in die heimischen vier Wände, die überraschender Weise bereits beide bei den ersten Runden, auch sobald im Beisein früherer Weggefährten, auf Begeisterung stießen. Bei dem ersten Silberling anfangs eher verwunderlich, handelte es sich schließlich um den Newcomer from Down Under VAUXDVIHL mit seinem, sich erst im Laufe der kommenden Wochen und Monate, peau a peau als Jahrhundertwerk herauskristallisierenden Scheibchen ´To Dimension Logic´. Die andere Silberscheibe lautete auf den ebenfalls frischen Bandnamen DOCTOR BUTCHER, wollte dennoch von allen Seiten sofort in Dauerrotation geschickt werden. Denn DOCTOR BUTCHER waren die neue Formation von Jon Oliva und Chris Caffery, beide von SAVATAGE nicht unbekannt. Jon hatte SAVATAGE 1979 mit seinem Bruder Criss Oliva gegründet, Chris Caffery gehörte seit der ´Hall Of The Mountain King´-Tournee dauerhaft dem Florida-Kollektiv an.

Nachdem Jon Oliva „seine“ Band SAVATAGE nach der Tour des Meilensteins ´Streets: A Rock Opera´ (1991) verlassen hatte, ruhten die Hoffnungen der Anhänger dieser einstigen Gesangslegende auf diesem neuen Projekt. Denn SAVATAGE beschritten zwar mit dem Songwriter Jon Oliva, aber mit dem Sänger Zachary Stevens auf dem Nachfolger ´Edge Of Thorns´ (1993) neue Wege. Für die Plattenfirma war der immer noch nicht ganz von seinen Drogen- und Alkoholproblemen weggekommene Jon Oliva ein Wagnis, so dass das Debüt von DOCTOR BUTCHER vorerst allein in Europa erschien.

Der ursprüngliche Albumtitel ´A Living Hell´ offenbart womöglich die einstige Gemütslage. Die beiden Männer hingen tagelang in Jons Wohnung in Florida ab, tranken Whiskey und fassten eines Tages den Entschluss, ehe sie ewig auf der Couch trinkend herumsitzen, einfach Heavy Metal-Songs zu komponieren. Das Ergebnis ist ´Doctor Butcher´, ohne jegliche Ambitionen eines ausgeklügelten Konzepts wie in jenen Tagen bei SAVATAGE und ohne die Detailversessenheit eines Paul O’Neill.

Oliva und Caffery nahmen das Album, mit Co-Produzent und Engineer Jim Morris an der Hand, sowie Schlagzeuger Johnny Osborn (METAL REIGN, CIRCLE II CIRCLE), in den berühmten „Morrisound Studios“ kurzerhand alleine auf. Auf dem Backcover sollte zwar Bassist Brian Gregory mit Bild abgebildet werden, doch den Bass spielten die beiden Hauptakteure selbst ein. So erschien im Dezember 1994 die „Collection of Love Songs, written by Christopher Caffery and Jon Oliva“.

 

 

Das italienische Label „Jolly Roger“ hat ´Doctor Butcher´ aktuell von „Sony Music“ lizenziert und veröffentlicht das Album als Teil der „BlackBeard“-Serie erstmals auf schwarzem Vinyl, 100 Stück in Orange.

Ob Kult oder Klassiker, ersteres unbedingt, ist bei ´Doctor Butcher´ für den eingefleischten SAVATAGE-Anhänger nicht ganz so entscheidend. Von DOCTOR BUTCHER solch ein übermächtiges Werk wie etwa SAVATAGEs ´Gutter Ballet´ zu erwarten, wäre ohnehin vermessen gewesen. Viel wichtiger war: Jon Oliva lieferte seinen Anhängern endlich wieder zügellosen Heavy und Power Metal und insbesondere seine einmaligen Schreie, die allein der Mountain-King auf diesem Erdball auszustoßen vermag. Chris Caffery war zwar kein Criss Oliva, dennoch blitzt immer wieder sein Können auf und zudem holt er die fetten Riffs aus der Hinterhand.

Bereits das Intro des Openers ´The Altar´ setzt Glücksgefühle frei. Der Song bringt den SAVATAGE-Anhänger, mit ausgiebigen Oliva-Schreien, mindestens sieben Jahre in der Zeitrechnung, zu ´Hall Of The Mountain King´ zurück. Ganz ehrlich, wer diese Riffs und Schreie hört, fragt sich umgehend, wer der echte Metal-God ist. Und dann lassen Caffery und Oliva einfach nur noch Dampf ab. Die Schwätzer und Lügner bekommen ein „Fuck You“ vor das Gesicht geknallt, wenn Oliva ´Don’t Talk To Me´ schreit. Das ist geballter Geradeaus-Heavy Metal. ´Reach Out And Torment Someone´ besitzt über zwei Minuten sogar diesen thrashigen Ansatz gleichsam eines ´Agony And Ecstasy´ von ´Streets: A Rock Opera´. In ´Seasons Of The Witch´ spricht Jon die Strophen, ehe die Gitarre den Sänger und den Song zum Höhepunkt treiben. Die Gitarre führt das liebliche ´Juice´ hin zu ´The Chair´, dem nächsten Metal-Brecher über den unbarmherzigen Todesstuhl. Im Nachhinein ist es auffällig, wie oft Jon Oliva in seiner hoch-emotionellen Darbietung innerhalb des Werkes Gott, Jesus und Christ anruft.

Härte und Melancholie vereinen sich in ´Innocent Victim´, dem Eröffnungstrack der B-Seite, bisweilen in der „Halle des Bergkönigs“-Atmosphäre. Und dann hallen immer wieder diese lustvollen Schreie, mit denen der Hörer im Stampfer ´The Picture’s Wild´ begrüßt wird, durch die Szenerie. Dagegen ist das zurückhaltendere ´Lost In The Dark´ abermals in dieser zerreißenden ´Streets´-Stimmung gehalten. Die Härte und die Wut, wie sie auf der A-Seite geradezu ausgespuckt wurde, versprüht nochmals ´I Hate, You Hate… We All Hate!!´. Da lodert das Feuer im Blut. Und das Blut, das derzeit auf den Strassen vergossen wird, und einen um sich greifenden Hass sah Jon Oliva bereits 1994 im finalen Track ´All For One, None For All´ vor seinen Augen:

It’s every man for himself now
That’s the way it’s gonna be
A nation armed and ready
Civil war that’s sure to be in a future
As things just keep going on

Young people die in the future for children

All for one, none for all
All for one, none for all – No none at all

It’s a world of confusion
Got to look out for number one
If you don’t no one else will
Leave you under the gun
Alone you stand a shadow by your side
On your face I can see the misfortune

 

 

Ein zweites Album mit dem Arbeitstitel ´The Good, The Bad, And The Butchered´ war zwar für 1996 geplant, erschien jedoch nie. Eine Demo-Kompilation erschien 1999, sowie ein Re-Release mit Demo-Songs 2005.