MeilensteineVergessene Juwelen

LEE CLAYTON – Naked Child

 ~ 1979 (Capitol Records) ~


Hierbei handelt es sich weder um Metal und noch nicht einmal um Hardrock. Oft gab es aufgrund seines ersten Albums (Achtung: Country!) auch Streit, ob jetzt Country oder Rock seine Basis sind. Aber keine Angst! Wäre hier Countrymusik veröffentlicht, würde mein Name nicht darunter stehen (vielleicht unter dem Pseudonym John Denver) und ich würde wahrscheinlich hier die „Rote Karte“ kriegen. Diese ganzen Schubladen sind aber auch albern und haben schon manches Talent vernichtet.

´Naked Child´ ist schlicht und einfach ein Meisterwerk der klassischen amerikanischen Rockmusik. Der Output von Lee Clayton über drei Jahrzehnte ist überschaubar. Dafür umso wertvoller. Schon seine Biographie, die Stationen als Bomberpilot oder des depressiven Nichtstuns enthält, ist fesselnd. Mit dem großartigen ´Naked Child´ hat er diese autobiographischen Episoden musikalisch und textlich glänzend verarbeitet und stellt sie seiner Zuhörerschaft haut-  bzw. ohrnah zur Verfügung. In Philip Donelly, dem rothaarigen, leider 2019 verstorbenen Iren (spielte schon Rhythmusgitarre auf Gary Moores ´Grinding Stone´), fand er einen musikalischen Mitstreiter, der mit seinem großartigen Gitarrenspiel die acht Songs zusätzlich veredelt hat, aber leider bei den Live-Auftritten wohl übermäßig stark unter Lampenfieber litt.

 

 

Höhepunkte gibt es auf ´Naked Child´ viele (nämlich alle acht Songs). Trotzdem sind hier zu nennen: ´I Ride Alone´, die in Liedesform gegossene Personifizierung des einsamen Cowboys, des „Outlaws“, das Testosteronverseuchte ´10.000 Years / Sexual Moon´. Das Lied über die Zerstörung von Liebe und Lust durch Kokainmißbrauch ´A Little Cocaine´ (Zitat: „And you blew it babe, oh you blew it babe. For a few lousy lines of cocaine“). Und schließlich die in 4:41 komprimierte Lebensgeschichte ´If I Can Do It (So Can You)´, die einen in ihrer Intensität am Ende der Veröffentlichung sprachlos lässt und bei allen darin genannten schwierigen Lebensphasen mit einer optimistischen philosophischen Botschaft aufwarten kann. Es gibt auch zwei sanfte Balladen, als kleine Vorwarnung. Die Platte gibt es übrigens beim Second-Hand-Dealer für ein paar Euro…(CD etwas teurer). Zahle ich bei Nichtgefallen zurück (aber nur bei der LP).

Bei Lee Clayton lebt der Begriff des Songwriters im wahrsten Sinn des Wortes, er war der personifizierte und selbsternannte wirkliche „Outlaw“ und hatte auch eine souveräne Ausstrahlung. Lee Clayton – von Musikern und Kritikern geliebt – vom Massenpublikum übersehen oder irgendwo in den oben genannten (schlechten) Country-Topf aussortiert, weil ein paar Country-Größen mit seinen Songs Erfolg hatten. Einen guten Einstieg in die Welt Lee Claytons bietet auch die Rockpalast CD/DVD mit seinen stärksten Songs und dem großartigen Alter Ego Philip Donelly. Fünf Studioalben und ein Live-Album hat Lee Clayton von 1973 bis 1994 veröffentlicht. Was er jetzt macht, weiß ich nicht, 2011 nach einzelnen Lebenszeichen auch auf YouTube verliert sich seine Spur. Sicher nicht Bomber-Pilot, hoffentlich nicht Dauerapathismus. Neben diesem Nukleus seines Schaffens sind das Vorgänger-Album ´Border Affair´ (Anspieltipps: ´Tequila Is Addictive´, Rainbow In The Sky´) und das nachfolgende ´The Dream Goes On´ (gibt es noch nicht einmal als CD, nur im teuren Dreierpack) mit der unschlagbaren Kapitalismus-Kritik ´Industry´, dem wütenden ´Where Is The Justice´ und dem visionären Titelsong zu empfehlen und der genannte Rockpalast-Doppelpack.