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Necio Records – Spezial

~ Sounds aus den Untiefen des finstersten Underground ~


Sonntagmittag, Sonnenschein, nichts zu tun, zu Haus allein. Da steht unsere allseits bekannte Vertriebsfachkraft für Pilze vor der Tür. Ein Päckchen hat sie dabei. „Hier“, sagt sie, „ein paar Tonträger. Die kommen den weiten Weg aus Lima in Peru.“ 

Necio Records, ein kleines Undergroundlabel aus der peruanischen Hauptstadt, hat zuletzt ein paar Leckereien veröffentlicht. Das ist sicher nicht jedermanns Sache. Also sind ein paar von uns Streetclippern mal auf die Suche gegangen. Nein, nicht nach Pilzen, wir haben nach Perlen gesucht in der Necio Diskographie.

Necio Records (Spanisch: Narr) ist ein 2013 von Arturo Alonso Quispe Velarde in Lima gegründetes Label, welches sich vor allem auf Doom, Stoner, Psychedelic und Space Rock spezialisiert hat, aber auch mal links und rechts bei Noise, Experimental und sogar Progressive Rock vorbeischaut. Für die Veröffentlichungen wird kein Medium ausgelassen und so finden sich neben Vinyl und CDs auch Kassetten im Katalog.

Selbstverständlich sind Necio Records, wie es sich heutzutage eben gehört, auch in allen relevanten sozialen Medien, wie Facebook, Youtube, Bandcamp, Soundcloud etc. vertreten. Gründer Arturo ist selbst Musiker und spielt Schlagzeug bei der Progressive Rockband CHOLO VISCERAL. Da ihn das alles scheinbar noch nicht auszufüllen vermag, organisiert er auch noch seit Februar 2017 regelmäßig das in Lima stattfindende „Festival Undercaos“, welches sich vor allem dem psychedelischen Rock verschrieben hat.

Ein kurzes Dankeschön sei mir hier gestattet an Don Carlos für seine Nachhilfe in Spanisch.

 


ANCESTRO – Ancestro (NR-LP 012)

Das neueste Pferd im Stall „Necio Records“ sei zuerst genannt. Die Peruaner von ANCESTRO machen sich auch gut in der Freak Show.

Lassen wir das Intro ´Engendrar´ außen vor, werden geneigte Hörer beim eigentlichen Opener ´El Ojo Abierto De Dios´ erst einmal von Gitarrenwänden überrollt, ehe sich dieser Track als ein zähflüssiges, sphärisches Stück Space Rock entpuppt, welches irgendwo zwischen PINK FLOYD und HAWKWIND heimisch ist. Stimmungswechsel. Das folgende relativ schnelle ´Triskelion´ wühlt tief im KOSMOS der düsteren BLACK SABBATH. Die Claims, wo sich ANCESTRO, zu deutsch Vorfahren, musikalisch herumtreiben sind also schon mal abgesteckt.

Einem Instrumentalalbum ein lyrisches Konzept nachzusagen, mag vermessen sein. Wenn aber Songtitel von Gott, Teufel, Zerstörung und Erlösung sprechen, fällt das nicht schwer.

Ein letztes Wort. Ich mag Instrumentals. Mit komplett instrumentalen Alben tue ich mich allgemein eher schwer. Die brauchen das gewisse Etwas um zu fesseln. Das ist nicht bei allen Alben dieser Art zu finden. Hier schon, wenn ich es auch nicht näher zu definieren vermag. Als Anspieltipp möchte ich die komplette B-Seite nennen, mit dem zerstörerischen ´La Destrucción´ und dem überlangen sphärisch-schwebenden ´Salvación´.

(8 Punkte – Mario Wolski)


CHOLO VISCERAL – Live At Woodstaco (NR-LP 006)

Hier trommelt der Chef noch selber. Der Inhaber des Labels, Arturo Alonso Quispe Velarde, ist nicht nur verantwortlich dafür, dass wir diese Musik genießen können, er ist auch als Musiker aktiv. 

2018 wurde CHOLO VISCERALs Livealbum im chilenischen Parral mitgeschnitten, beim „Woodstaco-Festival“. Und die Jungs klingen mächtig nach Woodstock… Herrlich altmodischer Jazzrock, wenn dieses Wort im Moment nicht so peinlich wäre, ich würde sagen wunderbar verschwurbelt. Teile, die miteinander verwoben sind, zusammengehalten von wunderbar fesselnden Rhythmen. Und dazu die Flöte, die manchmal klingt wie die Unschuld vom Land und kurz darauf eine urbane Laszivität zeigt.

Dies war die erste Scheibe, die ich genossen habe. Und ja, ich muss gestehen, ich habe nicht damit gerechnet, so spannende Musik entdecken zu dürfen. Leider, leider ist dieser Viertracker viel zu kurz.

(7,5 Punkte – Mario Wolski)


EL JEFAZO – Simbiosis (NR-LP 007)

Eine apokalyptische Monstergestalt vor Atommüllfässern auf dem Cover, die an die unaussprechlichsten Schöpfungen eines H.P. Lovecraft erinnert, das kann ja heiter werden.

EL JEFAZO sind aus Peru, 2014 gegründet, 2016 mit einem ersten Album in Erscheinung getreten. Jetzt kommt ´Simbiosis´, dröhnender Stonerdoom mit psychedelischen Passagen, die einen in die brütende Atmosphäre einer Wüstenlandschaft entführen. Man sieht zwischen den Sanddünen in leichte, sehr bunte Gewänder gekleidete Hippiemenschen tanzen, einige haben sich derer auch bereits entledigt und sich selbst im Liebesspiel verloren.

Der instrumentale Stonerrock der Peruaner ist tatsächlich sehr lustvoll, aber auch entschlossen und cool zuweilen. Die verträumte Verlorenheit in der eigenen Leidenschaft wird von knackigen Powerriffs bisweilen unterbrochen. Aber die Lust bleibt hauptsächliches Thema auf dieser Platte, wenn denn schon ein Song ´El hedonista´ heißt. Die Musik an sich ist gut komponiert, die Riffs gut gespielt, sehr lebendig inszeniert, der Sound ist wuchtig und dabei natürlich. Alles Punkte auf der Habenseite des Albums. Es macht für den Moment des Hörens große Freude, aber, und jetzt kommt ein gewaltiges ABER, es bleibt bei der Freude für den Moment, denn genau dieses Album hat es schon gegeben, genau in diesem Stil, mit diesen Riffs und vielleicht sogar dem einen oder anderen Schnörkel. Und diese Alben, die es schon vorher gegeben hat, waren meistens noch besser, herausragender, mitreißender, einzigartiger wegen des Gesangs.

Instrumentale Rockmusik funktioniert im Surfbereich, da aber auch nicht immer. EL JEFAZO funktionieren natürlich, aber bei aller Freude an diesen Songs für den Augenblick bleibt in der Seele nichts zurück als der Wunsch, noch mehr davon zu hören, allerdings nachhaltiger in der Wirkung. EL JEFAZO sind ein schneller Kick, ein kurzes Brodeln und ein aufflackerndes Glücksgefühl, aber sie sind nicht dauerhaft. Und sowas hat man in der Sammlung, das hab ich alles schon. Würde ich mir vielleicht kaufen, wenn ich zuviel Geld hätte, aber auf meiner persönlichen Liste von vielleicht einzukaufender Musik wäre eine solche Platte nicht enthalten. Und das ist schade.
Ich will die Band nicht absauen, sie tun ihr Bestes und das wirklich gut, aber mit einem geilen Sänger wäre das hier vielleicht ein Album mit nachhaltiger Wirkung. So bleibt ein schönes Stonerrockerlebnis, an das man sich nur bruchstückhaft erinnert.

Wer alles aus dem Bereich kaufen muss, der soll sich ´Simbiosis´ von EL JEFAZO zulegen, es ist eine gute Platte, eben blass und ohne Gesicht.

(6 Punkte – Sir Lord Doom)


KNEI – III (NR-LP 010)

Argentinien ist ein riesiges und vielfältiges Land. Die Weiten der Pampa treffen auf die Riesen der Anden. Die Gestade des Atlantik kontrastieren zu weiten, fast wüsten Landstrichen. Armut in den Armenvierteln der Städte und die Paläste der Reichen stehen nahe beieinander.

Ebenso vielfältig ist der Sound des Trios KNEI. Knietief in den Sounds der 70er Jahre verwachsen finden sich Einflüsse aus Blues Rock und Psychedelica, aus Prog und Heavy Rock. So muss Powertrio, immer nach vorne, immer 100 %. Gaspedal statt Bremse. Das knarzt und groovt, das tanzt und swingt. Und die spanischen Lyrics passen wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer.

Für die Feingeister unter den Hörern haben sich KNEI bei zwei Stücken von einem Kammerorchester verstärken lassen. Die Herkunft aus der abgelegenen argentinischen Provinz ist nicht einmal zu erahnen. Im Gegenteil, hier klingt die weite Welt aus jeder Note.

(9 Punkte – Mario Wolski)


PARAHELIO – Surge Evelia, Surge (NR-LP 009)

Direkt aus Lima stammen die Instrumental-Rocker von PARAHELIO. Es scheint mir, als ob dieser 3-Tracker bei einer riesigen Jam-Session entstanden ist. Die Truppe, nicht einmal die beteiligten Musiker sind irgendwie zu eruieren, nimmt sich viel Zeit, genau genommen 12, 13 und 23 Minuten. Ungeduldige Hörer werden auf eine harte Probe gestellt. Es ist schwer zu warten, bis etwas passiert. Das kann man langweilig finden. Oder hoch spannend. Und es kann sogar von der Tagesform abhängen, ob man es aktuell mag. Inspiriert wurden PARAHELIO durch La Rinconada. Die höchstgelegene Stadt der Welt entstand um eine Goldmine. Und trotz des Goldes herrschen so ärmliche Verhältnisse, es gibt weder fließendes Wasser noch Kanalisation.

Das Leben in dieser Stadt schlägt sich nieder auf die Stimmung der Musik. Die genauso gut auch einen Flug durch den Weltenraum untermalen könnte. Das ist sicher nicht der Soundtrack für lange Autofahrten, das könnte sehr ermüdend wirken. Aber abends, in der Waagerechten, im Kopfhörer-Modus, vielleicht auf dem Bildschirm ein flackernder Kamin oder der Blick aus dem Führerhaus eines Zuges, das beruhigt, reinigt den Geist. Nicht einmal Pilze sind noch nötig, um neue Formen und Farben zu entdecken.

(8,5 Punkte – Mario Wolski)


SATURNDUST – RLC (NR-LP/008)

Der Bandname passt, denn irgendwie so verloren und zeitlos zäh wie der Kosmos wirkt auch der Spacedoomsound von SATURNDUST aus Brasilien. Die Samba Lebensfreude des brasilianischen Jetset weicht hier einer Klanghölle, die über die wütenden und blasphemischen Thrash – und Deathmetaleruptionen von schmutzigen Favelabewohnern hinausgeht, wie man sie von den Dschungelthrashlegionen á la SEPULTURA, SARCOFAGO, GENOCIDIO, HOLOCAUSTO und ähnlichen Brüdern der 80er her kennt.

SATURNDUST sind derb, sehr derb. Ihre klassischen Doomriffs werden noch weiter verlangsamt dargeboten und mit Klängen aus dem Synthesizer vereint, die eine kosmische Atmosphäre schaffen und vielleicht sogar einen ganzen neuen Kosmos entstehen lassen. Der Urknall mit Blastbeats im ersten Song, irgendwo in der Mitte dessen und das wütende Schreien darüber im besten Sludgestil, werden sicherlich für die Entstehung einer neuen Welt gesorgt haben und sei es in unserer Fantasie. Das zähe, brodelnde Kriechen der pechschwarzen Riffs – mit diesen surrenden, wabernden Synthesizern dazu – ist für den Hörer eine komplett trippige Erfahrung. Dass die Band dabei sogar sowas wie Ansätze von Melodien ins Spiel bringt, macht ihre Musik zumindest ein wenig menschlicher. Der kranke Gesang zwischen Heldentenor und wütendem Hardcorepunkkreischen bringt noch mehr Gefühle ein, macht das Endergebnis jedoch nicht weniger verstörend. Zuweilen wogen die Passagen wie ein vom Sturm aufgewühlter Ozean, die Abwechslung ist also schon gegeben, auch wenn alles wie eine einzige Klangwand vor Dir steht. Manchmal glaubt man auch, in einer alten Werkshalle voller riesiger halb verrosteter und doch arbeitender Maschinen zu sein. Infernalisch ist das der richtige Ausdruck.

Ein Trip zwischen bunter Psychedelik und schierem Wahnsinn der apokalyptischen Art wird hier geboten, weniger Song an sich, mehr Klanggemälde, wie es Hieronymus Bosch kaum irrsinniger und detaillierter auf seine Leinwände bekommen hätte.

Es gibt Augenblicke, da begibt sich die Band ganz in Gefilde von kosmischer Musik oder auch Musique Concrète, letztere ist im Grunde pures maschinelles Brummen und Sausen zwischen Zahnarztbohrer und alten Modemklängen bei der Einwahl. In der Röhre bei einer Computertomographie hat man ähnlich musikalische Erfahrungen. Dann wieder gibt es diese bleischweren Brecher von einer majestätischen Morbidität und hier und dort mittelschnell donnernde Heavyparts, bei denen dann Sludgedoom, alter Deathmetal und der nicht ganz so flotte 80er Crustmetal englischer Art aus den Speakern poltern. Roh, scheppernd, wüst, bombastisch und derb wirken solche Augenblicke.

Heavy ist hier alles, heavy und düster, voll von Leichengewürm, abscheulich nach Verwesung duftend. Bilder vom Weltenende, von den realen Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs, von unaussprechlichen Ritualen zur Anrufung namenlosen Grauens machen sich in der Seele des Hörers breit.

Spielerisch sind die Jungs gut beisammen, das merkt man. Der Sound ist auch sehr lebendig, wobei dies das angenehme Gruseln und die köstliche Verstörtheit noch verstärkt. Der Beginn des letzten Stücks ´Saturn 12.c´ ist sogar mit einer spannenden, aber immer schönen Melodieführung gesegnet. Versöhnlichkeit zum Abschluss dieser musikalischen Bösartigkeit? Es wird im Verlauf etwas wilder, feuriger, wobei die wabernden Gitarren und das tosende rhythmische Fundament nebeneinander zu laufen scheinen. Weiß der Teufel…hier erfährt man als Hörer die größte Musikalität des Albums. Jammiger Spacerock, Doom der scheppernden, infernalischen Art.
Ich persönlich finde dieses Album gut, schön trippy. Ich mag es als klanglichen Schlüssel in eine Anderswelt, die aber zumeist düster und lebensfeindlich wirkt. Ich bin mir aber auch gerade nicht sicher, ob ich dafür 20 Euro oder gar mehr ausgäbe. Wenn ich es hätte vielleicht. Das Album ist sperrig und widerspenstig, vorerst.

(8,5 Punkte – Sir Lord Doom)


WHITE CANYON & THE 5TH DIMENSION – S/T (NR-LP 011)

Die folgenden Worte bitte nicht falsch verstehen, die Platte ist musikalisch top, super produziert… Aber, hätte ich sie als erste aus dem Labelprogramm gehört, es würde dies Spezial nicht geben. So gut sie sein mag, so wenig trifft sie meinen Geschmack und mein Herz. Zu nah ist die enthaltene Mugge einer Mischung aus gitarrenlastigem Brit-Pop und Shoegaze.

Dass sie mir nicht gefällt, sollte aber niemanden davon abhalten, sich dieser Form psychedelischer Musik auch einmal zu nähern. Es gibt sicher unter unseren Lesern auch Liebhaber solcher Klänge, oder?

(Mario Wolski)

 

 

 

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