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WARRIOR – Boudica

~ 2020 (Golden Core Records) – Stil: NWoBHM ~


Im England der endenden 70er und beginnenden 80er Jahre des vorherigen Jahrhunderts motivierte unter anderem die Musik der damals noch recht neuen Bands SAXON und IRON MAIDEN unzählige junge Menschen dazu, eine Band zu gründen. Diese zumeist seit Kindheit an miteinander befreundeten, mehrheitlich männlichen Jugendlichen, die mit der Musik von LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE, BLACK SABBATH und JUDAS PRIEST aufgewachsen waren, träumten vom schnellen Ruhm und großen Geld. Aber zumeist bereits kurze Zeit später, wenn sie Glück hatten nach ein paar Singles und Samplerbeiträgen, war der Traum geplatzt und man musste sich eingestehen,  dass der Erfolg ausbleiben würde, das Geld nicht auf der Straße liegt und man vielleicht doch besser als Coverband weitermacht, sich dem erfolgreich aufkommenden Synthie-Pop a la DURAN DURAN zuwendet, oder einfach gleich ganz die Musik aufgibt.

Mitte der 80er war der Spuk, der im Nachhinein mit dem Kürzel NWoBHM (New Wave of British Heavy Metal) versehen wurde, auch schon wieder vorbei. Nur wenige Bands, wie beispielweise RAVEN, GIRLSCHOOL, SAXON und allen voran IRON MAIDEN haben es geschafft, all die Jahre durchzuhalten und teilweise sogar ihren Marktwert kontinuierlich auszubauen. Andere, wie SATAN, ANGEL WITCH, DIAMOND HEAD und TYGERS OF PAN TANG sind nach mehr oder minder lange Unterbrechungen in diesem Jahrtausend wieder richtig durchgestartet und eine dritte Kategorie, zu der ich auch WARRIOR zähle, nutzen die Gunst der Stunde und erleben ihren zweiten Frühling. Seit einigen Jahren gibt es nämlich ein richtiggehendes NWoBHM-Revival, bei welchem sich insbesondere Festivalveranstalter darin überbieten, längst in Vergessenheit geratene Bands aus den Anfangstagen der NWoBHM wieder auf die Bühne zu holen und auch Label untereinander darum wetteifern, wer wohl das obskurste Demo der unbekanntesten Band von Kassette auf Vinyl ziehen darf. Es war dann auch nur eine Frage der Zeit, bis als logisches Ergebnis dieses Trends mit dem „Brofest“ in Newcastle ein eigenes Festival gegründet wurde, welches sich ausschließlich der Musik aus dieser Bewegung widmet. Und hier schließt sich der Kreis. Nicht nur, dass WARRIOR aus Newcastle stammen, sie reformierten sich sogar ausschließlich zum Zwecke, am 2. Brofest im Jahr 2014 teilzunehmen.
Allerdings hatten viele dieser im neuen Jahrtausend wachgeküssten Bands, wie z.B. MILLENNIUM, TYTAN, QUARTZ oder VARDIS, einen nicht zu vernachlässigenden Vorteil, denn sie hatten bis zu ihrer Auflösung Mitte der 80er bereits eine oder sogar mehrere Langrillen veröffentlicht, womit WARRIOR der Kategorie von Bands wie SALEM, SOLDIER, MYTHRA, WEAPON UK, JAMESON RAID und TRAITORS GATE zuzuordnen sind, die es damals nicht so weit gebracht hatten. Summiert man jedoch die Songs der drei zwischen 1982 und 1984 herausgebrachten EPs auf, so kommt man immerhin auf zehn Stücke, die sehr wohl für ein Debüt der 1979 gegründeten WARRIOR ausgereicht hätten. Zusätzlich wurde 1983 noch ein Live-Album veröffentlicht und selbstredend gab es Beiträge zu mehreren Samplern, darunter auch zum legendären (siehe auch hier) ´60 Minutes Plus´ von „Neat Records“, auf welchem auch Songs von unter anderem RAVEN, JAGUAR und VENOM enthalten sind.

Im Zuge des bereits erwähnten „Brofest“ veröffentlichte man 2015 noch schnell die EP ´Oblivion´, die den gleichnamigen Song und drei Stücke aus dem Auftritt dort enthält und trat im gleichen Jahr auf dem norddeutschen „Headbangers Open Air“ auf. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte „High Roller Records“ unter dem treffenden Titel ´Resurrected´ eine Zusammenstellung ihrer Werke ´For Europe Only´, ´Breakout´ und der oben angesprochenen Live-Aufnahme ´Live In A Dive´ aus den Jahren 1983 und 1984.  Im Jahr 2017 nahm man dann, nach immerhin 38 Jahren, mit ´Invasion Imminent´ sogar noch das Debüt mit komplett neuen Stücken auf. Da die Scheibe aber in Eigenregie herausgebracht wurde ist davon auszugehen, dass sie wohl keine größere Verbreitung gefunden hat. Ich vermute mal, dass man noch CDs bei der Band ergattern kann. Dies zu tun wäre auch kein Fehler, denn die Musik auf dieser CD verfügt über eine ordentliche Qualität. Nun aber zum aktuellen Werk ´Boudica´.

Keine Ahnung, ob sich WARRIOR die Namensgeberin des Albums, nämlich eine sagenumwitterte britische (keltische) Königin, deren Bildnis auch das schöne Cover ziert, zum Vorbild genommen hat und nun alle Kräfte um sich vereint, um mit ihrer in all den Jahrzehnten nahezu unverfälscht gebliebenen Musik, gegen einen schier übermächtigen Feind zu bestehen. Als solchen muss man heutzutage möglicherweise das Umfeld für Musiker und Bands und den aktuellen Geschmack der potentiellen Kunden betrachten. Ich hoffe allerdings, dass ich mit meiner Analogie falsch liege, denn Boudicas Armee wurde nach einem Aufstand in den Jahren 60/61 nach Christus von den viel besser ausgerüsteten und in moderner Kriegsführung wesentlich fortschrittlicher agierenden Römern vernichtend geschlagen.

Sollte es aber doch so kommen, so haben sich WARRIOR nichts vorzuwerfen, denn für dieses Album haben sie mächtig aufgefahren und sich dieses Mal unter anderem die Unterstützung eines richtigen Labels gesichert. Bei „Golden Core Records“, welches unter anderem auch JAGUAR, SUBSIGNAL und VICTORY unter seinen Fittichen hat, handelt es sich nämlich um ein Sublabel des renommierten deutschen Plattenlabels „ZYX Music“. Aber auch personell hat sich einiges getan und damit meine ich nicht nur die Rückkehr von Schlagzeuger Sean Taylor, der bereits 1983 bei den Aufnahmen zu ´For Europe Only´ bei WARRIOR auf dem Schemel gesessen hat. (Seitdem hat dieser die Zeit gut genutzt und unter anderem alle Scheiben von SATAN, zusätzlich noch die beiden ersten von PARIAH und zwei von BLITZKRIEG eingetrommelt.) Ich vermute es ist ihm zu verdanken, dass Dave Curle für den Klang auf ´Boudica´ verantwortlich ist, da dieser bereits die Aufnahmen der letzten Scheiben von SATAN zu verantworten hat. Darüber hinaus lässt man sich auch durch John Gallagher von den ebenfalls aus Newcastle stammenden RAVEN unterstützen, der bei drei Songs den Bass bedient.

Die augenfälligste, oder besser, ohrenfälligste Veränderung ist jedoch der neue Sänger Dave Lunn, der auf dieser Scheibe den bisherigen Sänger Ed Halliday ersetzt, welcher auf allen bisherigen Veröffentlichungen von WARRIOR zu vernehmen ist und die Musik der Band entscheidend mitgeprägt hat. Ich werde mich jetzt nicht darüber auslassen, welcher Gesang nun besser zu WARRIOR passt, aber ich kann nicht umhin festzustellen, dass die Stimme von Dave Lunn, obwohl auch dieser bereits im gesetzteren Alter ist, jugendlicher, frischer und somit auch zeitgemäßer, weicher und melodischer als die von Ed Halliday klingt. Den Gesang von Ed empfinde ich hingegen wie aus der Kehle eines Mannes stammend, der nicht aus Rücksicht auf seine Gesangsstimme auf die Bestellung eines zweiten Pint Ale verzichtet. Seine Stimme verlieh der auf der Straße geborenen Musik Authentizität und ermöglichte den aus Arbeitersiedlungen stammenden Jugendlichen, die fast alles getan hätten um dort heraus zu kommen, sich mit diesem Sänger zu identifizieren. Aber auch Dave Lunn klingt „very british“ und ist vielleicht tatsächlich die notwendige Erneuerung, die die Band gebraucht hat, um den Spagat zwischen einer Musik, die zu 100 Prozent nach NWoBHM klingt und den Bedürfnissen einer modernen Hörerschaft aus dem 21. Jahrhunderts zu schlagen.

In meinen Augen hat sich die Arbeit und die Fokussierung von WARRIOR auf diesen Neustart gelohnt und das Ergebnis kann sich in der Tat sehen lassen. Zu verdanken ist dies vor allem dem Gitarristen und einzig verbliebenen Gründungsmitglied Dave Dawson, der zusammen mit dem bereits oben erwähnten Sean Taylor Ende 2017 den Neustart in Angriff genommen hat. (Nach Aussage von Dave Dawson, war Sean Taylor bereits 2014 die treibende Kraft bei der damaligen Reunion, der nach seinen Auftritten mit SATAN auf dem Festland die Jungs von WARRIOR wieder richtig heiß gemacht hat.)

Es sind vor allem Daves brillantes Gitarren- und Seans natürliches Schlagzeugspiel, welche die rund vierzigjährige Kluft zwischen ´Boudica´ und dem Beginn des NWoBHM vergessen lassen.

Nach dem durch Kriegshorn und Trommeln verkündeten Aufruf zur Schlacht ´Call To War´ tritt auch schon übergangslos die Kriegerkönigin ´Boudica´ auf den Plan und bereits der Sound des Schlagzeugs und des ersten Gitarrenriffs macht unmissverständlich deutlich, welche Musik hier auf den Silberling gepresst worden ist. Den Sound des Schlagzeugs nennt man wohl heutzutage „organisch“ und ich habe mit geschlossenen Augen tatsächlich das Gefühl, mich mit diesem in einem Raum zu befinden, so dass der Klang von Trommeln und Becken ungefiltert an meine Ohren dringen kann. Insgesamt ein stürmischer und sehr gelungener Beginn mit einem einprägsamen Riff und schönen Gitarrensoli, bei dem man bei Bedarf ordentlich die Rübe kreisen lassen kann. Der Bass wird bei diesem Song von John Gallagher bedient. Beim nachfolgenden ´Devils Advocate´ wird das Tempo etwas herausgenommen und der Melodie wieder mehr Raum gegeben, was insbesondere auch beim Refrain zum Tragen kommt, in welchem der Untertitel des Songs ´Evil One´ besonders akzentuiert zum Besten gegeben wird. ´Firemountain´ zieht das Tempo wieder an und ist ein ordentlicher Stampfer, wohingegen das Eingangsriff von ´Mordrake´ sofort an BLACK SABBATH erinnert. Ja, ich weiß…aber hier ist es wirklich so. Der Song geht auch schleppend doomig weiter und bietet eine neue Facette in der Musik von WARRIOR. Aber warum nicht, schließlich feierten WITCHFINDER GENERAL Anfang der 80er mit solchen Klängen Erfolge und gehörten der gleichen Bewegung an. ´Persecution (Of Witches)´ dreht dann wieder ordentlich auf und bietet neben einem treibenden Schlagzeug und ordentlichen Gitarrensoli vor allem eine blitzblanke gesangliche Leistung. Für die „ahahahs“ im getragenen ´Dreamcatcher´ wird es sicherlich Abnehmer geben, aber ich lege mal lieber den Mantel des Schweigens darüber.  Nach dem rockigen ´4 Minute Warning´ erklingen zu Beginn von ´Reality Or Fantasy ´ zwei von den beiden Daves gespielte Akustikgitarren und es ist Balladenzeit angesagt. Statt „ahahahs“ gibt es nun „uhuhuhs“, aber wer Balladen mag, kommt auf seine Kosten. Den Abschluss bilden dann das wieder ordentlich rockende ´March Or Die´ und die wundervoll groovende Nummer ´Death Of A Blackstar´.

Und das war es dann auch mit dem regulären Album. Zsätzlich gibt es noch einen Bonuspart mit vier Livestücken, die allesamt auf dem zweiten „Brofest“ aufgenommen wurden und von denen bereits zwei auf der oben erwähnten EP ´Oblivion´ vertreten sind. Allerdings sind die auf ´Boudica´ enthaltenen vier Stücke neu abgemischt worden und zwar von niemand geringerem als Neudi, unserem früheren Kollegen bei Streetclip, der ja auch ein ausgewiesener Kenner der NWoBHM ist. Die Live-Aufnahmen verfügen über eine sehr gute Klangqualität und ermöglichen den direkten Vergleich beider Sänger, da bei erwähntem „Brofest“ noch Eddie Halliday am Mikro stand.

Insgesamt handelt es sich bei ´Boudica´ um einen in meinen Augen gelungenen Neustart, der sowohl den alten Sound authentisch transportiert, als auch durchaus eine Hörerschaft erreichen kann, die bisher mit solchen Begriffen wie NWoBHM nichts anzufangen wusste.

7,5 (authentische) Punkte.

 

WARRIOR besteht aus:
Dave Lunn – Gesang
Dave Dawson – Gitarre
Sam Clark – Gitarre
Tony Johnson – Bass/Gitarre
Sean Taylor – Schlagzeug

Online:
https://www.facebook.com/WarriorNWoBHM/


(VÖ: 08.05.2020)