MeilensteineVergessene Juwelen

SPINA BIFIDA – Ziyadah

~ 1992 / 2014 (Memento Mori) – Stil: Doom Death Metal ~


Gut Ding will Weile haben, wie passend zum musikalischen Inhalt dieser CD. Zum Jahresende 1992 hin erschienen (Discogs sagt 1993, aber hey, ich war quasi live dabei) und irgendwie im Wust der Veröffentlichungen untergegangen, wurde das einzige Album der seit 2010 wieder aktiven niederländischen Doomdeather SPINA BIFIDA 2014 mit Demotracks als Bonus auf dem spanischen „Memento Mori“ Label wiederveröffentlicht.

Die originale „Adipocere Records“-Pressung (Frankreich) hielt ich für zwei Minuten in den Händen, es war Ende Dezember 1992, ich war mit meiner damaligen Freundin (extra aus dem eine Weltreise entfernten Cuxhaven ins verschlafene holsteinische Provinzdorf Herzhorn gereist) und meiner Clique beim ROCK HARD WEIHNACHTSFESTIVAL 1992 in Hamburg in den Docks. Draußen sprach mich ein langhaariger Typ auf Englisch an. Ob ich CDs kaufen möchte. Was ich denn gerne hören würde. Doom und Deathmetal im Verbund waren seit PARADISE LOST, WINTER, ANATHEMA (mit ihrer ´They Die´ 7“ und ´Crestfallen´ 12“), LORD OF PUTREFACTION (die später zu den heuer noch aktiven und weltberühmten ELECTRIC WIZARD mutieren sollten), natürlich ASPHYX und AUTOPSY meine Lieblingsmusik jener Tage. Also kramte der gute Mann zwei CDs aus der Tasche, von GOD FORSAKEN aus Finnland das ´Dismal Gleams Of Desolation´ Album und SPINA BIFIDA mit ´Ziyadah´.

Der wesentlich hardrockigere Deathdoom der Finnen mit ihren packenden Hymnen (das wusste ich aber da noch nicht) wurde es, die 20 DM waren gut investiert und seither sind mir zwei CDs der ´Dismal Gleams Of Desolation´, also von der Erstpressung mit Goldbeschichtung, sprichwörtlich von Zeit und Korrosion aufgefressen worden und eine Vinylausgabe hat den Weg in meine Sammlung gefunden, mir die schöne Musik zu erhalten. SPINA BIFIDA haben damals und in all den Jahren den Kürzeren gezogen. Irgendwann hatte ich natürlich Lust darauf, die Sammlungslücken im Bereich der Musik meiner Jugend zu schließen und vielleicht neue Wege in die schiere Unendlichkeit der Seele zu finden. Geht schlecht, wenn die Originalpressungen für ein Schweinegeld gehandelt werden und man selbst kein Freund von zu teuren Einkäufen ist. Und wieder gingen Jahre ins Land.

Nach siebenundzwanzig Jahren entdeckt man bei Discogs eine Neuauflage, 2014 sogar schon erschienen. Die Niederländer haben sich Zeit gelassen und ich mir ebenso, aber jetzt ist der Moment gekommen. 4 Bonusstücke vom 1992er Demo erweitern das originale Album und bieten Value for Money. Aber wird die Musik denn noch meinen nostalgisch – sentimentalen Fantasieträumen gerecht? Es sind siebenundzwanzig Jahre ins Land gezogen, damals war ich achtzehn, heute bin ich achtzehn mit siebenundzwanzig Jahren mehr Erfahrung, damals neu geborene Kinder sind heute selbst schon Eltern und meine Freundin aus Cuxhaven über die Zeit verschollen. Aber die Musik von SPINA BIFIDA ist nach wie vor da und sie lebt, sie berührt mich. Schade, dass ich nicht 40 DM zum CD Kauf übrig hatte, denn was mir all die Jahre entgangen ist, wird mir nun fast schmerzlich bewusst. Zum Glück bin ich noch jung.

In fast einer Stunde wird mir hier also Doomdeathmetal serviert, wie er urwüchsiger nicht sein kann. Die Gitarren brummen und brodeln ihre zäh wie glühende Lava fließenden Akkordfolgen mit bestialischer Wucht aus den Boxen, die tief grollenden Vocals klingen herrlich derb und das Schlagzeug tänzelt dazu verträumt unter den pechschwarzen Riffmonolithen umher. Der erste Song nach dem merkwürdigen Intro nennt sich ´Witchfire´ und schreitet langsamen, machtvollen Schrittes in die Seele des geneigten Zuhörers. Man hat dabei das Gefühl einer sehr packenden Komposition, weil eben bei aller Zähflüssigkeit und Langsamkeit doch einiges passiert, gerade im rhythmischen Bereich. ´Reverse´ steht dem nicht nach. Das majestätische Schleppen wird für die Strophen von entspannten Grooves abgelöst, die aber tatsächlich Eingängigkeit bringen und zum Tanzen einladen. Im Mittelteil wird der Song auf einen düsteren Basslauf reduziert, bevor die regulären Strukturen wieder greifen. Einen Refrain in diesem Sinne gibt es nicht. Zwei verschiedene Passagen, wenige Akkorde, alles zermalmende Schwere, aber sehr gut dargeboten, so geht der alte Doomdeath.

´Purest Queen´ fließt langsam und gemächlich daher, betört mit schönen, eindringlichen Gitarrenharmonien und morbiden Riffs. Ein urtypischer Song für diesen Stil in jenen Jahren und heute noch. Aber auch wenn SPINA BIFIDA sich nicht den progressiven Strömen innerhalb des Deathmetals hingaben und „nur“ den Moment einfingen, ihre Stücke haben einen ureigenen Ausdruck und sind beseelt. SPINA BIFIDA brauchen keine spektakulären Aktionen. Sie spielen einfach ergreifende Musik. Und auch wenn die CD sich irgendwie anhört wie von Anno Dazumal, sie hat auch heute noch Relevanz, denn wenn ich all die neuen OSDM Bands, zuweilen eben mit doomigen Elementen dabei anhöre, die auch noch ganz erfolgreich um die Gunst der „Hell Over Hammaburg“-Besucher buhlen, bin ich mir sicher, dass SPINA BIFIDA dort immer noch mitreden können.

´Individual´ bringt ein paar klare Vocals, halb gesungen, halb gesprochen, beschwörend und dunkel. Aus dem schleppenden Doomdeath wird ein tänzelnder Deathmetal mit sägenden, gemeinen Riffs, einprägsamen Bassläufen und boshaftem Grollen darüber. Gesprochene Vocals auf den danach folgenden Doomparts verdichten die Atmosphäre weiter. Die Band spielt nicht einfach Songs herunter, sie erzählt Geschichten in Klängen, sehr düstere Geschichten. Und man wird sich an diese Geschichten erinnern, denn die Klänge sind einprägsam strukturiert und haben einen Wiedererkennungswert, der aus der Komposition an sich entsteht. Die Atmosphäre, der Spirit hier, ganz klar epischer Doommetal. Nehmt das Grummeln des Sängers Werner weg und packt Messiah Marcolin oder Robert Lowe dahin, eventuell noch Wino oder Scott Reagers, es wäre reiner Doomsound. ´Aimless´ und ´Götterdämmerung´ reihen sich da nahtlos ein. Langsam, schwer, alles zermalmend, biestige Monstervocals, einige herzzerreißend schöne Harmonien, morbide Riffs, die den Gestank des Zerfalls in all seiner grandiosen Verkommenheit atmen und vor allem packende, eindringliche Strukturen, die in mir das Gefühl erwecken, mich in den tiefen Schlund dieser Seelenmühle fallen zu lassen. Lovecraft hat es in seinen Geschichten nicht morbider auf den Punkt bringen können. Hier tanzen die Nachtmahren, welche dem Maler Pickman Modell gestanden haben, förmlich vor deinen Augen.

´Verdict´ beginnt etwas schwungvoller, aber SPINA BIFIDA kriegen das Kriechen nicht aus ihrer Musik heraus. Majestätisches Stapfen von epischer Erhabenheit macht dem Hörer klar, dass hier der Doom Metal immer noch regiert. Satan, ist das Klasse. Ein flirrender Sound im Hintergrund raubt Dir beinahe den Verstand, aber dann kommen wieder diese Riffs, beinahe nackt bis auf die blanken Knochen, die Dich in einen abartigen Alptraum ziehen. Unaussprechliche Dinge geschehen hier bei Kulthandlungen, die man sich nicht vorstellen mag. Das ruppige, mittelschnelle ´Die´ bringt einen mit seiner Wucht dann wieder in die Echtwelt. Schöne Leadgitarrenmelodien tauchen hier und da auf und geben dem packenden Heavysong ein hymnisches Feeling. Die schiere Deathmetalbrutalität von Landsleuten wie SINISTER geht SPINA BIFIDA ab, aber ihre metallische Direktheit ist einfach grandios und mitreißend. Ein schöner Rauswerfer für ein geiles und viel zu lange vergessenes Kultalbum. Auch bei ´Die´ hat man sich wieder den eigentlichen Refrain gespart. Aber diese Vereinfachung der Strukturen bedeutet keineswegs, dass die Musik langweilig ist.

Das Outro besteht anfangs aus Dampfmaschinengeräuschen, die irgendwie wenig Sinn machen für mich, geht dann in eine Passage mit asiatisch anmutenden Schlag – und Melodieinstrumenten über und verschwindet in der Unendlichkeit, bevor ein neues Intro die Bonusrunde einläutet. Auch hier gibt es brummende Ambientklänge mit verstörender Wirkung, bevor vier Songs aus den Boxen quellen, die es schon auf dem Album gibt. Soundqualität und Spiel sind rauer, die Vocals noch von Jan und nicht Werner dargeboten und erinnern an den ganz jungen Nick Holmes von PARADISE LOST, sind also relativ klar und doch derb und guttural. Ich bevorzuge tatsächlich Jan als Vokalisten, weil er noch etwas mehr Gesicht zeigt. Aber das ist egal, denn SPINA BIFIDA überzeugen auch nach fast dreißig Jahren noch, auch wenn die Haare auf dem Kopf weg, die im Gesicht länger, grau und der Bauch etwas runder geworden sind. Also, bei mir…

Wer Doomdeath, ANATHEMA, ASPHYX, CELTIC FROST, PARADISE LOST, uralte CATHEDRAL und solche Boshaftigkeiten genauso verehrt wie ich, der greift sich ein Exemplar ab. Der Re-Release übertrifft durch die Demosongs als Dreingabe das Original durchaus.

(8,5 verweste Punkte)