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JONATHAN WILSON – Dixie Blur

~ 2020 (Bella Union/PIAS/Rough Trade) – Stil: Rock ~


Jonathan Wilson zehrt vom reichen Erbe seinen Vorväter, auch von denen aus North Carolina, als Wilson in derselben Straße wie der legendäre Banjo-Virtuose Earl Scruggs aufwuchs, und von seinem in einer Rock’n’Roll-Band spielenden Vater sowie seinem Großvater, einem Baptistenpastor. Mit seinem neuesten Solo-Werk ´Dixie Blur´ kehrt der Songwriter und Produzent zu seinen Roots zurück und zaubert dabei ein wunderbar in die Zeit passendes Werk über Verlust und Beziehungen hervor. Ein Blick zurück in die eigene Jugend oder zugleich ein Ausblick auf die Gegenwart?

 

 

Auf einen Ratschlag von Steve Earle hin begab sich Jonathan Wilson nach Nashville, Tennessee, ins Hauptquartier von Cowboy Jack Clement, um mit Patrick Sansone (WILCO) als Co-Produzent und dem eigens wieder reaktivierten Fiddler-Idol Mark O’Connor (u. a. bei Emmylou Harris und 680 anderen Werken) sein siebtes Solo-Werk zu vollenden. Im Gegensatz zu seiner ausgefeilten Vorgängerscheibe nahm er alles in sechs Tagen live und mit allen Mitmusikern zusammen in einem Raum auf. Als Musiker unterstützten ihn Kenny Vaughn (Gitarre), Dennis Crouch (Bassist), Jim Hoke (Mundharmonika), Jon Radford (Schlagzeug), Drew Erickson (Keyboards) und Russ Pahl (Pedal Steel, Holzblasinstrumente). Was eine Person im Studio alleine selten produzieren kann ist die pure Magie im Verbund mit außergewöhnlichen Musikern. Wilson versucht sich an diesem, für ihn ungewohnten Live-Experiment und gewinnt. Sein gewöhnliches Ich als Studio-Kontrollfreak lässt er hinter sich.

Ruhm aus zweiter Reihe erfuhr Wilson zuletzt als Produzent von FATHER JOHN MISTY und seinem Beitrag zu Roger Waters ´Is This The Life We Really Want?´ sowie seiner Teilnahme an dessen ´Us + Them´-Tour. Mit ´Dixie Blur´ nimmt er keine Rücksicht auf die vorhandenen Erwartungen. Er skizziert mit seinen Kompositionen ein melancholisches Bild, das auf der Grundlage einer wehenden Pedal Steel-Gitarre fundiert, und eine Reise unter psychedelischen Rock-Klängen, die von Southern Country-Roots angereichert werden, aufnimmt. Nichts ungewöhnliches, dachte sich der Künstler, dessen Großmutters Bruder mit Bill Monroe, dem Father of Bluegrass, spielte. Ein einfacher Schritt zu seinen Wurzeln, weniger Acid-Psych-Westcoast-Rock-Pop als zuvor.

 

 

Völlig im wehenden Wind verliert sich ´Just For Love´ mit Flöte, Klavier und Gitarre. Ganz im Puls der Vergangenheit bebt ´69 Corvette´ mit Fiddle und Mellotron im Gepäck. Allzeit die Pedal Steel-Gitarre im Blick. Mit dem melancholischen Ohrenschmeichler ´New Home´ geht es notfalls bis an das Ende aller Tage. Vor diesem öffnet Nashville jedoch noch alle Fenster bei ´So Alive´, erst recht zum Country von ´In Heaven Making Love´ oder ´El Camino Real´. Zärtlich schimmern sogar einmal in ´Oh Girl´ die BEATLES oder Bruce Springsteen in ´Enemies´ herein.

Ein Blick zurück weist womöglich bereits den Blick in die Zukunft.

(8,5 Punkte)