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PSYCHOTIC WALTZ – The God-Shaped Void

~ 2020 (Inside Out) – Stil: Progressive Metal ~


Wir sollten natürlich ohne lange Vorrede in medias res gehen, wartet schließlich die ganze Welt, bis auf ein paar unbeugsame Musikhörer, seit fast 25 Jahren auf ein neues Album der kalifornischen Legende PSYCHOTIC WALTZ. Vier Alben zwischen 1990 und 1996 führten zum Kult-Status der Formation, deren ersten beiden Werke – ´A Social Grace´ (1990) und ´Into The Everflow´ (1992) – jenseits der Bewertungsskala in gänzlich anderen Dimensionen schweben.

Da ein Leben ohne diese Alben schwer vorstellbar ist, stürzte sich fast die gesamte Streetclip-Redaktion auf das Comeback. Zudem luden wir auch einige Musiker dazu ein, sich ein Urteil über ´The God-Shaped Void´ zu bilden:
Hagen Schmidt (PAYNE’S GRAY), Markus „Ulle“ Ullrich (THEM, SEPTAGON, LANFEAR), Dirk Radloff (HEARTSCORE), Marco Witte (LIFE ARTIST) und Thomas Thielen ().

Somit können wir Euch, am Tag der Veröffentlichung, am 14. Februar 2020, ein Dutzend äußerst ausführlicher Kritiken zur fieberhaft erwarteten Scheibe des Quintetts präsentieren.

Und: don´t be Demystified. Euer Michael Haifl.

Lasst den Review-Reigen beginnen:

 


Armin Schäfer

 

„Beim Barte des Propheten“, mehr als geschlagene zwei Jahrzehnte warte ich jetzt schon sehnsüchtig auf neue Musik aus dem Hause der Progressive Metal-Könige PSYCHOTIC WALTZ und nun, da mir ´The God-Shaped Void´ endlich vorliegt, hab‘ ich nicht den „Mumm“ die Playtaste zu drücken. Ich zittere am ganzen Körper, Schweißperlen tropfen von meiner Stirn, der Puls geht hoch und die Körpertemperatur steigt – klarer Fall von „WALTZschem-Fieber“. Aber es hilft ja alles nichts, die Neugierde siegt irgendwann sowieso und die bereits bekannten und mehr als großartigen ´Devils And Angels´ und ´All The Bad Men´, sowie das atemberaubend schöne Coverartwork machen nicht nur Mut, sondern auch Lust auf mehr…

Den Anfang macht das bereits angesprochene ´Devils And Angels´, das wie einst ´Ashes´ vom ´Into The Everflow´-Album sowohl Intro als auch Opener zugleich darstellt. Einleitend mit leicht „spacigen“ und Querflötenklängen durchsetzt, entwickelt sich das Stück mehr und mehr zu einem echten Ohrwurm. Auffallend diesmal, dass ´The God-Shaped Void´ insgesamt sehr eingängig und melodiös ausgefallen ist und alle Refrains nahezu zum Mitträllern einladen. Und Devon (aka Buddy Lackey) Graves‘ gewohnt gefühlvoller und hypnotischer Gesang, weiß einen von Beginn an in seinen Bann zu ziehen und begeistert erneut durchweg über die gesamte Spielzeit des Albums. Ein echter Meister seines Fachs!

Alles in allem ist man mit den Jahren hörbar ruhiger und kontrollierter geworden und so fehlt freilich das herrlich vertrackte und teils „chaotische“ anmutende Moment von ´A Social Grace´ (schade eigentlich) gänzlich, was aber natürlich auch nicht anders zu erwarten war. Vielmehr ist ´The God-Shaped Void´ die logische Fortführung der letzen beiden Alben und das neue Material bewegt sich grob gesagt irgendwo in der Schnittmenge zwischen ´Into The Everflow´ (30 %), was Atmosphäre, Melancholie und Gesamtstimmung betrifft, und ´Bleeding´ sowie ´Mosquito´ (70%) was das Songwriting angeht. PSYCHOTIC WALTZ 2020 klingen reifer und kompakter als je zuvor und legen ihr Hauptaugenmerk deutlich mehr auf eingängige und hochklassige Harmonien und Melodien, die die etwas melancholisch angehauchten Kompositionen eindrucksvoll tragen.

Herausragend in meinen Ohren sind besonders die beiden sehr atmosphärischen ´While The Spiders Spin´ und ´Sisters Of The Dawn´, dicht gefolgt vom kaum weniger hochkarätigen ´Demystified´. Doch das liegt natürlich letztendlich sowieso im Auge (Ohr) jedes einzelnen Betrachters (Hörers) selbst. Was mich allerdings ein wenig stört ist, dass manche Titel ein etwas abruptes, ja fast schon abgehacktes Ende finden (´All The Bad Men´ oder ´Back To Black´ zum Beispiel) – denke immer, da kommt noch was, *grins*. Wie auch immer, musikalisch rollt die Rhythmusfraktion, bestehend aus Schlagzeuger Norman Leggio und Viersaiter Ward Evans, elegant den roten Teppich für die tollen Riffs, Soli und Gitarrenduelle des kongenialen Duos Dan Rock und Brian McAlpin aus und diesbezüglich stimmt selbstverständlich alles bis ins Detail.

Einmal mehr ganz großes Kino und, meine Fresse, das ist ja wie mit den guten Vorsätzen an Silvester: Denn auch wenn ich mir vorgenommen habe dieses Jahr etwas sorgsamer mit meinen Bewertungen umzugehen, komme ich bei ´The God-Shaped Void´ an einer dicken, fetten 8,5 dennoch nicht vorbei (habe mir die Mühe gemacht und jeden Song seziert und auf Herz und Nieren untersucht – sprich einzeln bewertet). Und egal wie man es dreht und wendet, Fakt ist doch: Ein starkes Album ist und bleibt eben ein starkes Album, ein starkes Album, ein starkes Album… Das erste Highlight des noch jungen Jahres – A MUST HAVE!!!

(8,5 Punkte)

 

 


Thomas Thielen
( t )           

 

Als ich auf die Bitte von Michael einging, das neue PSYCHOTIC WALTZ-Album zu begutachten, war ich nicht sicher, ob das so eine gute Idee sein würde. Eine Rezension ist genau dann fair, wenn sie nicht Kriterien anlegt, die der Rezensent irgendwie aus seinem Geschmack bezieht („Früher war mehr Lametta!“ – „Ich will mehr Blockflöte, isso!“), sondern wenn sie davon ausgeht, was die Musik sein will und was davon ihr zu sein gelingt. Klingt alles total simpel und logisch. Aber weiß ich denn, was für eine Art Mättel das überhaupt sein will? Meine Metal-Welt endet bei DREAM THEATER und hatte sowieso erst bei MARS VOLTA und LIQUID TENSION begonnen. Und „ahnungslos durch die Nacht“, wie Kollegin Fischer singt (jedenfalls klingt es für mich immer so), ist eigentlich echt nicht so mein Ding… naja, da aber scheinbar auch diese Perspektive gesucht wird: Hier ist sie. Haut mich nicht dafür, ja?

Was kann ich als Außenstehender also dazu sagen? Ich kann sagen: Das klingt so wie früher. Also wie damals in den Äities, als Gitarren noch Gitarren waren und nicht mit so gemeinen Sachen wie Low-Pass-Filtern, Stutters und LFOs in neunmalkluge Sounds verwandelt wurden. Als das Wünschen noch half und die Terzen noch Terzen sein durften, gern auch in Triolen dargereicht. Hier gibt es Bratz und Melodic Bratz in alter Tradition, der zwar auch mal ordentlich riffen kann, aber immer den Song im Vordergrund sieht – die Gitarren sind echte Teamplayer, und das ist ein riesiges Qualitätsmerkmal der Platte, das sie aus der 32tel-Klopperei, das momentan wiederaufkommt, heraushebt.

Devon Graves‘ Gesang zu beurteilen gehört sich schon mal per se nicht – der war und ist so stilbildend, dass man genauso gut das Genre selbst beurteilen könnte: Graves IST Metal. Alles, was da auf CD gesungen wurde, ist souverän bis zum Abwinken, und alles Weitere ist und bleibt eben Geschmacksfrage, s.o.: Wenn ich also sage, dass mir die Abwechslung und die Rücknahme des Gaspedals oft fehlt, dann sage ich das nicht so sehr zu den Vocals der CD, sondern zum Pathos des Genres: Ich langweile mich im Melodic halt nicht selten, aber das sagen die Melodic Metaller auch gern zu der Musik, die mich verzückt. Dass Graves nichts schuldig bleibt, das zu erwähnen, erscheint mir fast tautologisch… Drums und Bass sind auf den Punkt gespielt und genretypisch mathematisch ganzzahlig im Headbang-Windschatten aufgereiht. Das ist beeindruckend in seiner handwerklichen Ausführung und auch im Sound vollauf gelungen – wenn man auf diese Reminiszenzen mit Nostalgie-Faktor aus ist.

Ganz ehrlich? Ich verstehe, warum man die CD mag, und ich sehe die musikalische Qualität. Wie könnte man auch nicht? Zu gut sind die Gitarren gespielt, zu kurvenreich die Kompositionen angelegt, zu präzise die Rhythmik, zu souverän der Umgang mit Flageolets, zu gewaltig und rockig die Vocals… hach, das könnte man jetzt ewig fortführen. Respekt, Respekt, Respekt.

Aber es ist, für mich kleinen Furz, dessen private Meinung weit hinter dieser musikalischen Beurteilung als „Woah…“ zurücksteht und wohl auch am Thema vorbeigeht, halt auch nur das: nostalgisch, technisch brillant und auf den Punkt gespielt.

Mir ganz privat kommt es vor, als hätte es diese CD schon gegeben, als sei das ein Echo aus unseren Parties aus der damaligen Zeit, in Produktion, Konzept, Realisierung gleichermaßen. Wer das sucht, wird hier mit breitem Grinsen fündig werden. Allen anderen, wie auch mir, sei gesagt: Das zu kritisieren wäre unfair. Und deswegen tue ich das auch nicht: Die Scheibe ist einfach ein Rocker vor dem Herrn. Dass ich persönlich in der Musik etwas ganz Anderes suche, ist sicher auch richtig: Da kann aber PSYCHOTIC WALTZ nu gar nix für!

 

 


Jürgen Tschamler

 

Vorfreude, Erwartungen, leichte Hysterie, auch angefacht durch vorab veröffentlichte Musik, unbändige Spannung – die Gefühlswelt vor dem ersten Durchgang des neuen PSYCHOTIC WALTZ-Albums `The God-Shaped Void` ist enorm emotional aufgeladen. 1996 hinterließ man mit `Bleeding` das vorerst letzte WALTZ-Album und rief gemischte Reaktionen hervor.

Erster Durchgang, leichter Enthusiasmus. Zweiter Durchgang, hm, ja… erste leichte Selbstzweifel, gefällt mir das wirklich, ist es wirklich das, was ich erwartet habe? Zweifel. Die Gefühls-/Genusswelt ist am durchdrehen, zeigt sich bockig. Musik ist Gefühl, ist Emotionen, mal abgesehen vom technischen Aspekt sowie dem Songwriting.

Weitere Durchgänge versöhnen einen dann letztendlich mit dem Werk. Allerdings war ein Umweg nötig. Ich kramte `Mosquito` sowie `Bleeding` raus und arbeitete mich noch einmal durch diese Alben. Das ist nötig, denke ich, denn `The God-Shaped Void` wirkt wie ein Brückenschlag zwischen beiden Alben und bringt neue stilistische sowie soundtechnische Eigenschaften mit. Die Band ist weiterhin gereift, hat den musikalischen Zeitgeist in dem Album verarbeitet. Vielleicht war das der Grund, dass nach den ersten Durchgängen eine gewisse Geradlinigkeit, wenig unterschiedliche Geschwindigkeiten und mehr Groove sofort auffielen. Gerade in der zweiten Hälfte des Albums wirken die Songs im Vergleich zu den ersten fünf Stücken gleichförmiger. Allerdings findet sich mit `In The Silence` in der zweiten Hälfte des Albums eines der besten Stücke. Hier bewegt man sich weg von den typischen Gitarrengrooves, die das Album weitgehend dominieren.

`Back To Black`, `All The Bad Men` sowie `The Fallen` ist das perfekte Triple. das man hintereinander liefert, denn diese drei Stücke repräsentieren das, wofür PSYCHOTIC WALTZ 2020 stehen. Ein Stück, das erst nach und nach wächst, zumindest bei mir, war `While The Spiders Spin`, das dann doch weit in die Vergangenheit zurückreicht, was den strukturellen Aufbau angeht. Sehr schöne Nummer. Und: Keiner der Musiker enttäuscht. Ich wollte ehrlich gesagt nicht in der Haut der Herren stecken, die ein Album zu kreieren hatten, auf welches die komplette Szene wartet. Und zugleich hofft, ein neues Meisterwerk kredenzt zu bekommen, denn PSYCHOTIC WALTZ sind ja nicht irgendwer.

`The God-Shaped Void` hat lange gebraucht, bis es hier durchgehend gezündet hat. Nicht alles auf dem Album ist grandios, man merkt schon von Song zu Song qualitative Unterschiede, die letztendlich dazu führen, dass für mich vier Songs weit herausragen: `While The Spiders Spin`, `In The Silence`, `Back To Black`, `All The Bad Men`. Dann kommen zwei im Mittelfeld und der Rest ist ok. Was mich zu Beginn am meisten störte war (wie schon erwähnt) der Umstand, dass man nur wenig mit Tempo und Rhythmus variiert, wobei man gerade in Sachen Tempo zu sehr am Zeitgeist festhält.

Letztendlich ist `The God-Shaped Void` aber ein Album, das den Ausnahmestatus der Band eher untermauert als in Frage stellt. So ehrlich muss man dann doch sein, auch wenn dies ein Album ist, das man sich teilweise erarbeiten muss. Für oberflächliche Frohnaturen daher nicht geeignet.

(8 Punkte)

 

 


Marco Witte
(LIFE ARTIST)

 

Als mich Michael von Streetclip fragte, ob ich denn Lust auf einen Gast-Review für das von vielen treuen Fans sehnsüchtig erwartete neue PSYCHOTIC WALTZ-Album ´The God-Shaped Void´ hätte, habe ich, ohne weiter nachzudenken, spontan zugesagt. Schließlich war ich auf dieses Album selber gespannt wie auf kaum ein anders Album der letzten Jahre und zudem hatte ich zu dem sympathischen, kalifornischen Progressive Metal-Quintett ja quasi von jeher eine emotionale Beziehung, die subjektiv weit über ein normales Fan-Sein hinaus geht.

Auf den zweiten Blick lag aber genau hier auch die Krux an der Sache. Was etwa, wenn die Ausnahmecombo um den charismatischen Frontmann Devon Graves meiner eventuell dann wohl doch latent exorbitanten Erwartungshaltung nicht gerecht werden kann? Ich hatte zwar auf den beiden letzten Minitouren 2017 und 2019 mit ´While The Spiders Spin´ und ´Back To Black´ zwar bereits zwei neue Songs hören dürfen und war von der ersten Vorab-Single ´Devils And Angels´ nach leichten Anlaufschwierigkeiten begeistert, nach der zweiten Vorab-Single ´All The Bad Man´, die mich nicht wirklich abholen konnte, beschlichen mich allerdings einige Zweifel, ob das mit dem Review denn nun wirklich eine gute Idee gewesen ist.

Rund zwanzig Durchläufe später bin ich nun aber doch ausgesprochen beruhigt. Zugegeben, es hat schon eine ganze Weile gebraucht, bis ich mit den zehn, bzw. elf (dazu später mehr) neuen Songs wirklich warm wurde. Das Album ist halt, anders als beispielsweise die immer gerne in Bezug genommenen Erstlingswerke der Band, keines, das sofort zündet und den Hörer unmittelbar mit auf eine rasante und mystische musikalische Reise nimmt, sondern eher das, was man gemeinhin einen „Grower“ nennt, also ein Werk, dass langsam, aber stetig wächst und an Größe gewinnt.

Geradezu unvermeidlich sind nach inzwischen 24 Jahren Abstand zum letzten, eher durchwachsenen Release ´Bleeding´ natürlich historische Querbezüge und Vergleiche zu den tief in der eigenen musikalischen DNA verwurzelten Highlights der Band. Wer hier also vorab mit nicht weniger als der Erwartungshaltung einer komplexen, irrwitzig-emotionalen Achterbahnfahrt à la ´A Social Grace´ oder einem tiefgründigen, psychedelischen Trip wie ´Into The Everflow´ an ´The God-Shaped Void´ herangeht, läuft unweigerlich Gefahr, nach den ersten Durchgängen ein wenig enttäuscht zu sein.

Denn PSYCHOTIC WALTZ klingen anno 2020 dann doch deutlich gesetzter, ruhiger und weit weniger aufregend, als zu Beginn der 90er Jahre. Nach dem noch relativ rasanten Beginn mit ´Devils And Angels´ wal(t)zen die Songs zunehmend mit deutlich gedrosselter, mäßiger Midtempo-Geschwindigkeit (das Gros der Songs bewegt sich zwischen 60 und 80 bpm) durch die Gehörgänge, um zum Ende hin (zum Glück) noch einmal etwas an Fahrt aufzunehmen. Das ist dann doch schon ein wenig überraschend, ebenso die Tatsache, dass das Gesamtwerk genau genommen eigentlich gar nicht mehr als Progressive Metal, sondern eher als melodiöser, leicht doomiger Powermetal bezeichnet werden kann.

Das mag nun eventuell auf den ersten Blick eher negativ klingen, ist es im Grunde aber nicht. Denn: It’s the song, stupid! Und diese Disziplin, nämlich verdammt gute Songs zu schreiben, ist eine, welche PSYCHOTIC WALTZ schon immer wie kaum eine andere Band beherrscht hat. Und ganz ehrlich: genau genommen ist das auch für einen Fan der kauzigen Progmetal-Szene, die oftmals den Eindruck erweckt, in erster Linie aus egozentrisch-sportlicher Leistungsschau und polyrhythmisch überfrachtetem Höher-Schneller-Weiter-Djent-Geschrubbe zu bestehen, dann doch auch mal recht wohltuend und schmeichelnd für die musikalisch anspruchsvollen Ohren, wenngleich die Kompositionen teilweise ein wenig generisch ausfallen.

Die Reihenfolge der der Songs finde ich persönlich nicht ganz optimal gewählt, da es nach dem genannten starken Opener und dem unfassbar schönen, majestätischen Album-Highlight ´Stranded´ mit den direkt aufeinander folgenden Songs ´Back To Black´ und ´All The Bad Men´ schon relativ am Anfang des Albums etwas langatmig wird, bevor man dann mit ´The Fallen´ und ´While The Spiders Spin´ dann aber doch wieder den erhabenen, strahlenden Glanz dieser Ausnahmeband genießen darf und ein wohliges, bekanntes PSYCHOTIC WALTZ-Gänsehaut-Gefühl eintritt.

Diese unverwechselbaren Signature-Twin Leads und Chord-Progressions von Dan Rock und Brian McAlpin sind einfach einzigartig und manifestieren auch ganz ohne Griffbrettgewichse ihren Ruf als eines der besten Gitarrenduos des gesamten Genres. Auch Ausnahmesänger Devon Graves schafft es hier, sein gesamtes gesangliches Können mit purer Emotion und tiefer Lyrik zu verbinden und den Hörer einem Schlangenbeschwörer gleich in seinen magischen Bann zu ziehen.

An dieser Stelle generell noch ein kurzer Einwurf zu Devon und seinem Gesang: Wer 2017 und/oder 2019 live dabei war, der hat sich sicherlich zurecht einige Sorgen gemacht, wie es denn eigentlich wirklich um Devons Stimme bestellt ist. Die Antwort kennen wir nun und sie ist beruhigend: Es ist alles bestens! Klar, Devon singt nicht mehr so unfassbar exaltiert, facettenreich und hoch wie zu Zeiten des Debütalbums, aber er hat seiner mit den Jahren veränderten Range stilvoll Rechnung getragen, seinen Gesangsstil entsprechend angepasst und überzeugt damit weiterhin auf ganzer Linie. Er ist und bleibt einer der ganz Großen seines Fachs.

Das kraftvolle Drumming von Norman Leggio und das stets songdienliche Bassspiel von Ward Evans bilden wie eh und je das absolut stabile Fundament des PSYCHOTIC WALTZ-Sounds. Apropos Sound: Das Album klingt wenig überraschend weitaus moderner und somit weniger speziell und kauzig als die Frühwerke der Band, der Sound ist aber absolut homogen, transparent, konsistent und auch nicht überproduziert. Sowohl die ausgefeilten Gesangs-Arrangements als auch die instrumentale Orchestrierung wurde sowohl von Engineer Ulrich Wild als auch vom international renommierten Mastering-Wizard Jens Bogren gekonnt in Szene gesetzt.

Für eingefleischte Fans dürfte, abgesehen von der Doppel-Vinylausgabe (incl. CD), die limitierte Mediabook CD, die mit Hardcover, einem erweiterten Booklet, einem schicken Bandpatch und einem Bonustrack („Season Of The Swarm“) daherkommt, ein absoluter No-Brainer sein. Ich bin zwar eigentlich überhaupt kein Freund davon, Bonus-Tracks in verschiedene Editionen auszulagern, um den Fans mehr Geld aus den Taschen zu leiern, im Gegensatz zu der unsäglichen TOOL-Abzocke bekommt der geneigte Fan hier aber für gerade einmal 5 EUR Mehrkosten an Stelle von Elektroschrott wirklich richtig viel value for money.

Würde man mir nun abschließend die Frage stellen, ob PSYCHOTIC WALTZ mit ´The God-Shaped Void´ ein weiteres Opus Magnum gelungen ist, würde ich dies zwar verneinen, weil mir persönlich hierfür die kompositorische Würze, der jugendliche Esprit und die stilistisch extreme, emotionale Bandbreite früherer Werke fehlt, aber insgesamt ist ´The God-Shaped Void´ trotzdem ein stimmiges, gelungenes Comeback-Album und ich freue mich schon, die neuen Songs livehaftig erleben zu dürfen. Die Geschichte dieser Ausnahmeband ist auf jeden Fall noch nicht zu Ende geschrieben und ich hoffe, dass noch einige weitere Kapitel folgen werden. Diese dürfen dann aber auch gerne wieder etwas spannender ausfallen.

(8 Punkte)

 

 


U.Violet

 

Hier spricht eine Randgruppe. Nein, nicht weil ich im Gegensatz zu den Kollegen meinen Schwerpunkt seit Jahren im Extremmetal habe, und vermutlich leider mal wieder die einzige Frau in der illustren Runde hier bin, sondern weil ich als einzige von Streetclip.de PSYCHOTIC WALTZ auf ihren beiden letzten Europatouren erlebt habe (siehe hier und hier), einfach, weil mir diese Band so enorm viel bedeutet, und ich mich kaum an intensivere Konzerte erinnern kann, damals in den 90ern…

Und so konnte ich an mir selbst und dem Rest des Publikums testen, was heutzutage am besten ankommt – sei es von den Klassikern dieser Ausnahmeband oder eben dem neuen Stoff. Klar, es geht hier nicht um ein Livealbum, doch wenn ein Song schon beim ersten Hören zündet, dann bringt er etwas mit, was ihn aus der unendlichen Menge neuer Musik heraushebt, was die Ungeduld bis zum neuen Album weiter steigert, im Idealfall setzt sich sogar schon der Refrain im Kopf fest.

Gut an ´The God-Shaped Void´ ist, dass genau die drei zuvor live vorgestellten Songs (´While The Spiders Spin´ (die großartige ´Locust´-Fortsetzung ist mein absoluter Favorit!), ´Back To Black´, ´Pull the String´) auch die stärksten sind. Leider fällt der Rest dagegen extrem ab, auch wenn die Single ´All The Bad Men´ offenbar stark gefeiert wird – vermutlich weil sie in Riffs und Aufbau komplett auf das alte Strickmuster der Kalifornier setzt. Doch darauf haben wir doch nicht jahrzehntelang gewartet?

Waren es früher die hoch-komplexen, sich winden- und wandelnden Stücke, die am meisten begeistern konnten, legt das Quintett heute den Schwerpunkt auf eingängige Songs – was am Publikum und seinen modernen Hörgewohnheiten liegen mag, aber auch am Anspruch der zurückkehrenden Band, gefallen zu wollen, notfalls auch mit technischen Finessen und stilistischer Anlehnung an moderne Strömungen. PSYCHOTIC WALTZ sind klar in der Gegenwart angekommen, doch eine Hochglanzproduktion allein macht noch keine Überfliegersongs, und Stimmung ist nicht dasselbe wie Cheesiness. Natürlich glänzen die Twingitarrenharmonien wie eh und je, groovt die Band tight wie Sau, hat auch die Querflöte wieder ihren angestammten Platz, aber all diese Details habt ihr ja bereits bei meinen Mitstreitern gelesen.

Ich kann daher nur mein Fazit ziehen: bin nicht unendlich enttäuscht, aber auch nicht freudig überrascht – viel schlimmer, diese Platte hat für mich einfach wenig Bedeutung. Sie wächst auch beim x-ten Durchlauf nicht mehr weiter, kann mich – mit Ausnahme der genannten drei Lieder – nicht mehr so stark berühren, wie es die vier vor mehr als zwanzig Jahren taten. Adieu, PSYCHOTIC WALTZ! Es war schön mit Euch. Und vermutlich sehen wir uns doch noch mal auf einem Konzert, denn da spielt ihr ja wieder ´Haze One´, ´Morbid´, ´Locust´ und ´I Remember´…

(7,5 Punkte)

 

 


Less Leßmeister

 

Da ist sie also, die lang ersehnte, von vielen schon im Vorfeld als Platte des Jahres geworshippte PSYCHOTIC WALTZ – der erwartete heilige Gral des Progressive Metal. Was wird da wohl geschrieben, gefeiert, gebasht?

Ich gehe das Ganze dann mal mit „Points pro Song“ auf emotional-mathematische Art so nüchtern an wie möglich. Okay, die ersten beiden Durchgänge hintereinander gönnte ich mir schon einen Glenmorangie zum Feiern, bin ja auch nur ein Mensch – und in erster Linie Fan.

´Devils And Angels´ schweben an mit Spaceflair & Flöte und präsentieren PSYCHOTIC WALTZ erhaben und schön vertrackt in einer Form, die niemanden enttäuschen sollte und am Ende einen der Höhepunkte des Albums darstellt. (10)

´Stranded´ setzt den Fluss der letzten beiden Scheiben (der Einfachheit halber ab jetzt „Phase II“ genannt) fort, mit gefühlvollem Refrain und großem Mittelpart und Finale. (8,5)

´Back To Black´ entfesselt bollerndes „Phase II“-Stakkato bis hin zu DEAD SOUL TRIBE-Drums und mäandert sich kraftvoll in die Hörgänge. (8)

´All The Bad Man´ groovt mit lecker „Phase II“-Bass hypnotisierend, leicht fies in der Solar Plexus, während das Herz leicht unterkühlt bleibt. (7)

Interludium: Ihr merkt schon, ich kann mir das „Phase II“ sparen, da heuer auf Anhieb kaum viel soziale Grazie im Everflow schwimmt (doch Obacht geben, länger leben: wer Geduld hat, findet zumindest ein wenig ´Everflow´) – just sayin‘. Also weiter im neuen Flow mit was…für’s Herz:

´The Fallen´ verzaubert als Doomballade auf episch-bedächtige Weise mit Akustikgitarren, gefühlvollem Devon, seinen Gefühlsausbrüchen und großen Momenten. (9)

´When The Spiders Spin´ tun sie das auf kriechende, beständige, teils marschierende Weise mit coolem Refrainaufbau und herausragendem SAGA-Fummel-Gitarrensolo. (8)

´Pull The String´ setzt das mittlerweile gewohnte Standardtempo fort, erneut Stakkatogitarren, rhytmischer Donner und zäher Fluss – ja so marschieren sie wohl zu wie von OZZY erdachten Strophen, die Soldaten…ich bin keiner von ihnen, auch die Querflöte bewegt mich nicht dazu, meine Punktewaffe abzufeuern. (7)

´Demystified´ schaltet abermals einen Gang runter zu ´The Fallen´, mystifiziert durch Devons Gesangslinien und Flöte und entfaltet einen wahren Klassikerrefrain. Zusammen mit dem Opener mein persönliches Highlight von PSYCHOTIC WALTZ 2020. (10)

´Sisters Of The Dawn´ ist ebenfalls sehr schön, leidet mittlerweile bei mir am immer gleichen Tempo, doch die Liebe zu „The Voice“ und seinen wunderbaren Wegen inklusive hervorragendem Mittelpart und magischen Twingitarren bringt mich von der anfänglichen Skepsis doch weiter in Richtung „spellbound“. (8,5)

´In The Silence´ hören wir Akustikgitarren, der eingeschlagene Fluss fließt weiter, überzeugt aber mit einem fabelhaften Refrain. Traumhafter Abschluss. (9)

So, das ist sie nun also…mit einer Punktezahl von 85 geteilt durch Zehn, macht vulkanisch-kühl ermittelte 8,5 in meinem Universum und hinterlässt mich rundum zufrieden mit der leichten Sehnsucht nach mehr Dynamik, Abwechslung und Wildheit im rhythmischen Bereich – auch mit 50 verträgt der ein oder andere der einstigen FATES TOWER-Generation schon noch ein bisschen gepflegte Hektik.

Und doch haben sich PSYCHOTIC WALTZ zum Guten verändert. War der ´Mosquito´ ein Stich mit bewusstseinserweiternden Kiffqualitäten und ´Bleeding´ das verträumte Album, so ist ´The God-Shaped Void´ der marschierende Doombrocken mit verzaubernder Kraft, der auf alle Fälle neben den beiden Vorgängern bestehen kann, wenn nicht sogar das Zeug zu Platz drei hinterm ´Everflow´ hat.

Also, Kaufempfehlung, sobald der „Industry Shaped Greed“-Vinylpreis in ein normales Universum eingekehrt ist.

Amen, liebe Schwestern und Brüder.

 

 


Dirk Radloff
(HEARTSCORE)

 

Knüpfen PSYCHOTIC WALTZ an ihre legendären Alben wie ´A Social Grace´ von anno 1990 an oder bedeutet ´The God-Shaped Void´ einen stilistischen Neustart? Ich behaupte, dass sie einen ambitionierten Neubeginn wagen.

Auf dem neuen Werk sind natürlich bestimmte Stilmittel erhalten geblieben: Die schön arrangierten Zwillingsgitarren, der vereinzelte Einsatz der Flöte (z.B. in ´Pull The Strings´) und akustische Strophen und Zwischenspiele (´The Fallen´). Aber die Veränderungen überwiegen.

Die alten PSYCHOTIC WALTZ glänzten mit dem manischen Gesang Lackeys und Songstrukturen, die nicht auf Eingängigkeit, sondern auf epische Erzählstrukturen ausgelegt waren. Von dieser Eigenständigkeit ist auf ´The God-Shaped Void´ leider nicht mehr viel übrig geblieben. Geboten wird ein durch allerlei Streicher und Pads aufgepumpter, amerikanischer 16:9-Sound, der öfter mal an DREAM THEATER erinnert. Der Gesang ist längst nicht mehr so abwechslungsreich und klingt viel gefälliger.

Dazu hat man sich überwiegend von anspruchsvollen Tempo- und Rhythmuswechseln verabschiedet und bietet eingängige Midtempo-Kost. Das Songwriting setzt auf vorhersehbare Strophe, Bridge, Chorus-Strukturen. Auf der Haben-Seite gelingt es PSYCHOTIC WALTZ aber nun wirklich, gute Hooks zu schreiben. So kann ich mir gleich bei mehreren Songs mitsingende Stadion-Massen vorstellen, eine Assoziation, die ich bei den alten PSYCHOTIC WALTZ nie gehabt hätte. Daher würde ich erwarten, dass sich PSYCHOTIC WALTZ mit ´The God Shaped Void´ neue und vor allem größere Hörerschichten in der Schnittmenge von DREAM THEATER und SONS OF APOLLO erschließen werden.

In Tracks wie ´Back To Black´ scheint man sogar Richtung Power Metal zu schielen (vielleicht zu oft ´Beyond The Black´ gehört?). Die Kommerzialisierung der einstigen Legende ist auch produktionstechnisch so gelungen, dass es mich nicht wundern würde, wenn der Band mit diesem Album ein später Durchbruch gelingt. Mir persönlich gefiel die künstlerische Eigenständigkeit der alten Alben besser.

Im Jahr 2020 klingen PSYCHOTIC WALTZ wie viele andere Bands auf dem Spielfeld des Progressive Metal und rücken von Linksaußen ins vordere Mittelfeld.

(7 Punkte)

 

 


Markus Gps

 

Viele werden sich den Vorabsong ´Devils And Angels´ schon via neue Medien reingezogen haben. Dieser ist bereits mit das Highlight der in Originalbesetzung zurückgekehrten Prog Legende aus San Diego. Der weitere emotionale Höhepunkt ist für mich der eher sacht gehaltene Mittelteil des Albums, namentlich ´The Fallen´ & ´While The Spiders Spin´. Gerade bei letzterem Song besteht erhöhte Verletzungsgefahr, wenn ihr mit Staubwedel bewaffnet, verträumt auf dafür ungeeigneten viel zu schmalen Stühlen Pirouetten vollführt. Darum lasst die Prachtbauten der nützlichen Tiere besser einfach bestehen und macht es euch lieber mit Kopfhörer auf der Couch bequem.

Dafür es zu tun, spricht sicher auch die exzellente Produktion, die aber vielleicht auch schon wieder zu gut und klar ist, um die Atmosphäre der Meisterwerke in der Diskographie der Amis zu atmen. Ein eigentlich kleines Störgefühl habe ich aber mit teils nicht wirklich inspirierenden Refrains, die wahrlich nicht den Höhepunkt des jeweiligen Songs darstellen. ´Demystified´ ist so ein Beispiel. Natürlich hatte auch ´Bleeding´ vergleichsweise eingängige Passagen, allerdings waren diese jenerzeit immer extrem hypnotisch und zwingend umgesetzt, was hier nicht der Fall ist.

Dass das Meckern auf hohem Niveau stattfindet, ist klar, das instrumentale Zusammenspiel ist wie zu erwarten Weltklasse und es werden auch mal die ersten beiden Alben zitiert. Es ist alles als PSYCHOTIC WALTZ zu erkennen, was hier drin steckt. Den größten Unterschied zu früher stellt man an Devons (oder darf ich angesichts des Comebacks jetzt wieder Buddy sagen?) Gesang fest. Die extrem hypnotische Wirkung (das hatten wir schon) ist nicht mehr zu vernehmen. Er singt viel „normaler“, klarer, manchmal gar etwas episch. Ab und an meint man gar eine gewisse Nähe zu GHOST zu erkennen.

In den letzten Hördurchgängen hat sich noch ´Sisters Of The Dawn´ als viertes Highlight gemausert, das soll nicht unerwähnt bleiben. Mit Textzeilen davon im Kopf oder gar den Song summend mitten in der Nacht aufgewacht, bin ich davon aber im Gegensatz zu früher bislang auch nicht.

Letztlich reiht sich das Album damit vor dem weltlichen ´Mosquito´ ein, aber natürlich doch weit hinter den anderen drei 10-Punkte-Meisterwerken aus den 90ern. Es war aber auch vermessen, mehr zu erwarten.

(8 Punkte)

 

 


Markus „Ulle“ Ullrich
(THEM, SEPTAGON, LANFEAR)

 

Es ist vielleicht nicht fair, aber leider Tatsache. Jede Kultband, die nach langer Zeit zurückkehrt, wird in der Regel ausschließlich an ihren Klassikern gemessen, somit wird von Fans und Medien bereits im Vorfeld eine überirdisch hohe Erwartungshaltung geschaffen. Sollte eben diese Band auch noch weitere Alben veröffentlicht haben, die dann neben Licht auch etwas Schatten boten und nicht lückenlos mit Hits gespickt waren, kehrt man das unter den Teppich und setzt den Maßstab für ein langerwartetes Comeback einfach mal dezent ganz oben an.

Das macht es einer Combo wie PSYCHOTIC WALTZ natürlich alles andere als einfach, vor allem wenn der geneigte Fan selbst nach der Reunion noch beinahe zehn (!) Jahre auf einen neuen Tonträger warten muss.

´A Social Grace´ und ´Into The Everflow´ sind für mich perfekte Alben, an denen ich keinen Ton ändern möchte. ´Mosquito´ und ´Bleeding´ finde ich gut, streckenweise sehr gut, und das empfand ich Mitte der 90er auch nicht anders als heute. Das liegt zum Teil an den etwas konventionelleren und erheblich gestrafften Arrangements, vor allem aber an den Vocals. Die magischen Melodien blitzten für meinen Geschmack hin und wieder auf, aber irgendwo auf dem Weg hatte Hr. Lackeygraves offensichtlich sein Händchen für packende und ergreifende Gesangslinien verloren. Daher konnte ich auch mit seinen Nachfolgebands DEADSOUL TRIBE und THE SHADOW THEORY nie sonderlich viel anfangen; die vor einigen Monaten live bei zugegebenermaßen schlechtem Sound vorab gehörten neuen Songs, ließen mich auch eher ratlos zurück. Ich hatte daher durchaus Hoffnungen auf ein sehr gutes Album, aber eben nicht mehr. Man ist ja Realist und nicht Pippi Langstrumpf.

Hier ist es nun, das fünfte Album ´The God-Shaped Void´.

Der bereits vorab ausgekoppelte Opener ´Devils And Angels´ gefiel, die für die Band typischen Harmonien sind vorhanden, aber den Refrain fand und finde ich eher schwach, während die Strophen und das stimmungsvolle Ende dann doch wieder versöhnlich stimmen. Guter Song, aber ich bin im Gegensatz zu manch anderem Altfan leider nicht komplett ausgerastet.

´Stranded´ ist dann aber mein erstes Highlight. Verspielte Gitarren, fette Grooves und ein traumhafter Chorus, wie man ihn sich von PSYCHOTIC WALTZ wünscht. Auch die lange vermissten, doppelläufigen, Waltz-Soli, die immer wieder klingen als wären sie vollkommen losgelöst in einer anderen Dimension aufgenommen worden, runden den Song perfekt ab. Hier fällt auch die gelungene Produktion auf, die alle Instrumente deutlich hörbar macht, breit und wuchtig klingt, aber dennoch atmet und nie glatt oder steril wirkt. Obskures Detail am Rande: Die Stimme erinnert mich in manchen Parts (und nicht nur auf diesem Song) tatsächlich an Andi Deris von HELLOWEEN, und nein – ich ziehe hier keinerlei musikalische Vergleiche!

Das bereits live gespielte ´Back To Black´ klingt in der Studioversion deutlich besser. Ein simples Strophenriff in der Art, wie strenge Traditionalisten (nach wie vor) modern definieren würden, dennoch sehr effektiv und durch sphärische Keys und die starke Strophenmelodie deutlich aufgewertet. Kurzer, knackiger Refrain und eine schöne Bridge. Kein spektakulärer Song, aber ein Hänger geht anders.

Im weiteren Verlauf des Albums zeigt sich, dass man stilistisch durchaus von einer Weiterentwicklung und nicht nur von einer einfachen Fortführung reden kann, was eindeutig für ´The God-Shaped Void´ spricht. Es gibt Parallelen zu den letzten beiden Alben und auch ´Into The Everflow´ scheint hin und wieder durch, die Songs sind aber alles andere als Abziehbilder vergangener Glanztaten.

Zum erwähnten ´Stranded´ gesellen sich als weitere persönliche Favoriten das verträumt wirkende ´The Fallen´, das mit entrückten ´Everflow´-Harmonien versehene ´Pull The String´ (hier packt er auch die Flöte aus), der hittige Groover ´While The Spiders Spin´ sowie das mit tollen Akustikgitarren versehene ´In The Silence´, welches das Album auch würdig abschließt.

Während mir die meisten Stücke auf dem knapp 24 Jahre alten Schwanengesang ´Bleeding´ einfach zu kompakt und aufgeräumt klingen, sind PSYCHOTIC WALTZ anno 2020 wieder experimentierfreudiger und ausufernder. Das führt auch dazu, dass selbst Tracks wie ´All The Bad Men´ oder ´Demystified´, die mich gesanglich nicht so wirklich umhauen, immer wieder mit kleinen Details versehen wurden, welche einen dann doch wieder in den Bann ziehen. Tatsächlich laufen Brian McAlpin und Dan Rock, vor allem was die Leads angeht, einmal mehr zur Höchstform auf, während die Riffs wie bei den letzten beiden Alben fast durchweg eher basisch gehalten sind. Bass und Drums sind bei vielen Bands heutzutage nur Beiwerk, bei PSYCHOTIC WALTZ halten sie schlicht und einfach alles zusammen; gerade das Drumming von Norm Leggio ist für den Sound der Band enorm wichtig.

Ja, ich finde durchaus, dass man bei der einen oder andere Vocalline noch hätte etwas draufpacken und dem Album dadurch noch eine Prise vom gewissen Etwas geben können, aber ich bin dennoch nicht enttäuscht.

Kann eine Band mit Meisterwerken konkurrieren, die fast drei Jahrzehnte lang mit dem Hörer gereift und gealtert sind? Keine Chance!

Führen PSYCHOTIC WALTZ ihr Erbe würdig fort? Absolut!

Für mich hat ´The God-Shaped Void´ was die Gesamtatmosphäre angeht im direkten Vergleich mit ´Mosquito´ und ´Bleeding´ eventuell sogar leicht die Nase vorn, das ist weit mehr als ich erwartet hatte. Das herrliche Coverartwork und die erwähnt druckvolle Produktion runden das Comeback ab und ich darf ruhigen Gewissens eine Kaufempfehlung aussprechen. Für mich also kein Meisterwerk, aber ein rundum gelungenes, stimmungsvolles Album mit ordentlich Flair.

Keine Note – das hier ist Musik und nicht irgendeine Abschlussprüfung!

 

 


Michael Haifl

 

 

Aus der Rückschau betrachtet liegt die maßgeblich aktive Periode von PSYCHOTIC WALTZ bereits über zwei Dekaden zurück. Nehmen wir allein die Longplayer als Eckdaten, begeisterten PSYCHOTIC WALTZ in einer kurzen Periode von nur sechs Jahren. Die vorhergehende Zeitspanne unter dem Banner ASLAN klammern wir in dieser Anschauung schlichtweg aus. Doch gerade solch intensive Phasen, über einen schmalen Zeitraum hinweg, gebären innerhalb der Musikgeschichte oftmals die allergrößten Sternstunden.

Im Falle von PSYCHOTIC WALTZ trifft dies vollumfänglich zu. Ihr 1990er Debüt ´A Social Grace´ ist einer der größten Prog Metal-Meilensteine der Geschichte. Musik aus einem anderen Universum, heutzutage aus einer anderen Zeit. Der Nachfolger, eigentlich ebenbürtig, muss sich aber aufgrund der Regel, dass das Debüt den Maßstab setzt, hintenanstellen. Dennoch versetzt ´Into The Everflow´ (1992) den Hörer äußerst extrem in andere Welten. Ausufernde, solistische Einlagen in fast psychedelischer Form schufen das nächste Universum von PSYCHOTIC WALTZ, in das sie auf ihren beiden Folgewerken – ´Mosquito´ (1994) und ´Bleeding´ (1996) – nicht zurückfanden. Kompakt war ihr Spiel geworden, vielleicht auch getrieben von dem Gedanken, endlich den ihnen gebührenden Erfolg einzufahren.

Die Geschichte nahm zudem kein gutes Ende. Nach den Studioarbeiten zu ´Bleeding´ verließ Gitarrist Brian McAlpin die Formation. Eine Schauspielerin aus dem Videodreh zum Song ´Faded´ verklagte die Jungs, weil sie durch das Licht am Dreh angeblich fast blind wurde. Der Gerichtsstreit zog sich ewig. Buddy Lackey ging als nächstes von Bord – und letztendlich jeder seines Weges. Dan Rock nahm unter dem Namen DARKSTAR Instrumental-Alben auf, Norman Leggio und Steve Cox, der Brian McAlpin ersetzt hatte, gründeten TEABAG und aus Buddy Lackey wurde Devon Graves, seine Bands waren über die Jahre hinweg DEADSOUL TRIBE und THE SHADOW THEORY.

Seit annähernd zehn Jahren treten PSYCHOTIC WALTZ wieder live auf und entschlossen sich wohl schon im Jahre 2012, ein neues Werk aufzunehmen. 2020 sind PSYCHOTIC WALTZ wieder präsent und das zwischenzeitlich nicht mehr für möglich gehaltene Comeback liegt in den Händen der frenetischen Anhängerschaft: ´The God-Shaped Void´. PSYCHOTIC WALTZ traten zwar einst nicht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ab, beginnen womöglich jedoch ihr neues Leben mit einem solchen.

PSYCHOTIC WALTZ are back: Dan Rock (Gitarre/Keyboards), Brian McAlpin (Gitarre/Keyboards), Ward Evans (Bass), Norm Leggio (Drums) und Devon Graves (Gesang/Flöte/Keyboards).

Obwohl es sich auf ´The God-Shaped Void´ durchgehend um den Tod, um Zerfall und Zerstörung dreht, bildet die Produktion – trotz der gewohnt WALTZ´schen Morbidität – einen klaren Rahmen und verweilt aufgrund des Keyboard-Einsatzes aus dem Hintergrund in sinfonischen als auch einmal in zeitgemäßen Welten. Die Gitarren imponieren besonders in ihren brillanten, harmonisch-einzigartig entzückenden Twin-Läufen. Der Gesang von Devon Graves entspricht selbstredend nicht mehr seinen Jugendtagen und hätte gern viel öfters eine stärkere Exaltiertheit zeigen dürfen.

Vielleicht macht sich hier die Aufnahme des Gesangs im Studio D in Österreich bemerkbar, derweil die Band im Sommer 2019 in den Rarefied Studios, San Diego, USA, unter der Leitung von Ulrich Wild aufgenommen hat. An einer nicht ausreichenden Vorlaufzeit kann es ebenso nicht gelegen haben, dass die Refrains bisweilen äußerst schlicht ausgefallen sind. Der Anhänger des Zweitwerkes wird natürlich 2020 gleichermaßen nicht mit ausufernden Instrumental-Epen verwöhnt. Die Progressivität musste zuvor längst einer zunehmend wichtigeren Atmosphäre weichen. Obgleich in diesen Tagen oftmals Atmosphäre mit Progressivität fälschlicherweise gleichgesetzt wird.

Was anfangs wie eine holprige Zusammenstellung von großartigen und leicht geringwertigeren Kompositionen erscheint, entwickelt im Laufe der Zeit den erhofften Zauber. Schwebende Gitarren vereinen sich unter dem WALTZ´schen Sternenhimmel mit Keyboards und dezenter Elektronik, dazwischen hagelt es fette Heavy-Riffs. Diese Schlichtheit vermögen sie mit einem gehörigen Variantenreichtum auszugleichen. PSYCHOTIC WALTZ spielen bei ihrem Neubeginn sinngemäß in der Kompaktklasse – und bewegen sich dabei auf Weltklasse-Niveau.

Der kosmisch strahlende Beginn des Openers ´Devils And Angels´ besitzt diese gewisse Bedrohlichkeit. Devons Flöte bildet das strahlende Licht innerhalb eines Unruheherdes, von geringen, nichtsdestoweniger TRIBE AFTER TRIBE´schen Ausmaßen, ehe die gesamte Band zu sinfonischen Wellen einsetzt. Nicht unähnlich des Vorgehens von DREAM THEATER. Doch spätestens mit dem Gesang von Devon offenbart sich die psychedelisch und eindeutig als solche von PSYCHOTIC WALTZ zu deutende Seite. Die Bridge („We are alive and we will soon arise“ – prophetische Ausführungen in Bezug auf die Band?) besitzt etwas AYREON-Flair; trotzdem zeigt schwebend harter Prog Metal die Größe der Boys aus San Diego. Und dieser sanfte Gesang, kurz bevor der Prog Metal eruptiert und rhythmisch beschwörend ausklingt, ist unnachahmlich. ´Stranded´ ist dagegen schärfer in der Herangehensweise und der erste Mega-Höhepunkt mit der größten Hook – ein schlicht und ergreifend himmlischer Refrain zum Wegbeamen („We are stranded. Stranded on the dark side of the Sun. We are stranded. Crashed down from the void“).

Zu ´Back To Black´ darf gerne mit dem Kopf zum Groove genickt werden, je heftiger desto besser. Wäre nicht Devons Gesang könnten sich in diesen Straßenzügen ebenso heutige FATES WARNING bewegen. Die Bridge ist typischer 90s Prog Metal. Nur den Shuttle ins All nehmen PSYCHOTIC WALTZ alleine, erneut überirdisch („Someone cried the words of Lucifer’s song“). Getragen spaziert ´All The Bad Men´, ebenfalls voll im non-old-school Groove, mit Trommelwirbel zur Steigerung, singend quietschenden Gitarren und Devons Shout-Gesang. Zur Abkühlung säuselt die Akustikgitarre zum balladesken ´The Fallen´ („We are the fallen. Fallen from a star.“), das sich kriechend aus der Leichtigkeit herauswindet und keinesfalls voreilig seinen Dienst beenden mag. Könnte gerne im Verbund mit den Metal-Brothers von ARTIZAN aufgeführt werden.

Eine südländische Gitarrenmelodie trägt den Hörer in das magische Netz von ´While The Spiders Spin´. Devon krabbelt zur Rhythmik in den Schwebezustand („Here in my cell I can choose my addiction. While the spiders spin. Here in my cell I can lose my connection. While the spiders spin.“) und lässt niemanden mehr heraus. Das Gitarrensolo hätte endlos kreisen können. Magisch. Eine wühlende Komposition folgt mit ´Pull The String´ und besitzt erneut diesen Kopfnick-Groove sowie ein Flöten-Solo. Schlicht, aber im kurz angebundenen Refrain freilich ergreifend („Angels carry guns. Oh, angels carry guns. The dogs will count their days.“). Mein Gott, hat die Welt diese Gitarrenläufe vermisst.

Dafür flötet sich Devon ausgiebig durch einen möglichen Single-Hit namens ´Demystified´, einer heroisch und hymnisch sakralen Komposition („Demystified. We’re all demystified. We cry to no avail. Better we just save ourselves.“). Saiten werden hier abermals magisch angeschlagen. Mühlen- und qualvoll durchquert sodann ´Sisters Of The Dawn´ den Song-Himmel („Spellbound. Dazed and hypnotized. By fire in the sky“) und findet seine Erlösung („Fathers of Creation. Sisters of the Dawn. Children of the Fallen. Children of the One.“). Die Bridge wird tiefer gesungen, bevor die Gitarren mit den Engeln jauchzen. An einer Stelle klingt es kurz nach QUEENSRYCHE, an einer sinfonisch minimal nach DREAM THEATER und die Keyboards nach RUSH. Die Twin-Gitarren sind allerdings einmalig PSYCHOTIC WALTZ. Sphärisch eröffnet ´In The Silence´ den Ausklang und gebärt sich in seinem Rock-Charakter zu einer schlichten, gleichwohl effektiven Nummer des Comeback-Werkes.

PSYCHOTIC WALTZ schlagen ein neues Kapitel auf, das sich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen mag. In der Tradition von Legenden wie RUSH, bei denen es sich wahrlich nicht geziemt und völlig fehl am Platze ist, ein Meisterwerk nach dem anderen mit schnöden Punkten zu benoten, müssten auch PSYCHOTIC WALTZ in dieser Hinsicht außen vor bleiben. ´The God-Shaped Void´ ist für die Anhänger der Gruppe schlicht und einfach essentiell. PSYCHOTIC WALTZ waren, sind und bleiben sie selbst, selbst 2020 völlig einzigartig.

(9 Punkte)

 

 


Hagen Schmidt
(PAYNE’S GRAY)

 

Ob tatsächlich ein Gott oder eher andere, weltlichere Dinge für das gähnende Loch verantwortlich waren, das PSYCHOTIC WALTZ‘ Ableben seinerzeit hinterlassen hat, sei mal dahingestellt. Nun aber existiert ein neues Album und erfüllt somit, hearing is believing, die namensgebende Leere.

Gebannt wie das Kaninchen vor der Schlinge brauchte ich drei Tage, um mich dem aus heiterem Himmel eintreffenden ´The God-Shaped Void´ zu widmen. Nie zuvor hatte ich vor dem ersten Auflegen einer Platte mehr Bammel. Völlig unbegründet:

Nach kurzem, einstimmenden Intro sind die ersten Zeilen „The passage opens and I slip in, Into your conscience under your skin…“ und so ist es: lässt man sich darauf ein, hat hier alles seinen Platz, die Stücke fügen sich zu einem Gesamtwerk zusammen, das wohl auch als solches genossen werden sollte, ohne Unterbrechung bis zum letzten ausklingenden Ton, nach dem man auch weiß, da kommt nichts mehr. Mein voreilig geordertes Vinyl wird wohl eingeschweißt bleiben, im Regal neben ´Into The Everflow´, bei der die Seitenumdreherei auch nur stört.

Zwischendurch wird man daran erinnert, die Augen geschlossen zu halten. So erlebt man einige Gänsehautmomente, sei es durch den äußerst ausdrucksstarken Gesang, der einzigartigen Magie dieses begnadeten Gitarrenduos, oder der ein Vierteljahrhundert lang schmerzlichst vermissten typischen Harmonien, bereichert von Stimmungen, die man von der Band noch nicht kannte. Und Übergängen von Song zu Song, wo Ende und Anfang nur zusammen ihre Wirkung entfalten.

´The God-Shaped Void´ steht in PSYCHOTIC WALTZ‘-Diskographie für sich, lässt sich weder mit dem otherworldly Frühwerk vergleichen, noch mit der bodenständigeren zweiten Phase. Möglicherweise ist es der Beginn einer neuen Ära, und wenn auch nicht, ist meine Welt zumindest fortan bereichert.

Thank you, PSYCHOTIC WALTZ.

 

 


Sir Lord Doom

 

Ich erwarte eines der ultimativen Highlights für 2020, ein Album, welches so überdimensional groß ist und mich so tief berührt, dass meine Tränen wie das Wasser durch den gebrochenen Damm eines Stausees strömen.

Nach 24 Jahren, ´Bleeding´ und den Vorgänger ´Mosquito´ kenne ich tatsächlich nur flüchtig, wird also von DER Kultband der frühen 90er, die einen schon damals fast mainstreamigen Act wie DREAM THEATER in den Ohren der Kenner hat alt aussehen lassen, ein neues Album serviert. Und ich habe wohl zwei Alben verpasst, denn die Fragezeichen in meinen Augen sind nicht zu übersehen. Neuer Sänger? Das hier ist doch nie im Leben Buddy Lackey aka Devon Graves. Ein Blick auf die Personalliste. Alle da, die man seit ´A Social Grace´ kennt und lieb hat. Ward Evans am Bass, Norm Leggio am Schlagzeug, dann Brian McAlpin und Dan Rock als Gitarristen, Buddy „Devon Graves“ Lackey als Sänger. Aber das ist er doch nicht, niemals. Selbst bei DEADSOUL TRIBE war sein Gesang herausragend, hell, exaltiert, emotional. Der hier mittelhoch dahin singende Typ ist alles andere als schlecht, aber wie sich das anhört? Also, PSYCHOTIC WALTZ haben sich verändert. Sind sie deswegen jetzt Mainstream? Warten wir es ab.

´Devils And Angels´ beginnt mit geheimnisvoll exotischem Intro, dem ein vertrackter Progmetalepos folgen könnte, gleich wie auf ´Into The Everflow´ 1992. Das stakkatohafte Riffing ist ja etwas versetzt, die Atmosphäre mystisch, dunkel, erhaben, spacig, die verhalten gesungenen, hallig inszenierten und fast geisterhaften Strophenmelodien sind schön, wie viele der Leadgitarrenharmonien ebenfalls. Rhythmisch wogt das Stück – und bei allem Bombast, den man hier erwischt, ist es doch sehr geradlinig und leicht nachvollziehbar. Die Arrangements sind natürlich komplex aufgeschichtet. Die Solopassage mit der wundervoll singenden und zum Ende hin von einer zweiten Stimme begleiteten Leadgitarre macht Freude. Der Refrain bzw. der mehrfach als Refrain gesungene Songtitel ist eher simpel. Muss nicht schlecht sein. Eine ruhige Passage, dann ein Ausbrechen über dem hohe Schreie liegen, die ebenfalls gespenstisch wirken. Das Ende ist dann ein ganz sachte nachhallender Synthesizer, wenn der epische Bombast des vorigen Abschnitts verklungen ist. Im sanft balladesken Moment des Songs erkennt man Buddy Lackey (und so heißt er nun mal wirklich) sogar.

Jubilierend beginnt ´Stranded´ mit mehrstimmigen Gitarrenläufen und packend schönen Melodien. Der Song wirkt durch die Synthesizer sehr abgeflogen. Auch hier ist alles sehr mitreißend und einprägsam, ja eingängig komponiert. Ich will nicht an GHOST und ihr Debütalbum denken, aber vielleicht passiert mir das automatisch. Ein wenig Sperrigkeit bringen PSYCHOTIC WALTZ hier mit rein, aber das ist kein Progressive Metal mehr, wie ich ihn von früher her kenne. Das ist etwas modernerer, melodischer Heavy Metal. Immer wieder kommen diese jubilierend euphorischen Augenblicke ins Spiel, mehrstimmige Soli, große Melodiegesten, die aber so bohrend eingängig sind, dass man sie schon fast als irgendwie bekannt erachten möchte. Das können FIFTH ANGEL machen, HEIR APPARENT, Bands der alten Melodic Metal Garde, die unbedingt neuen Kram produzieren wollen und eben nicht wie 1985 klingen mögen. Aber passt das bei PSYCHOTIC WALTZ? Warum sollen nicht mal die California Boys ein wenig straighter klingen?

Wenn ich an die IQ-Doppel-CD von 2019 denke, dann hätte ich sie mir gerne öfter derartig energetisch gewünscht wie ´Stranded´ oder ´Back To Black´, den dritten Song. Auch der ist nämlich straight, mit etwas Stakkato aufgepeppt, melodiebetont, durch massive Synthesizereinlagen spacig, pompös, aber immer wuchtig und kraftvoll. Die Refrainmelodie birgt Ohrwurmpotential, die Solopassage verbreitet eine mystische Atmosphäre, aber auch grandiose Heavyrockbodenständigkeit, bevor es wieder in den Gesang geht.

´All The Bad Men´ ist getragen, etwas schleppend, beinahe schon etwas doomig. Die Melodien sind da, groß und majestätisch. Der Gesang klingt wiederum nicht nach PSYCHOTIC WALTZ, aber das sind wir schon gewohnt. Dieser Gewöhnungseffekt stellt sich rasch ein. Gefühl ist das Zauberwort bei diesem Album. So futuristisch sich die Stücke auch präsentieren und so modern sich die Produktion anfühlt, so voller Leben, Seele, Leidenschaft steckt jedes Detail eines jeden Songs. Und aus dem schleppenden Song wird ein tosender Mid-Tempo-Brecher, der wie ein vom Sturm aufgewühltes Meer kocht und brodelt, eine schier irrsinnig zu nennende Intensität generiert und mit seinen packenden Melodien die Sinne betört. Ich wollte gerne meckern, weil ich nicht glauben kann, dass sich überdimensonale Klassikermomente wiederholen lassen. Und da sind PSYCHOTIC WALTZ nicht hin.

´The Fallen´ ist ein schönes akustisches Stück am Anfang, auch hier wieder mit reichhaltigen Arrangements und ergreifenden Melodien. Lackey taut langsam wieder auf, seine schmerzvoll klagende Art in balladesken Momenten zu singen, erinnert einen an den Klassiker ´I Remember´ und an ´Hanging On A String´ vom zweiten Album. Seine exaltierten Momente hält er zurück. Mag natürlich an der Produktion liegen, dass die nicht so auffallen, aber er singt meistens eher zurückhaltend und dabei beschwörend. Wenn dann der wuchtig stampfende Refrain und die Heavypassagen kommen, fällt einem auf, dass sich Lackey etwas angegriffen anhört, rauer als früher. Das hat die Produktion nicht wegbekommen. Steht ihm aber zu Gesicht. Ein wildes, von mystischen Melodien getriebenes Solo explodiert irgendwo mitten in dem Stück und wuchtiges Stampfen mit dem packenden Refrain reißt Dich derweil um. Schön, wie Lackey hier mit sich selbst im Dialog diskutiert und endlich sind da die Ausbrüche. Bisher steigerte sich das Album von sehr gut bis überdimensional.

´While The Spiders Spin´ scheint mit seinem hübschen, aber harmlosen Akustikgitarrenanfang das Ganze etwas abzuflachen, aber dann kommt auch hier wieder der schwere, epische Metal ins Spiel und auch wenn der Gesang nach wie vor eine Schippe weniger crazy ist wie früher, geht er doch direkter in die Seele. Und die Schlenker, kleinen Kiekser, Verrücktheiten sind da, nur eben etwas versteckter. Der Song an sich ist eher schwebend, heavy, von betörender Schönheit. Ich hab nun 60 Prozent des Albums durch, liege voller Euphorie in schierer Verzückung auf dem Boden und sabbere wie toll.

Der Gedanke an Epic Doom Metal ist in diesem Falle nicht abwegig, wenngleich PSYCHOTIC WALTZ sich auf den ersten beiden Alben nie in der Ecke aufgehalten haben. Aber heuer ist da diese Schwere, diese schleppende, mystische Melodik. So auch in ´Pull The String´, der wiederum ein paar schöne Stakkatoriffs und wogende Rhythmen mit sich bringt, worauf es sich herrlich herumschweben lässt. Die Melodien sind versponnen, nachdenklich stimmend, aber schön dabei. Buddy Lackey packt seine Querflöte aus (nicht was Ihr denkt, Ihr Ferkel – der Verf.), kann zwischendrin noch ein schönes CELTIC FROST „Ugh!“ einwerfen und lässt gerne den abartigen, machtvollen Leadgitarren für die Solopassage den Vortritt, bevor der Refrain sich wieder in die Ohrmuschel schmiegt.

Ein verträumter, melodischer Song folgt als nächstes, ´Demystified´, halbwegs balladesk, irgendwie vertraut wirkend, aber doch wieder so schön frisch. Lackey singt endlich wieder wie er selbst, spielt wunderschöne Flötenläufe und hat den geilsten Refrain des Albums mit folkigem Ausdruck geliefert. Es geht immer noch ein Stückchen nach oben auf der Qualitätsleiter.

Auch ´Sisters Of The Dawn´ ist eher neu im PSYCHOTIC WALTZ-Kosmos, wenn man nur die ersten beiden Alben kennt, aber eine epische Melodic Metal-Hymne vor dem Herrn. Warum Melodicmetal? Warum halt nicht? Muss immer alles totgefrickelt werden? Kann einfach ein toller Song nicht genügen? Ich glaube, die Band ist selbstsicher genug, auch mal entspannt das Streben nach immer höheren Regionen der Progressivität sein zu lassen. Sie klingt wie eine Band mit Anfang bis Mitte 50 klingen darf. Und sie lässt so viele der Jungspunde einfach ALT aussehen. Wenn es dann in die ruhige Mitte geht, sterbe ich fast an vor Freude zersprungenem Herzen. So ein schönes Solo. Und es kommen noch mehr. Soli, die man zwar in dem Zusammenhang schon von anderen kennen mag, die aber so lustvoll und mit größter Begeisterung gespielt werden, dass sie einem schlichtweg den Boden unter den Füßen fortreißen.

Ich revidiere meine Meinung, die mich zu Beginn des intensiven Durchhörens dieses Albums im Griff hatte. Vorurteile sind für die Schüssel, vergesst aber das gründliche Nachspülen nicht. Das hier ist die größte Kunst und wenn man aktuelle Meisterwerke im kunstvollen Hardrock- und Metalbereich anführen will, würdige Nachfolger für die 2019er Meisterwerke von BANCO DEL MUTUO SOCCORSO und OPETH.

´In The Silence´ setzt wieder auf ruhigere Momente, dazu elektronische Soundspielchen und gewaltige, durchdringende Melodien. Der Refrain ist groß und die Momente, wo dann schöner 80er Heavyrock in Erscheinung tritt und wunderbare Soli einem ein breites Grinsen aufs Gesicht zaubern, schenken mir neue Kraft, die letzten Momente eines erhabenen Albums zu durchleben.

Positiv fällt auf, dass zwar viele Songs vom Aufbau her ähnlichen Mustern folgen, aber immer mit umso wilderen Melodien geschmückt sind, die eben so fernab von allen Standards liegen, wie sie nur können.

Ich sage JA zum PSYCHOTIC WALTZ-Comeback und hab oben ja schon die beiden für mich am weitesten ebenbürtigen Alben der letzten Jahre als qualitative Referenzen erwähnt. Also, ab in den Laden, einkaufen das Teil! GIGANT!!!!

(10 Punkte)

 

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 (VÖ: 14.02.2020)