PlattenkritikenPressfrisch

DE WOLFF – Tascam Tapes

~ 2020 (Mascot Records) – Stil: Rock ~


Die Agenda für dieses Album besagt, dass es „on the road“, also während des Tourens zu jedem erdenklichen Zeitpunkt mit den gerade gegebenen Mitteln aufgenommen wird. Günstig aufnehmen, teuer klingen lassen. Damnischer Promowisch.

Irgendwie sind das hier DEWOLFF, die eine der angesagten LoFi Produktionen auffahren und seit ihren Gründertagen vor etwas über zehn Jahren ihren Retrosound mit diversen Elementen neben dem orgeligen Rock von 1970 aufgepeppt haben. So richtig hatten sie mich bisher mit den ersten beiden Alben nicht, ob das mit dem x-ten Werk gelingt, nachdem ich sie lange nicht verfolgt habe, wird sich zeigen. Zwischen ´Orchards / Lupine´ von 2011 und ´Tascam Tapes´ liegen neun Jahre und vier Studioalben plus zwei Compilations mit Livestücken und raren Nummern. Nun, ich hab ihnen Zeit gegeben, sich auf mich vorzubereiten. Jetzt gilt es, den großen alten Bären zu erobern.

´Northpole Blues´ klingt schon mal recht schepperig. Das ist klanglich gewollt, dieses Scheppern der Rhythmen, leichte Zerren der Lautsprecher. Die Gitarre knarzt darüber ebenso dirty und der Bass klackert irgendwo im Hintergrund. Der Gesang ist recht klar, die Melodie ist so urtypisch Mitte-60er bis Spät-60er, erdiger, freundlicher Rock’n’Roll. Ein Störgeräusch unterbricht den Fluss des Stückes, es folgt zu seinem Ende hin ein elektronisch verzerrter Abgehpart mit sprödem Charme. Die Gitarre zerrt dünn wie ein Rasierapparat, die Trommel klingt hohl wie ein Ölfass, nur mit elektronischem Ausdruck. Okay, kann man machen, so klingt es wenigstens nicht verstaubt und schenkt auch einem Rip-Off von uralter Rockmusik noch ein frisches Feeling.

´Blood Meridian´ ist auch nur etwa 50 Sekunden länger, eine knarzige Garagenrocknummer mit poppiger Spät-60er Soulgesangsmelodie, die echt packt – und Dich seelisch durchschüttelt. Klingt aber sehr modern und könnte im bösesten Fall ein musikalischer Mix aus den WHITE STRIPES und ADELE sein. Es ist nun auch nichts, was man nicht zuvor schon gehört hat, aber darauf legen DEWOLFF keinen Wert, sie wollen gute Songs schreiben und das hier ist einer. Es sind Nuancen, die über die Langlebigkeit eines Liedes entscheiden und das hier hat diesen gewissen Schwung in Melodie und Groove.

Funkiger Soulpop mit dem Feeling der späteren 70er erwartet uns mit ´It Ain’t Easy“, das Video dazu soll wohl lustig sein, ich klemme mir das lieber. Guter Sound übrigens und ein netter Song. Schönes Solo der Gitarre, hier und da im Hintergrund ein wenig elektronisches Geknarze. Das hier ist Popmusik, auf die ich mich einlassen kann. Hat was, hat echt was. Ob das wirklich längerfristig wirkt, kann ich nicht sagen. Es ist sehr eingängig, aber es passiert auch was im Hintergrund. Und diese Detailverliebtheit sorgt vielleicht für Substanz.

´Rain´ klingt auch nach Regen, hat wieder diesen LoFi-Sound mit dem Charme einer Schellackplatte von 1960, könnte eine Südstaatensoulballade aus den 60ern sein, auch wenn die Gesangsmelodie etwas zu modern und frisch klingt, vielleicht auch die Stimme oder die Aufnahmequalität der Stimme. Schöne Slidegitarren streicheln die Seele in den etwas üppigeren Momenten, wie kleine Pinselstriche. Die instrumentalen Passagen bestehen aus reduzierter Gitarrenklimperei auf sparsamem Beat. Das hat schon einen gewissen Charme. Einen morbiden Charme von verfallenen Farmhäusern nahe der Sümpfe Louisianas oder verwucherten Grundstücken direkt am großen, trägen Mississippi River. Ein wenig geisterhaft kommt die ganze Atmosphäre des Stücks aus den Boxen gespukt.

´Made It To 27´, kicher, eine Anspielung auf den berühmten CLUB 27, in dem alle im Alter von 27 verstorbenen und KVLT gewordenen Mucker der Vergangenheit ihren fragwürdigen Ehrenplatz gefunden haben. Der Song klingt wie 1964er Beat mit leichter Soul, Country und Rockabilly Note. Johnny Cash, Nancy Sinatra und die jugendlichen ROLLING STONES im Jam, irgendwo in Nashville in einem kleinen Studio. Well, kurzer Song, ein wenig Nostalgie, Träumereien und weiter geht es. Gut gespielt ist hier übrigens alles.

´Nothing’s Changing´ hat einen netten elektronischen Groove, Gitarren mit zerrigem, synthetischem Klang, bluesige Strophengesangsmelodien, einen simplen Refrain mit schöner Harmonie und Synthesizerläufe, die noch mehr Farbe addieren. Klingt wie eine Garagennummer neuerer Prägung durch den Synthesizer gezogen. Poppig, cool, altbacken komponiert und wieder sehr erfrischend. Über den Beat könnte man fast rappen und der Rhythmus der Phrasierungen des hochmelodischen Gesangs kommt dem schon nahe. Sie denken sich bei aller Kürze der Stücke doch etwas dabei.

Die ´Tascam Tapes´, soweit schon kann ich das sagen, sind kein alltägliches Pop – oder Garagenrockalbum, sie taugen dem Mainstream wie dem Underground und DEWOLFF werden hiermit sicher weiter ihren Platz im Musikuniversum ausbauen.

Ein lockerer Beat sitzt unter ´Let It Fly´, ich kann den Beat nicht ins moderne Popzeitgeschehen einordnen, aber er ist eigentlich eher souligen Mainstreamproduktionen eigen. Soulig und poppig klingt die Melodie des Songs, sehr gesangslastig. 60er artige Leadgitarrenparts mit Südstaatenfeeling, eine luftige Leichtigkeit in der Gesamtatmosphäre, 60er Soul und moderne elektronische Popmusik treffen sich. Geiler Gesang, tolle Stimme, tolle Backings, schöne simple Melodien, der Song hat viele großartige Elemente und wiederum ist er kurz und prägnant.

Warum ihre beste Hymne jetzt noch einen zweiten Teil auf dem gleichen Album bekommt, mag mir ein Rätsel bleiben, der Song ist anders als Teil 1. Ein elektronischer Grundbeat, dazu Geklöppel, das wie Metallstangen auf anderem Metall klingt, Synthesizer über alles und etwas düsterere Stimmung, der Song hat was. Könnte von DEPECHE MODE sein, wenn sie versuchen, aktuellen Retro 70er Rock in ihren Sound zu übertragen. Auch das hier ist moderner Pop, tauglich fürs Radio und doch irgendwie verstörend. Spacige Geräuschtupfer sorgen für den abgefahrenen Ausdruck und die Synthesizer sollten den normalen Popradiohörer auch verängstigen. Wie machen die das? Analog einspielen und die Aufnahmen der Instrumente durch Synthesizer jagen, dann mit Effkten überladen? Klingt crazy.

Garageblues mit Soulelementen auf Hip Hop-Beat, mit schöner Old School Bluesgitarre hier und da, das geht durch. Wieder ein Pophitanwärter, wieder zuviel coole Musik der 60er mit drin und daher für den modernen Hörer eher ein Affront. Kurz und bündig gehalten, so macht es Spaß. Heißt übrigens ´Awesomeness Of Love´. Eigentlich ist die Liebe eine totale Verschwendung, wenn man den Titel des folgenden Songs als Grundlage nimmt. 1970er Soulfunk, die elektronische Zerre hier und da im Sound lässt keinen Zweifel, dass es ein aktuelles Lied ist. Schöne Melodiebögen, wieder ein schlichter, aber feiner Refrain. Die Größe fehlt ihm irgendwie, aber das Stück ist gut, fühlt sich gut an. Auf alt getrimmt mit all den unverzerrten Schlaggitarren und dem Tambourin. Das Gitarrensolo bringt etwas Ekstase ins Spiel. Warum am Ende „Weiß ich nicht“ gesagt wird und aus welchem Film der Soundschnipsel stammt, entzieht sich meiner Erkenntnis.

Eine schöne Ballade im Stil der späten 60er mit Westküstenfeeling und verträumter Stimmung schließt sich an, immer so ein wenig out of tune, neben der Spur vom Gesang her, klingt aber sehr lebendig, eher skizzenhaft wie ein Versuch, den Song zu schreiben, der gerade mitgeschnitten wird. Dann kommen Refrainpassagen mit Mellotronstreichern unterlegt, die wieder sehr durchdacht tönen und das Stück ist aus.

Zweieinhalb Minuten Garagesoul von 1969 beschließen das Album. ´Life In A Fish Tank´ ist eine tolle Nummer, total retro, total 1969, aber auch total authentisch und unmodern, wenn man nicht so genau hinhört.

Das war es also, das neue Album von DEWOLFF. Wirklich ein „On the road“ Album, das eine Geschichte über einen Road-Trip von ein paar jungen Niederländern zu erzählen scheint und sich mal düster, mal schwermütig, mal luftig wie aus dem echten Tourleben gegriffen anfühlt. Popmusik, kaum Rock, zuweilen urbane Modernität, dann wieder ländliche Zeitlosigkeit, alles verträumt, aber nie ausufernd. 1960er treffen 2020 mit allem dazwischen. Reine RetroKVLTfanatiker werden sterben, ebenso Nichtmusikhörer, die sich gerne von flachem Radiopop berieseln lassen. Einfache und kurze Songs bedeutet nicht, dass hier platter Mainstreamscheiß geboten wird. Pop ja, aber immer haarscharf am Pop vorbei.

(8,5 Punkte)