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MIMMI – Semper Eadem

~ 2020 (Subsonic Society Audio) – Stil: Renaissance Pop ~


Vier Farben. Vier Haarfarben. Vier Klangfarben. Vier individuelle Gefühlswelten. Vier Diven für ein Halleluja.

Oft habe ich sie zu Vergleichen herangezogen – die große Kate Bush, die brillante Tori Amos und die unterbewertete Sophie B. Hawkins – doch nie trafen diese Verweise bezogen speziell auf die feinen stimmlichen Nuancen und die künstlerische Extravaganz so auf’s Auge wie im Falle der Norwegerin Mimmi Tamba. Der frische Biss und die Kreativität der jungen Kate in den höchsten Stimmlagen trifft auf die angenehme Kraft und Wärme einer Tori mit der Leichtigkeit und des Popverständnisses einer Sophie. Und doch macht sie ihr eigenes Ding, kreiert das sie umgebende musikalische Universum so widdewiddewie-es-ihr-gefällt. Das gelingt den Wenigsten – auch nicht vor Nelson Mandela auftreten zu können, nachdem man mit 13 Jahren sein erstes Minialbum aufgenommen hat. Respekt.

 

Zehn Jahre Später folgte ihr Debütalbum, mit weiteren sechs Jahren Abstand und Entwicklung nun jetzt ihr zweiter Longplayer. Während die einen noch rechnen, haben sich die Mathematiker unter euch schon von jeglicher Logik getrennt und geben sich ihren Gefühlen beim Hören dieses Herzwerkes hin. Diese Emotionen werden transportiert von massig vielfachem klassischem als auch zeitgemäßem Instrumentarium, welches jedoch nie von der Stimme und der Grundaussage der Songs ablenkt. Mit einem choralen, stimmungsvollen, bluesigen Gospel nimmt MIMMI uns an die Hand und tröstet uns damit, dass keiner von uns der Einzige ist, der manchmal tief in der ´Pit´ sitzt und Hilfe zum Wiederaufstehen braucht. Ein Festival der Stimmen ruft uns:

I need help to get out from the pit that im in – from the pit that im in
In the sun, in the sun where the shadows are shadows
Not hidden away in the dark – I’ll take the moon, I’ll take whatever
Just some light to give me power – some strength to get through the night

Besonders in der Nacht sehen wir uns oft schier unlösbaren Sorgen gegenüber; fühlen uns zerbrechlich wie ´Porcelain´ bis uns jemand einen Rettungsring zuwirft, am Besten auf die beruhigende Art einer Tori Amos.

When the night comes – you have your worries
Just like the rest of us
When the night comes – you have anxiety
How I wish i could tell you – you’re not alone

Mehr Kate Bush als im überragenden ´Money´ geht sogar von ihr selbst nicht mehr, bis die junge Künstlerin aus dem Korsett des Vorbilds ausbricht und sich im wahrsten Sinne „on the top of her lungs“ freisingt. Auch wenn es textlich eher um Armut und Obdachlosigkeit zu gehen scheint entführt ´Talibé´ uns musikalisch auf die historischen Felder der Zwangsarbeit und Sklaverei und wir fühlen uns als eine von vielen armen Seelen auf unendlich weiten Baumwollfeldern, auf denen es nur Musik und Stimmen als Trost zum Durchhalten gibt.

Fast EBM-rhythmisch beginnt ´Happen´ um im Universum von YELLO zu wandeln. Lasst euch nicht von dem Begriff „Pop“ abschrecken – um solch einen Hit im Radio hören zu wollen, müsste man seine Seele schon dem Teufel verkaufen. Als Kind der Achtziger überlege ich, ob PROPAGANDA heute so klingen würden und bin mir bewusst: Ich wäre erneut Fan – ein Underground-Hit für die Ewigkeit!

Eine Beziehung endet. Wie so oft im Leben, jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde – an jedem Ort. Man sitzt gedankenverloren vorm Plattenspieler und hört ´Break´:

Sunday morning you`ll be gone – that day my heart will turn into stone
Empty appartment without you home – dont you walk out that door
Sunday mornig we’ve lost it all – breakfast fun and our intwined souls
Empty bottles from before – don’t you walk out that door

 

 

´Pink + Silver´ zeigt alle Wohlfühl-Facetten ihrer Stimme auf. Ein Lied, welches ebenso wie das nachfolgende ´Worries´ wunderbar auf Sophie B. Hawkins‘ Meisterwerk ´Tongues And Tails´ gepasst hätte, aufgrund ihrer beider Leichtigkeit trotz der textlichen Tiefe. Ihre Selbstreflektion und Wünsche steckt MIMMI in das überaus intensive ´Never´, welches zu einem emotionalen Ausbruch von Künstlerin führt, was euch den Pulsschlag in die Höhe treibt:

What if I told you that im not really here – that I’m lost in space
Surreal
What if I told you I may bark as a dog – purr like a pussy but inside I’m…
But I guess you’ll never know – no you’ll never ever know
Cause I`ll never ever show – no you’ll never ever know
Never

Zart, ganz zart erinnert sich Mimmi an ihren Vater und fühlt die Sehnsucht nach einem Wiedersehen als die Person, zu der man nun herangewachsen ist und sich bewusst entwickelt hat – das Piano gleicht einer Spieluhr, die man aufgezogen hat, um endlich einzuschlafen und inneren Frieden zu finden.

I am my fathers child and I have the courage of Joan Of Arc
How I wish he could see me now somehow
Cut through his heaven or hell and see me now
Oh father, oh father
Oh father, oh father

´Semper Eadem´ ist ein treffender Albumtitel: Um was es hier textlich geht, ist alltäglich, es ist wie immer, es passiert jedem – die Musik dazu ist das absolute Gegenteil…hier ist nichts alltäglich. MIMMI selbst bezeichnet ihre Musik als Renaissance- oder Barock-Pop. Zum Einen wegen dem eingesetzten, teils klassischen Instrumentarium, über dem ständig ihre Stimme thront, zum Anderen, weil der Entwicklungsprozess des Albums für ihre Wiedergeburt, ihre Renaissance steht und der damit verbundenen Erforschung der eigenen Gefühls- und Musikwelt. Andere würden von „Singer-Songwriter Artpop“ sprechen, ich kann nur schließen mit meinen eigenen Worten:

Vier Farben. Zu der brünetten Kate, der rothaarigen Tori und der blonden Sophie gesellt sich die schwarzhaarige MIMMI mit einem Werk, welches – falls man erst in fernen Jahren von einem Klassiker sprechen will – zumindest in der Referenzklasse der Diskografie genannter Künstlerinnen seinen gebührenden Platz findet. Bedingungslose Liebe.