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WHITE WARD – Love Exchange Failure

~ 2019 (Debemur Morti Productions) – Stil: Black Jazz ~


Ich persönlich finde ja, dass Black Metal und Jazz nicht nur perfekt zusammenpassen, sondern geradezu Geschwister im Geiste sind: klassische Songstrukturen wurden durchbrochen und hinter sich gelassen, dafür werden kleine Themen in vielfacher Weise, gerne dissonant, ab- und umgewandelt wiederholt, interpretiert und improvisiert, und künstlerische Freiheit nimmt nicht nur in Gestaltung wie Ausführung einen großen Raum ein. Atmosphäre und Spannung werden durch dialogartiges Frage- und Antwortspiel erzeugt, aber auch durch Einsatz von Instrumenten außerhalb des klassischen Rockband-Settings, seien es elektronische oder auch Blasinstrumente wie das je nach Einsatz sehnsuchtsvoll warm wie distanziert kühl klingende Saxophon, mit dem schon generell avantgardistische Musik gleichgesetzt wird.

Während diverse norwegische Black Metal-Bands wie ULVER oder MANES ab einem gewissen Punkt ihrer Karriere den Weg in die Electronica/Trip Hop-Richtung, oft auch mit Jazz-Einflüssen nahmen, und damit eine der diversen Ausprägung des Post-Black Metals definierten, entstanden auf der anderen Seite Dark Jazz-Bands wie BOHREN UND DER CLUB OF GORE aus dem Doom und Extremmetal kommend und die Ästhetik des Jazz übernehmend, und natürlich gibt es gerade im Progressive Metal große Schnittmengen mit diversen Jazzstilen. Dass Black Metal jedoch nicht wie so oft mit Dark Ambient, sondern direkt mit dem Jazz fusioniert, ist dagegen eine relativ neue, aber hoch willkommene Entwicklung.

Die norwegischen SHINING haben mit ihrem Saxophonsound dafür den Begriff Black Jazz geprägt, die New Yorker IMPERIAL TRIUMPHANT bringen ihn in die kalt-glitzernde Großstadt. Die Holländer LASTER erzeugen ihre Lounge-Atmosphäre mit Piano und ihren komplexen Bassläufen, und eine ganz eigene Interpretation steuern seit ihrem Debüt auch WHITE WARD aus Odessa bei.

 

 

Während auf ´Futility Report´ (2017) zwar schon beide Welten ihren Raum hatten, ihre gegenseitige Verquickung jedoch noch nicht so stark ausgeprägt war, ist ´Love Exchange Failure´ nun eine echte Symbiose von Black Metal und Jazz, angereichert mit düsterer Filmmusik im Stile Angelo Badalamentis. Bereits der unten im Video präsentierte Titelsong zeigt, wie gut das Trio es versteht, eine nächtliche Großstadtstimmung mit Piano, Saxophon und in der Ferne verhallenden Martinshörnern zu erschaffen, bis die Verzweiflung angesichts des vom Menschen selbst erschaffenen ständigen Existenzkampfes die Überhand gewinnt und sich in geblasteten Riffs und schwarzmetallischem Furor Bahn bricht.

Das Thema von ´Love Exchange Failure´, des „scheiternden Austauschs von Liebe“, ist die sich immer mehr zuspitzende Situation, in die sich der moderne Mensch selbst gebracht hat, indem er ein künstliches Einzelkämpferleben jenseits der natürlichen Kreisläufe und Grenzen zu führen versucht. Diese selbstgewählte und absolut selbstüberschätzende Abtrennung von Harmonie und Rhythmik der Natur, und ihre Folgen wie unter anderem soziale Umbrüche, und Isolation, Zunahme von häuslicher Gewalt und Mobbing sowie psychischer Krankheiten sehen die Ukrainer als Grund für viele Tragödien der heutigen Menschheit an, und setzen die krassen Widersprüche zwischen sinnvollem wie -sinnentleertem Dasein kunstvoll in ihrer Musik um. Man kann die Verlorenheit und Einsamkeit des Individuums in einer Millionenstadt wie Odessa geradezu spüren, wenn man anhand dieser sieben langen Songs einen Spaziergang durch die Nacht macht.

´Poisonous Flowers Of Violence´, ´Dead Heart Confession´ oder ´No Cure For Pain´ sprechen für sich selbst, und bieten feinsten bittersüssen Post-Black Metal mit vielen ´Surfaces And Depths´, Ecken, Kanten und unverhofften Wendungen, der für Fans von avantgardistischem, depressiv angehauchtem Post-Black Metal wie FARSOT oder am anderen Ende des Spektrums sogar CULT OF LUNA genauso interessant ist.

Zum eigenständigen Konzept kommt ein ausgeprägtes Gespür für stimmige Songs, große, aber zerbrechliche Spannungsbögen und Kontraste, und ein generell sehr einfallsreiches Songwriting. Interessant ist dabei nicht nur die Rolle des Saxophons, das mal unterstützend wie der Bass oder eben solierend eingesetzt wird, und dem Gesamteindruck gerade in den langsamen, fragilen Passagen seinen Stempel aufdrückt; doch auch die Gitarren können nicht nur mit Tremolo Picking glänzen, sondern brechen immer wieder zu geradezu truemetallisch singenden Soli aus. Weiterhin konnten WHITE WARD diverse Gastsänger/innen für die cleanen Vocals gewinnen, was einen fast hörspielartigen Charakter erzeugt.

Diesen extrem talentierten, jungen Instrumentalisten kann eine große Zukunft offen stehen, wenn sie weiterhin an ihrer Vision des `Deviant Black Metal Noir´ nicht nur festhalten, sondern ihren Weg auch weiter in vielerlei Richtungen experimentierend gehen. ´Love Exchange Failure´ ist auf jeden Fall meine große Post-Black-Nachwuchsüberraschung 2019!

(8 Punkte)

 

https://whiteward.bandcamp.com/

https://www.facebook.com/whitewardofficial/