Livehaftig

FREEDOM CALL, VISIONS OF ATLANTIS, SEVEN THORNS

~ 17.10. 2019, Stuttgart, ClubCANN ~


Manchmal muß man seine Komfortzone doch mal verlassen. Als Badener, selbst wenn man ein Zugezogener ist, versucht man in der Regel, Besuche im Schwäbischen zu vermeiden. Weil aber die Dänen SEVEN THORNS mit von der Partie sind, mache ich mich auf den Weg in die Landeshauptstadt Stuttgart. Schließlich waren sie ein Teil meines ersten Beitrags für diese Seiten. Wenn das kein guter Grund ist…

Der ClubCANN ist ein Teil eines Jugendzentrums, vielleicht eine Gehminute entfernt vom Cannstätter Bahnhof. Mit geschätzten 300 Besuchern ist er gut gefüllt. Am Abend macht die Runde, dass es ausverkauft ist, dafür ist noch angenehm Platz. Die Bühne ist recht hoch, so ist der Blick auch aus den letzten Reihen recht gut. Im Vergleich zu einem 7er Club oder einem Colos-Saal wirkt er aber etwas steril.

Als erste entern die dänischen Power Metaller SEVEN THORNS die noch enge Bühne, da ihr Material dem der weiteren Bands vorgestellt ist. Nachdem vor einem Jahr der Keyboarder wegen Krankheit nicht dabei war, ist man dieses Jahr komplett angereist. Und es gibt ein kurzes, dafür knackiges Set mit Futter ihres aktuellen Drehers ´Symphony Of Shadows´. Ein paar Backing Tracks sind noch vorhanden, aber im Vergleich zum restlichen Abend hier am sparsamsten eingesetzt. Und es geht um die pure Musik, keine Showeffekte, keine Party. Mit diesem Konzept werden die Fans jedoch schnell überzeugt.

Bassist Mads Mølbæk, langer zusammengebundener Bart, jede Wikingergruppe könnte stolz sein: So steht er da, grinsend, und spielt seinen Part. Gabriel Tuxen, Gitarre, der blonde Engel, die Haare fliegen im Wind des Ventilators, alle Metalklischees pur. Dabei wirkt das aber nicht albern. Drummer Lars Borup sieht locker aus. Scheinbar ist Schlagzeug spielen kaum anstrengend. Der Keyboarder Asger W. Nielsen ist leider hinter seinem Turm von meiner Warte aus kaum auszumachen. Am meisten mit dem Publikum flirtet jedoch Björn Asking. Es scheint, als ist er für jeden einzelnen hier.

Europäischer Power Metal, ein bißchen Speed, viel Melodie, die nötige Menge Dreck. So geht das, so will ich das. Und auch viele andere, denn die Band ist am Merchstand, während die nachfolgende Band auf der Bühne steht, schwer umlagert. Kein Wunder, mit Songs wie ´Black Fortress´ und ´Beneath A Crescent Moon´mit seinem orientalischen Einschlag.

Im Laufe des heutigen Tages wurde im Bundestag über ein allgemeines Tempolimit auf den Autobahnen abgestimmt. Mich hätte das nicht gestört, denn Zeit im Auto ist Zeit, Musik zu hören. Ich kenne einige, die bewußt langsamer fahren, um einen Song, ein Album zu Ende zu genießen. Während VISIONS OF ATLANTIS auf der Bühne stehen, wünsche ich mich in einen Stau am Kreuz Weinsberg. Dann könnte ich Musik mit dem Herzen hören und nicht mit den Ohren. Eine CD wäre sicher befriedigender als das hier Gebotene.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Mischer so gut ist oder 75 % Playback aus den Speakern schallt. Das Schlagzeug, etwas zu laut, klingt noch live gespielt, der Gesang falsch genug, um auch echt zu sein. Bass und Gitarre klingen aber so nach Konserve, ein klebriger Keyboardteppich (ohne Keyboard!!!) tut ein Übriges. Ziemlich viele qualitätsbewußte Fans finden sich vor der Tür ein, und schimpfen über die üble NIGHTWISH-Kopie. Die Wacken-Fraktion feiert das Ganze ab. Man könnte vermuten, manche Fans wollen verarscht werden.

Der Abend ist noch nicht vorüber. Auf der Bühne steht ein überdimensioniertes Drumset, jetzt wird es etwas enger im Publikum. Nebel, Einspieler vom Band, FREEDOM CALL rocken Cannstatt. Chris Bay ist gut bei Stimme und bei Laune. Er erzählt, feuert die Meute an. Er spielt mit den Anwesenden, Mitsingspielchen, Witzeleien. Die Musiker hinter ihm, Lars Rettkowitz an der Gitarre und die neue Rhythmussektion Francesco Ferraro (Bass) und Drummer Timmi Breideband (Ex-BONFIRE) tragen mit Spielfreude zum Gesamtbild bei.

Den Sound und die Songs kann man mit cheesy sicher gut umschreiben. Cheesy, aber geil. Wenn alle feiern, sogar Leute, die nicht nach Happy Metal schreien, dann wird irgendwas richtig gemacht. Irgendwie kommt mir der Vergleich mit einem Kaugummi, frisch genossen … hier vor der Bühne ist das beeindruckend. Ein großer Teil des neuen Albums ´Tears Of Daedalus´, ´Sail Away´, oder der Titelsong ´M.E.T.A.L.´, gehen hier gut ab, im Auto von CD ist es einfach melodischer Power Metal in gutgelaunter HELLOWEEN-Tradition.

Ein wichtiges Schlagwort sei noch Selbstironie. Wer bei einer Ansage feiert „unser neues Album, bei allen Zeitschriften im Soundcheck wieder auf dem letzten Platz„, der kann über sich selbst lachen, der nimmt nicht alles ernst. Aber dem Volk gefällt es. Was ganz sicher wichtiger ist, als irgendeine Kritikermeinung. Wenn so viele Fans sie feiern wollen, die Happy-Metal-Party, dann hat eine Band wie FREEDOM CALL ganz klar ihre Daseinsberechtigung.