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CEMICAN – In Ohtli Teoyohtica In Miquiztli

~ 2019 (M-Theory/Soulfood) – Stil: Aztec Metal Fusion ~


Nahuatl. Schon mal gehört? Nein? Das ist das heutige Aztekisch, das in Zentralamerika immerhin von 1,5 Mio. Menschen gesprochen wird. CEMICAN bedeutet daraus übersetzt soviel wie „Dualität von Leben und Tod“, und bezeichnet damit eines der zentralen Themen sowie auch eine der musikalischen Ausrichtungen der gleichnamigen Band aus Guadalajara, die sich aztekischen Crossover aus Folklore und Metal auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Und damit schon die dritte Folk-Crossover-Exotenband ist, die genauso wie THE HU und BLOODYWOOD dieses Jahr unter anderem beim Hellfest und in Wacken aufgetreten ist – Metal/Folk-Fusion ist ein Riesentrend geworden. Wird das also nun wieder ein Verriss wie bei THE HU oder eine Lobpreisung wie bei Bloodywood?

Nun, findet es heraus…

 

 

Gegründet 2008 in Zentralmexiko, hat das Sextett bereits zwei Longplayer in Eigenregie herausgebracht, und ist nun auf dem „mystischen Pfad der Toten“, so die Übersetzung des Plattentitels, dabei, die Welt zu erobern. Was gut ist, denn gerade in Mittel- und Südamerika sind extrem viele Bands von der eigenen Volksmusik inspiriert, nur leider bei uns in Europa kaum bekannt. Mit ihrem sehr exotischen Anteil an aztekischer Folklore und einer sehr robusten Mixtur verschiedener Metalstile könnten CEMICAN da auf jeden Fall für mehr Interesse sorgen!

Denn als Stilbezeichnung könnte hier auch genausogut „Crossover“ stehen, und zwar im besten Sinne der Verquickung von Instrumentation wie Rhythmik und Songstrukturen aus so unterschiedlichen musikalischen Hintergründen wie einer alten, durch koloniale Eroberung untergegangenen Kriegerkultur und einer gerade mal ein paar Jahrzehnte alten Stilrichtung der Rockmusik.
Tatsächlich ist es nicht nur ein Crossover von aztekischer Folklore mit Metal, sondern auch innerhalb dessen verschiedener Genres: während das Grundgerüst im Thrash liegt, gibt es hier auch genug Power Metal und NWoBHM-Einflüsse, und überdies sind Prog Metal-Einsprengsel nicht zu verleugnen, was möglicherweise in den verschiedenen Formationen begründet ist, aus denen die einzelnen Musiker stammen. Dass diese ihr Handwerk verstehen, ist der Scheibe jederzeit anzuhören, egal ob die Riffs herausgefeuert werden, die Leadgitarre gerade sehr kraftmetallisch-jungfräulich oder auslandend-progressiv soliert, der funky Bass seine Grooves drunterschlängelt, oder der mehrstimmige „Hohohooooo“-Gesang die Krieger zusammenruft – wenn nicht gerade spanische Gangshouts zu hören sind.

Ganz natürlich für solch ein Folklore-Amalgam liegt ein Schwerpunkt auf Percussion, am Schlagzeug sitzt ein wahres Tier, und vermutlich denkt jeder zuerst einmal an SEPULTURAs ´Roots´, beim (Sprech-)Gesang möglicherweise an die +/- Landsleute BRUJERIA oder MOLOTOV, und die Flötentöne könnten auch von SIGH stammen.

Überhaupt, diese Flöte und ihre verwandten Blasinstrumente! Keine Ahnung, um was es sich dabei genau handelt, aber das Ding sticht allein durch seine oft dissonante Melodieführung (die es allerdings auch im Gesang immer mal wieder gibt) extrem heraus, kann auch mal nerven, macht die Sache aber auch erst so richtig exotisch-interessant. Sie ist auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal, wobei die ganze Chose sowieso schon extrem eigenständig und unverwechselbar ist, und vor allem gerade wegen ihrer unbekümmerten Verrücktheit so richtig Spass macht.

Und das vor allem in der zweiten Albumhälfte: ab dem grandiosen, mit weiblichem Gesang fesselnden und sehr volksliedhaften ´Luna Desmembrada´ gelingt die Vereinigung der Welten exquisit, der Metalanteil ist deutlich besser als zuvor integriert in die Songstruktur, schliesslich tauchen auch noch Streichinstrumente auf, und trotzdem alles klingt völlig ungekünstelt und schlüssig. Das Instrumental ´Atemaxaque´ ahmt die Tierwelt des Dschungels nach, in ´El Respiro De La Tierra (Tlatecuhtli)´ atmet die Erde stark hüstelnd- vertrackt, und der Folklore-Schlager ´Diosa De Todos Los Dioses´ wundert jetzt auch keinen mehr. Bei ´Azteca Soy´ kommt schliesslich neben einem Didgeridoo ein typischer, vertrackt-schräger Latinometal-Groove zum Tragen, und man wundert sich den ganzen Song lang, wie wild hier alles miteinander vermischt wird, bis schliesslich noch eine Art aztekisches Jodeln zu vernehmen ist. Der krasse Wahnsinn!

Wer also die bereits genannten Stilarten goutiert, und dazu offen für etwas wirklich gaaaaanz anderes ist, sollte die Mexikaner auf jeden Fall antesten, und sich von den eher metal-orientierten Songs zu Beginn nicht davon abhalten lassen, tiefer in diese präkolumbianische Kultur einzutauchen.

(7 runde Entdecker- und Innovationspunkte!)

 

https://cemican1.bandcamp.com

https://www.facebook.com/CemicanMex