PlattenkritikenPressfrisch

IAMTHEMORNING – The Bell

~ 2019 (Kscope) – Stil: Emotional Progressive Chamber-Avantgarde ~


No one seems to care
That I break into million pieces, oh
They just stand and stare
As I break into million pieces more

Nach all dem starken Metall der letzten Zeit verlangt das Ohr wieder nach zarten Frauenstimmen in hochwertigem musikalischen Umfeld. Wie passend, dass da gerade Marjana Semkina und Gleb Kolyadin mit ihrem fünften Album zur Hand sind und ähnlich wie ihre sehr nahen, australischen Artverwandten NAKED RAVEN genau so aufspielen, wie ich sie positivst in Erinnerung hatte. Das Klavier spielt bei dem famosen russischen Duo schon seit jeher eine tragende Rolle, die ´Freak Show´ setzt verstärkt auf proggig-jazziges Ambiente mit vollem Instrumentarium, brillierender Sologitarre, Saxofon und damit bereits zu Beginn einen Höhepunkt. Die ´Sleeping Beauty´ beschwört den Geist von KATE BUSH herauf und schürt aufgrund der herrlichen Dynamik von leisen und intensiven Tönen das Verlangen nach einer sauber produzierten Platte im heimischen Wohnzimmer.

Up and down your chest moves,
But have a look around you’re trapped in a glass box
There’s a lock and the key is lost
You scream with no sound

Ihr seht schon, die Texte sind alles andere als kuschelig und können es mit so mancher Düstercombo locker aufnehmen. Doch die wunderbare, ruhige ´Blue Sea´ setzt die Reise unvermindert träumerisch fort und ich werde jetzt schon wieder von Schuldgefühlen geplagt obgleich der anstehenden, zu erwartenden inflationär hohen Punktevergabe, falls das Ruder nicht komplett rumgerissen wird. Oh Wunder, es bleibt ruhig und die Qualität wird unvermindert ´Black And Blue´ fortgesetzt. Ein Herbstsoundtrack, der trotz tiefstdunklem, lyrischen Seelenstrip den Blick durchs Fenster auf die verregnete Welt beruhigend friedlich erscheinen lässt. Ich schreite ´Six Feet´ weiter südlich des Himmels durch dramatische, orchestrale Arrangements und die zärteste stimmliche Versuchung, seit es akustische Schokolade gibt.

Here my hands reaching lid of coffin
Hidden in the ground on six feet in
I end and I begin
In darkness I am blind
I will find peace and solace
Worms and white lace

Wahrlich ein floatender ´Ghost Of A Story´, wie angenehm streichelnd der ´Song Of Psyche´ sich auf meine eigene und auch meine filigran geklimperten, energischen ´Lilies´ auswirkt. Bei letztgenanntem darf sich das Piano mal richtig klassisch austoben. Da bleibt mir nur noch ein ´Salute´ an den bunten Jahrmarktreigen einer experimentellen KATE BUSH, die sich mit LARA FABIAN eine Riesenradfahrt mit starkem Prog-Gitarrensolo und Perkussionschlagzeug gönnt. Das Grande Finale sozusagen, bei dem alle Register des LOREENA MCKENNIT Universums gezogen werden, um sich danach leis, ganz leis beginnend, mit dem Titelstück zu verabschieden.

I don’t think I’ll ever miss my life
Though I haven’t lived for too long
But I have discovered grief and nature of human pain,
so I am relieved in grave

Ein vorwiegend ruhiges Album ohne einen Moment Langeweile (für den lauschenden Zuhörer) auf dem künstlerischen Niveau der frühen, großen KATE welches klingt, als ob TORI AMOS all ihre Wut und den Sarkasmus vergisst, bis nur Liebe und unendliche Traurigkeit bleibt. Ich kaufe noch eine Zuckerwatte für Kaia und entschwinde glücklich im friedvollen Herbstwald – für immer.

Hope is lost the world is burning
We might have lived but missed the warning
Hope is lost the tables turning
Who was alive is condemned to burning

(mind over matter – art over points)

https://www.facebook.com/iamthemorningpage

https://iamthemorningband.bandcamp.com/