Livehaftig

PROPHECY FEST 2019

~ 13.-14.09.2019, Balver Höhle, Balve, Sauerland ~


Die Tage werden kürzer und die Schatten länger, und so langsam, aber sicher neigt sich auch die äußerst umfangreiche diesjährige Festivalsaison ihrem Ende entgegen. Doch ein Highlight gilt es noch mitzunehmen: nach zwei Jahren kehrt das exquisite Prophecy Fest zurück in seine angestammte Balver Höhle, nachdem es nun im Wechsel ein Jahr in New York und das nächste im Sauerland stattfindet. Die steinzeitliche Höhle soll einst dem mythischen Schmied Wieland als Werkstatt gedient haben, und was stünde besser in dieser Tradition als ausdrucksvoller, handgeschmiedeter Edelstahl?

Wie gewohnt haben Prophecy Productions eine spannende Mischung aus siebzehn meist Hausbands zusammengestellt, die in der einzigartigen Umgebung der diffus beleuchteten Grotte sehnsüchtige, melancholische bis düsterschwarze Stimmung verbreiten werden, denn genau das ist, was dieses Line-up außer ihrer Labelzugehörigkeit verbindet: sie stehen für seelenvolle, dem Düsteren bis Jenseitigen zugewandte Musik, die zu geradezu transzendenten Erfahrungen verhelfen kann, so man sich darauf einlässt. Aber da das anspruchsvolle Publikum ja schließlich genau deswegen hier ist, stehen uns zwei Tage dunkelsten Genusses und bittersüßer, herzbewegender Erlebnisse bevor. So let the games begin!

 

 

Freitag, 13.09.2019

Es war eine gute Idee, mein Eintrittsbändchen schon am Vorabend abzuholen, denn die Kassenschlange reicht fast bis hinunter zum Parkplatz, als ich ankomme. Doch alle sind beim Warten entspannt und guter Stimmung, denn das ist auch etwas, was dieses Spezialistenfestival ausmacht: das Publikum weiss zu schätzen, was ihm hier geboten wird, sei es bezüglich der einmaligen Location oder eben der handverlesenen Bandauswahl. Und Prophecy Productions haben diesmal sogar für einen Livestream gesorgt, so dass auch die Daheimgebliebenen die Möglichkeit erhalten, an diesem Fest der dunklen Töne teilzuhaben. Sehr lobenswert!

 

Ob die Anheizerposition mit A FOREST OF STARS aus Leeds richtig besetzt ist, darüber liesse sich trefflich streiten. Die Veranstalter betonen, dass beim Prophecy Fest ein jeder ein Headliner sei, und die Reihenfolge rein als dramaturgisches Mittel diene, was sich in den durchgehend 45 bzw. für die letzten drei Bands 60 Minuten Spielzeit auch widerspiegelt, aber irgendeiner muss eben doch anfangen. Die Exzentriker von AFOS sind zwar sicher alles andere als eine Konsensband, aber vielleicht doch gar keine so schlechte Wahl, denn die Atmosphäre, die die sechs viktorianischen Gentlemen plus Königin mit ihrem vielschichtigen und emotionsgeladenen Post-Black Metal verbreiten, lädt gleichzeitig zum Träumen wie Erschauern ein, und genau diese so paradoxe Stimmung wird die Balver Höhle an den nächsten beiden Tagen ständig ausfüllen.

Mit Katherynes Stimme beginnt ganz sanft ´Pawn On The Universal Chessboard´ und entführt die trotz des frühen Freitagnachmittags schon sehr zahlreich erschienenen Zuhörer in ein anderes Universum. Dann legt die Band so richtig los, und über dem Blastgewitter tritt Sänger Dan wie immer live komplett aus sich heraus und ist in einer anderen Welt, er leidet, erschauert, schreit, ja würgt seine Gefühle heraus, und führt durch die drei cinematographischen Longtracks aus den letzten beiden Alben, und mit ´Summertide’s Approach´sogar zurück zu ´Opportunistic Thieves of Spring´. In AFOS-Songs passiert gleichzeitig so viel, dass einem zuweilen ganz schwindlig werden kann, aber dann kommt wieder eine der ganz behutsamen und poetischen Passagen, in denen Band und Zuhörer etwas verschnaufen können – so vielseitig wie das Leben eben. Ein Auftritt voll intensivster Emotionen, und einfach perfekt, um richtig im Festival anzukommen!

Setlist:
Pawn On The Universal Chessboard
Scripturally Transmitted Disease
Summertide’s Approach

 

Schwadorfs Black Metal-Projekt SUN OF THE SLEEPLESS konnte mich schon immer deutlich mehr für sich einnehmen als die Neofolker EMPYRIUM, denen ich jedoch morgen eine neue Chance geben werde. Doch SOTS nehmen nun erst einmal den Faden ihrer englischen Vorgänger auf, und spinnen ihn ein in ihre mystischen, feierlichen Geschichten. Wer jetzt erst ankommt, wird umgehend geerdet, der elegische, kraftvolle, meist sehr kühle Melo-Black Metal der Franken leert den Kopf und verbindet mit dem Boden.

Zum ersten Mal kann mit ´Motions´ der weite Klangraum der Höhle voll genutzt werden, und natürlich fühlen sich sowohl ´The Owl´ als auch schließlich der´Phoenix …´ pudelwohl in der Höhle, erheben sich und ziehen majestätisch ihre Kreise. Ausser der fast kompletten LP ´To The Elements´ kommt mit ´Romanze Zur Nacht´ auch ein deutsch gesungenes Stück von der Split mit NACHTMAHR zur Aufführung. Runde Sache, der erste Tag beginnt extrem stark! Nur der Mensch an der Projektion scheint noch zu schlafen, dafür hat das Festival mit „Update!!!“ nun einen running gag…

Setlist:
Motions
The Owl
Romanze Zur Nacht
Where In My Childhood Lived A Witch
Realm Of The Bark
Phoenix Rise

 

Nun steigt die Nervosität auch bei mir, war die Uraufführung der ´Toteninsel´-EP (unser Review dazu siehe hier), einer Zusammenarbeit von FARSOT und COLDWORLD doch einer der Hauptgründe, die mich wieder einmal hierher lockten. Aber zuerst spielen FARSOT nun zur Feier ihres zwanzigsten Bandjubiläums ihren eigenen Gig, der die große Bandbreite der Thüringer Avantgardisten widerspiegelt, und vor allem auch ihre Entwicklung vom so progressiven wie rohen Black Metal der Anfangszeit hin zum hochatmosphärischen Post-Black Metal von ´Fail·Lure´, ihrem aktuellen Album aus 2017, beleuchtet – indem sie in der Zeit zurückgehen bis zu ihrem Debüt ´IIII´. ´The Antagonist´ fragt „Who am I?“, und zur Innenschau lädt sie auch ein, die gleichzeitig so detailverliebte, anspruchsvolle wie auch enorm eingängige und Dank der exzellenten Rhythmusfraktion (allein dieser Bass!) heftig groovende Musik der Gothaer.

Mich begeistert vor allem, Sänger X.XIX zuzuschauen, der nicht nur einen so viele Gefühle widerspiegelnden, ins extrem Tiefe verschobenen, großen Stimmumfang hat, sondern auch eine enorme Bühnenpräsenz; vor unseren Augen kämpft und beschwört er eindringlich innere wie äußere Dämonen, während die Strings prächtige, weiche Sicherheitsnetze weben, in die wir uns absolut furchtlos fallen lassen können – und gehalten werden, selbst während eines Parforce-Rittes wie ´With Obsidian Hands´. FARSOT sind in jedem Fall die Band, in der ich mich heute am meisten wiederfinde, die sich ständig kaleidoskopisch wandelnde, melancholisch-suchende bis energisch galoppierende Atmosphäre, die hier aufgebaut wird, entspricht perfekt meiner Stimmung, und daher ist genau dies für mich eine gelungene Live-Darbietung: ich vergesse alles um mich herum und gebe mich komplett ab an die Magie der Musik, und der Geschichten, die durch sie erzählt werden. Ein ganz großer Auftritt!

Doch dann erklingen die ersten Töne von ´Erde I´, und damit geht sie los, unsere weltexklusive Reise zu Arnold Böcklins ´Toteninsel´! FARSOT zeigen sich mit dem zehn Jahre alten Stück noch mitten in einer Phase jugendlichen, (todes-)sehnsüchtigen Schwelgens, einem geflüsterten, melancholischen Flirt mit Gevatter Tod, plötzlich aufgebrochen durch das Bewusstsein nicht endenden Leidens. Die starken Dynamikwechsel unterstreichen die Zerrissenheit im Angesicht letzter Fragen, die schliesslich doch aufgelöst werden kann. Was für ein Song! Der nach kurzer Atempause aufbrandende Applaus zeigt, wie sehr wir alle im Bann dieser Ausnahmeband standen. Einfach grandios!

Kurz schließt sich nun der Vorhang, auf der Bühne wird es wuselig, und einige Uneingeweihte verlassen schon den Zuschauerraum, nicht wissend, dass es jetzt nochmal so richtig interessant wird. Schließlich erscheinen FARSOT, nun in Kapuzenumhängen, als Begleitband COLDWORLDs, der mit XX.VIII den Bass gegen das Keyboard getauscht hat und nun am Mikrophon steht – für seinen allerersten Liveauftritt überhaupt!

Man spürt die Aufregung aller Akteure bis hier unten vor der Bühne, die neuen Rollen sind jedoch schnell gefunden, und beide COLDWORLD-Songs der EP werden interpretiert. Sein Sujet ist das Wasser, das die Seele widerspiegelt, und entsprechend sind die beiden Stücke noch eine ganze Stufe dramatischer aufgebaut, was meine Gänsehaut nur noch verstärkt. Vor allem ´Wasser II – Horizon´ geht ganz in die Tiefe, und lässt bittere innere Kämpfe in ihrer ganzen Tragik und Qual mit durchleben. Und schließlich doch erleichtert überstehen. Was für eine Aufführung! Schade finde ich persönlich nur, dass es offenbar keine Möglichkeit gab, das besungene Gemälde im Hintergrund zu projizieren, doch wer es kennt, konnte sich selbst vor dem inneren Auge wunderbar auf dem Nachen Richtung Insel wiederfinden.

Und da Georg Börner nun schon einmal auf der Bühne steht, zieht schließlich der garstige Winter mit ´Melancholie²´ und dem Epos ´Red Snow´ daraus in der Höhle ein. Wieder Gänsehautzeit allerorten, und nach den letzten Tönen ist allen Akteuren auf der Bühne die riesige Erleichterung anzumerken, diese Premiere so gut hinbekommen zu haben, und auch hier unten strahlen die Augen nur so. Ein Konzert für die Ewigkeit!

Setlist farsot:
The Antagonist (Fail lure) 2017

With Obsidian Hands (Fail lure)
Thematik:Trauer (IIII) 2007
Erde I (Toteninsel)
Setlist ColdWorld:
Wasser I (Seaghouls)
Wasser II (Horizon)
Red Snow

 

Als sich SÓLSTAFIR vor zwei Jahren recht unschön von ihrem Schlagzeuger und Gründungsmitglied Guðmundur „Gummi“ Óli Pálmason trennten, und mit ´Berdreyminn´, dem darauf folgenden Album, nicht mehr an ihre alte Stärke anschließen konnten, war die neue Band von „Gummi“, KATLA, für viele eine willkommene Alternative. Mit ihrem Erstling ´Móðurástin´ legten die Isländer auch gleich eine richtig starke Platte vor, und heute sehe ich sie zum ersten Mal live. Daher sind die Erwartungen nicht nur bei mir entsprechend groß. Können sie erfüllt werden?

Die Band um den sehr starken, mit einer vielfarbig ausdrucksvollen Stimme gesegneten Hünen Einar Thorberg Guðmundsson spielt tight, aber irgendwie wenig enthusiastisch auf, und kann uns nicht wirklich so mitreißen, wie es der teilweise fast poppige Post Rock von Platte vermochte, da fehlen doch die ganz großen Gefühle – oder sind wir angesichts der bisherigen emotionalen Achterbahnfahrten schon jetzt zu verwöhnt, und die Nordmänner zu distanziert? Möglicherweise wird einfach deutlich, dass Gastmusiker das eigentliche Duo live unterstützen, und man als Band noch so richtig zusammengefunden hat. Sei’s drum, sie liefern einen soliden Set ab, bei dem man gut mittwippen kann, und ihre Dark Rock-Gassenhauer wie ´Nátthagi´ gehen eindeutig gut ins Ohr und die Beine, nur mangelt es mir hier hier an Nachhaltigkeit. Ich gebe daher irgendwann meinem leeren Magen nach, der dringend besänftigt werden muss, und mache mal eine sehr notwendige Pause an einem wirklich proppevollen Konzerttag!

 

Und bei den dann folgenden DISILLUSION kann ich weiter entspannen, denn Marcus übernimmt:

Ich muss eingestehen, dass ich DISILLUSION bislang überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. In den 90ern und bis in die ersten Jahren nach der Jahrtausendwende hinein, ließ mich Metal und die meisten seiner Teilbereiche größtenteils ohnehin völlig kalt. Daher bin ich erst bei der Vorbereitung auf das diesjährige Prophecy Fest auf die Leipziger Prog-Metal-Wunderknaben gestoßen, die mit ´Back To Times Of Splendor´ und ´Gloria´ bereits zwei hochgelobte Alben auf ihrem Konto hatten.

Ganze 13 Jahre hat es nun gedauert, bis sie mit ´The Liberation´ erneut an den Start gingen – und es ist ein Progressive Metal-Meisterwerk in Cinemascope! DISILLUSION erschaffen darauf mannigfache Spannungsbögen und mitreißende musikalische Wendungen, mit denen sich weit mehr als nur sechs Songs (Intro exklusive) hätten komponieren lassen. Bei einem derartigen Ideenreichtum kommt mir stets ´Satan`s Fall´ von MERCYFUL FATE in den Sinn, einer meiner absoluten Lieblingssongs aus den 80ern, bei dem die Herren Sherman & Denner ein regelrechtes Feuerwerk an Kreativität entfacht hatten. ´The Liberation´ ist jedenfalls in gleicher Weise prall gefüllt mit einer faszinierenden kompositorischen Energie und ausgetüfteltem Songwriting, und glänzt mit einer perfekten Mischung aus brachialer Härte, warmen Melodien, progressiven Elementen sowie mit visuellen Soundscapes und emotionaler Fragilität.

Angesichts des schwerpunktmäßig doch eher auf Black Metal und verwandte Stilarten ausgerichteten Festivalprogramms hatte ich anfangs noch große Bedenken, dass Andy Schmidt & Co. beim Publikum würden landen können. Aber weit gefehlt! Ihr hochprofessioneller und spannungsgeladener Auftritt entfachte regelrechte Begeisterungsstürme. Selten habe ich derart komplexe und ausgefeilte Musik absolut fehlerfrei auf der Bühne gesehen. Insgesamt sechs Songs boten DISILLUSION an diesem Abend dar, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf ihrem aktuellen Album lag.

So bereitete folgerichtig das atmosphärisch-aufwühlende ´In Walking Hours´ auch den perfekten Einstieg, das sich zum Ende hin in ein machtvolles Riffgebirge entlädt und einen sofort in seinen Bann zieht. Beim Übergang in ´Wintertide´ flimmern die Gitarren mal auf wie bei GOJIRA, mal peitschen sie gnadenlos voran. Andy Schmidt presst mit seiner Stimme anfangs noch schroff und düster hervor, eskaliert jedoch im späteren Verlauf des rund zwölfminütigen Songs völlig. Mächtig. Episch. Knüppelhart. Abwechslungsreich und durchgängig mit starken Kontrasten gefüllt – das sind DISILLUSION anno 2019!

Der Gig verlor zu keiner Sekunde auch nur annährend von seinem hohen Niveau und war eine einzige Zurschaustellung von musikalischem Perfektionismus. Den Abschluss bildete der Album-Closer von ´The Liberation´, ´The Mountain´, ein weiterer Song in Übergröße, der ebenfalls durch seine ungeheure Dynamik, die zahlreichen Breaks und den dramaturgischen Spannungsaufbau zu begeistern verstand.

Wie gerne denke ich an diese beiden aufwühlenden, inspirierenden und zugleich auch anstrengenden Tage im Sauerländischen Hönnetal zurück. Der Auftritt von DISILLUSION bleibt mir jedoch für immer unvergessen. Eines der größten Live-Ereignisse der vergangenen Jahre.

Setlist:
In Waking Hours
Wintertide
Back to Times of Splendor
A Shimmer in the Darkest Sea
Alea
The Mountain

Marcus Köhler

 

Während der jeweils nur dreissigminütigen Umbaupausen reicht, wenn man wie ich tatsächlich alle Bands sehen möchte (und eben auch photographieren will), die Zeit gerade mal aus, um die notwendigsten menschlichen Bedürfnisse zu decken, aber irgendwann macht das Höhlenmenschendasein einen Bärenhunger. Besonders gut kommt da bei uns der neue vegetarisch/vegane türkische Essensstand an, an dem sich köstlichst auftanken lässt!

Das Prophecy Fest ist generell ein Festival der ganz kurzen Wege, die Signing Sessions finden im Eingangsfoyer der Höhle statt, das Merch ist im hinteren Bereich zu finden, genau wie die Kunstausstellung von David Thiérrée, der Poster zu allen auftretenden Künstlern entwarf, die dort anzuschauen sind.

Und draußen im Hof bewirtet die örtliche Schützengesellschaft die hungrigen und durstigen Metaller. Alles ist perfekt durchorganisiert und klappt wie am Schnürchen, auch dank der freiwilligen Helfer, die beim Prophecy Fest stets sehr willkommen sind. Ein großes Lob daher schon hier an alle Beteiligten für den absolut reibungslosen Ablauf!

 

Gut gestärkt geht es damit zu meinem heutigen, wenn nicht dem absoluten Headliner der Herzen: die verträumten Franzosen von ALCEST verlassen die Labelfamilie mit ihrer demnächst erscheinenden Platte ´Spiritual Instinct´, jedoch nicht ohne sich zuvor gebührend zu verabschieden. Wer vor drei Jahren hier die Komplettaufführung von ´Écailles De Lune´ (plus einiger Zugaben vom Schwesteralbum ´Les Voyages De L’âme´) erleben durfte, fiebert dem heutigen Auftritt der Klangmagier um Neige entsprechend erwartungsvoll entgegen. Und wird nicht enttäuscht! Als die bekannten ersten Töne von ´Écailles…´ erklingen, geht ein begeisterter Aufschrei durch die Höhle, und es ist klar, das hier wird ein Triumphzug der ganz sanften Art!

Und hier stimmt heute einmal wieder einfach alles: die Songauswahl legt den Schwerpunkt auf eben diese beiden Traumalben, die Klangperfektionisten sind bester Stimmung und weben ein ganz dichtes Netz von Emotionen, der Sound ist perfekt, Neige mit seiner Pfauenfederkette tanzt geradezu mit seiner Gitarre über die Bühne, und wie wichtig die Verbindung zwischen ihm und Winterhalter, dem Zauberer an den Drums ist, zeigt sich daran, wie oft er sich zu ihm nach hinten wendet. Schicht um Schicht legen sie die mal so sanften wie immer wieder wild ausbrechenden Klänge aufeinander, nehmen sich dabei alle Zeit der Welt, lassen sie sich verbinden und wieder trennen, scheinbar unendlich. Zero, dieser Baum von einem Mann, verzaubert mit seiner Engelsstimme und verbindet seinen Rhythmus mit dem Indrias am Bass, und falls nötig, faucht Neige so expressiv dazwischen, wie man es von diesem sanften Menschen nie erwarten würde – so er nicht seiner Gitarre überweltlich schöne Läufe entlockt oder mit Zero duettiert.

Man hat bei dem mittlerweile absolut perfekt harmonierenden Quartett trotz aller technischer Finessen stets den Eindruck, sie würden gerade im Proberaum miteinander improvisieren, so locker und gelöst fließen ihnen die Songs aus den Händen, und so nur auf sich selbst und ihr Tun konzentriert wirken sie, dass man sich zuweilen wie ein Voyeur fühlen könnte, wäre man nicht völlig mit eingehüllt in diesen Mantel aus jenseitigen Harmonien. ALCEST zeigen wieder einmal, dass sie DIE herausragende Band sind, wenn es um die Verquickung von sensiblem, melodischem Metal mit plötzlichen Ausbrüchen ins Extreme, majestätischem, distanzierten Post Rock und schwelgerischem Shoegaze geht.

Im Publikum schwingen sich alle begeistert ein auf diese vertonten Träume, viele schließen immer wieder die Augen, um noch inniger genießen zu können. ´Oiseaux De Proie´ und der Titelsong von ´Kodama´ zeigen die Südfranzosen dann asiatisch beeinflusst und reifer, aber immer noch so verspielt wie zuvor, und die gespannte Erwartung auf die neue Platte ist fast mit Händen zu greifen, zumal sie heute nicht den bereits veröffentlichten Song ´Protection´ spielen, sondern mit ´Délivrance´ enden. Wie vor drei Jahren ist damit für mich eigentlich alles gesagt, noch tiefer kann ich kaum eintauchen in geliebte Musik, und es wäre an der Zeit, aufzubrechen und die heutigen Erlebnisse bei einem gepflegten Kaltgetränk Revue passieren zu lassen.

Setlist:
Écailles De Lune – Part 1
Oiseaux De Proie
Autre Temps
Percées De Lumière
Kodama
Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles
Délivrance

 

Doch es ist noch zu früh, den Heimweg anzutreten. Ein norwegisches Black Metal-Mysterium, das vermutlich nur wenige der Anwesenden schon einmal live erleben konnten, steht zum Ausklang dieses turbulenten Tages nun noch auf dem Programm. STRID sind Kult, wie das so oft geschieht, wenn eine Band kaum Releases herausbringt, aber dafür nur starke, komplett im Untergrund bleibt, und dann noch Haftstrafen und Suizide hinzukommen. Willkommen im Norwegen der 90er Jahre! Sie gelten als Mitbegründer des Depressive Suicidal Black Metal, und wer könnte uns daher ein schöneres Schlaflied singen als die fast komplett neu zusammengewürfelten Nordmänner?

Die Reihen haben sich bereits deutlich gelichtet, doch wer noch hier ist, weiß warum. Zum Einstieg gibt es ein mantraartiges, hyperlangsames Instrumental, das seine einlullende Wirkung jedoch nicht verfehlt – diese Band kann Stimmung erzeugen und halten! Das einzig verbliebene Bandmitglied aus der Zeit vor der Auflösung, Ravn, krächzt mit einer seinem Namen absolut gerecht werdenden Stimme die kargen Lyrics heraus, doch das eigentlich Bedeutsame ist die Atmosphäre totaler und dunkelster Trostlosigkeit, die hier heraufbeschworen wird – doch interessanterweise auf erhabene und sogar erhebende Weise. An der zweiten von drei Gitarren spielt sich ein Punk in Trance und sitzt dabei oft auf dem Boden, generell ist dies ein ziemlich aus dem Rahmen fallender und gleichzeitig stimmiger, einen sofort mitnehmender Auftritt. Die nordische Kargheit zelebrierenden Schwarzmetaller sind eindeutig die beste Wahl, um einen reizüberfluteten Tag wie heute standesgemäß und vor allem sinnesberuhigend abzuschließen. Träumt süß, wir sehen uns morgen Mittag wieder!

Setlist:
Den siste sang
Det hviskes blant sorte vinder
Nattervandring
End of Life
Endetid

 

 

Samstag, 14.09.2019

Der zweite Prophecy-Tag läuft zumindest für mich vor allem unter „sich überraschen lassen“, und zwar in jeglicher Hinsicht. Meine absoluten Favoriten standen gestern alle bereits auf der Bühne, doch heute wird es nochmal spannend, denn da gibt es doch einige Wundertüten zu entdecken!

 

Es beginnt auch gleich abgedreht mit LASTER, denn die habe ich beim Roadburn Festival nur im Rahmen ihrer ´Maalstroom´-Mitwirkung und (zu 2/3 ihrer Besetzung) bei NUSQUAMA erlebt, und freue mich daher umso mehr auf die maskierten, langbeinigen obskuren Tänzer aus Utrecht.

Und sie halten, was die ihnen vorauseilende Mär verspricht: ein schwarzbunt gemischter Genrestrauß mit vielerlei Blüten entfaltet sich vor unseren Augen und Ohren, hier sind drei Freigeister am Werke, denen selbst das gerade in den Niederlanden sehr locker und inspirationsoffen gewebte Black Metal-Korsett zu eng ist. Vom dissonanten Jazz über loungigen Trip-Hop, fordernden Prog Rock zu verträumtem Pop und noch vielem mehr ist ihnen keine Blume zeitgemäßer Musik zu bunt, um in den Strauß vertrackter, aber immer groovender (hach, dieser Bass!) Stücke eingebunden zu werden.

Der Wechsel zwischen schmelzigem Klargesang in den ruhigeren Passagen und blastbegleitetem Kreischen hat Witz, das vielschichtige Wunderwerk braucht jedoch gerade live auch die volle Konzentration des frühen Tages. Dass hier drei ausgezeichnete Musiker auf der Bühne stehen, ist bei dem anspruchsvollen Songmaterial selbstredend, und besonders schön ist dabei zu sehen, wieviel Spaß sie selbst an ihrem Spiel und Tanz haben, denn das überträgt sich natürlich auch aufs Publikum, das begeistert und irgendwie auch fröhlich dabei ist. Wenn das heute so spannend weitergeht, bin ich mehr als zufrieden!

Setlist:
Vacuüm ≠ Behoud
Ons Vrije Fatum
Betonnen Ballonnen
Zomersneeuw Bitterzoet
De Roes Na

 

Daher wundert mich auch nichts mehr, als TCHORNOBOGs Mastermind Markov auf die Bühne kommt und gleich mal Blut kotzt, von den Augenbinden, die er und Bassistin Gina den ganzen Gig über tragen, mal ganz abgesehen. Krasser Scheiß! Aber hört, was Marcus darüber zu berichten hat:

 

Wie ein Fürst der Finsternis betritt er da die Bühne. Tiefschwarze lange Mähne. Verbundene Augen. In der Hand eine Schale aus Silber. Plötzlich geht er, wie von einem Dämon getriggert, auf die Knie – und erbricht eine ganze Ladung Blut in das glitzernde Gefäß. Ein Raunen geht durch die Menge. Gleich der Einstieg in die folgende Show hat mächtig gesessen!

Der Begriff „Tchornobog“ stammt aus dem Ukrainischen und bedeutet so viel wie „schwarzer Gott“. Markov Soroka, der Mastermind hinter TCHORNOBOG, stammt eben gerade aus dem Land an der Schwarzmeerküste, und gibt sich hier wie eine düstere Gestalt aus der slawischen Mythologie.

TCHORNOBOG ist neben AUREOLE (Ambient) und DROWN (purer Doom) ein weiteres Projekt des inzwischen in Portland/Oregon beheimateten Mittzwanzigers, und das 2017 erschienene, selbstbetitelte Debütalbum ist zweifellos eines der wohl immer noch bestgehütetsten Geheimnisse der Musikwelt. Treibende Rhythmen. Unheilvolle Melodien. Zorniges Gebrüll. Nur vier Songs bei 64 Minuten hemmungsloser Raserei, durchsetzt von markerschütternden doomigen Abschnitten. Unterstützt wurde Soroka dabei im Übrigen von Magnus Skulason (SVARTIDAUÐI) und Greg Chandler (ESOTERIC), beim Live-Auftritt in Balve waren Gina Eygenhuysen (Bass/ u.a. WEEPING SORES) sowie Jordi Farre (Drums/ u.a. CRUCIAMENTUM) mit von der Partie.

 

Ganze acht Jahre hatte es gedauert, bis das Album in Fein- und Schreibarbeit fertig gestellt war – und auch in seiner Live-Darbietung ist es ein emotionales, brutales und zugleich episches Meisterwerk! Der Set-Opener ´The Vomiting Tchornobog´ (s. Blutspei am Anfang der Show) ist auf brutalste Weise ausgemalter Doom, der sich immer wieder in verschnörkelten Riff-Orkanen entlädt und teilweise Erinnerungen an DEATHSPELL OMEGA, SVARTIDAUÐI oder THE RUINS OF BEVERAST weckt. ´Hallucinatory Black Breath Of Possession (Mountain-Eye Amalgamation)´ hingegen ist ein einziger Mahlstrom aus Manie und wütenden Ausbrüchen. Hier scheint nahezu alles aus den Fugen zu geraten, mit den dauerhaften Attacken aus brachialem Death Metal, aggressivem Thrash und vereinzelten Sludge-Passagen – und das fast über 20 Minuten lang. Markov hält auch hier die Spannung fortwährend aufrecht, zaubert brillante Übergänge und setzt dabei immer wieder aufs Neue Akzente.

TCHORNOBOGs Gig im malerischen Hönnetal war wie ein allumfassender Frontalschlag auf die Sinne. Ein klangliches Höllenspektakel und eine der enervierensten Live Performances der letzten Zeit.

Setlist:
The Vomiting Tchornobog I
The Vomiting Choir
Hallucinatory Black Breath of Possession (Mountain-Eye Amalgamation)
The Vomiting Tchornobog IIII

Marcus Köhler

 

Heute ist tatsächlich der Tag, der auf das Wesentliche reduzierten Bandgrößen, denn mit den Briten FEN steht nun bereits das dritte Trio auf der Balver Bühne. Ihr atmosphärischer und komplexer Post-Black Metal lässt einen kalten Hauch durch die Höhle wehen, sie bringen uns den ´Winter´, doch gehen zuerst einmal zehn Jahre zurück. Wie um sich dem Publikum als Neuzugang beim Label vorzustellen, bieten uns die Briten einen Rückblick auf ihre fünf bisherigen Langdreher plus einen neuen Song namens ´Nebula´, und zeigen damit auf, wie sie sich im Spannungsfeld zwischen Black Metal, Post-Rock und Black Folk bewegen, nämlich mit einer kühlen, doch einnehmenden Eleganz, die immer wieder einmal kurz aus dem eher gemächlichen Midtempo ausbricht in wütende Raserei.

Doch stimmungsvolle Schönheit überwiegt, elegische Gitarrensoli und ein pumpernder, progressiver Bass bauen einen kathedralenartigen, verschachtelten Klangraum auf, man fühlt sich unweigerlich in die Cascadian Mountains versetzt. Trotz gelegentlicher Soundprobleme gilt zu konstatieren: Bewerbungsgespräch gerockt!

Setlist:
Exile’s Journey
Winter II (Penance)
Nebula
Consequence
Menhir/Supplicant

 

Yeah, und damit zu etwas so dermaßen und komplett anderem, dass man fast schon eine kurze Gehirnwäsche braucht, um sich stilistisch umstellen zu können – nun steht nämlich Sludge auf dem Programm, und was für welcher! Wenn Trios für viele die perfekte Bandgröße im Metal sind, so haben gerade die letzten Jahre gezeigt, dass es auch in noch kleinerer Besetzung geht. Fast ein Boom wurde im extremen Metal mit diversen hochklassigen Powerduos losgetreten, doch die Kombi zweier Ehepartner, von denen sie Bass spielt und singt und er trommelt, das hatte ich bisher noch nicht erlebt – und die beiden blasen mich umgehend weg. Kann frau ihren Bass überhaupt noch tiefer stimmen als YEAR OF THE COBRAs Amy Tung Barrysmith?

Sie steigen ein mit ´Into The Fray´, der ersten Single ihres neuen Albums, das im November erscheinen wird, und der große sinnliche Kontrast zwischen den tiefen Tönen und ihrer lockend-sirenenhaften, genauso sanften wie bestimmten Stimme nimmt umgehend gefangen. Während Amy ihrem 4-Saiten-Rickenbacker Läufe entlockt, die sonst von Gitarren übernommen werden, imitiert Jon am Schlagzeug gleichzeitig die dazu passenden Basslinien und legt ein so exaktes wie abgedrehtes Rhythmusfundament darunter, welches die Maschinerie, einmal angestoßen, wie ein Perpetuum Mobile am Rollen hält.

 

Und wie er in die Felle drischt, das ist mindest genauso eine Augenweide wie Amys (Mienen- und Gestik-)Spiel zuzuschauen. Musikalisch gibt es psychedelische, mäandernde Doom-Grooves, dann wieder klassische heavy Riffs zu entdecken, schnell und heftig wird es bei dreckigen Sludge-Rockern und in den älteren Songs steckt noch viel Post-Punk-Sprödigkeit, und auch der gute alte, samtweiche Blues kommt zum Zuge. Was die beiden jedoch absolut einzigartig macht, ist die immense Dreidimensionalität ihres Sounds, der so fett und schwer und doch luftig und klar die Höhle komplett einnimmt, wie bei keiner zweiten Band dieses Festivals. Und das mit nur drei Instrumenten, die Stimme eingeschlossen! Oder vielleicht auch gerade deswegen, hier ist weniger noch viel, viel mehr! Ich bin hin und weg, und die Menschen um mich herum genauso. Mein Auftritt des Tages und DIE Neuentdeckung des Festivals!

Setlist:
Into The Fray
The Divine
The Howl
Cold
The Black Sun
White Wizard
Ash and Dust
The Siege

 

 

Ein Trio mit ergänzenden Livemusikern sind auch VEMOD. Selten live zu sehen, sind sie sozusagen Stammpersonal beim Prophecy Fest, spielen sie doch bereits zum dritten Mal in der Balver Höhle, und haben sich mit ihren emotional mitreißenden und tranceerzeugenden Gigs einen Namen und viele Fans gemacht – zumal sie zuvor stets als Letzte spielten. Doch ihre Armada an Räucherstäbchen am Bühnenrand macht es mir leider unmöglich, ihnen länger als für ein paar Photos zuzuschauen. Ich brauche dringend frische Luft, ein Aspirin und auch etwas zur leiblichen Stärkung, und beschließe, dass nun Zeit für eine Pause ist. Und da mit Matthias ein Augen- und Ohrenzeuge aller drei Auftritte der Norweger vor Ort war, kann er Euch hinterher viel besser davon berichten:

Den Auftritt von Vemod als normales Konzert zu werten wäre untertrieben. Das war zum dritten Mal eine derart intensive Atmosphäre, wie sie wohl nur diese Jungs auf diese Weise erschaffen können. Die vorherigen Konzerte hatten aber eher etwas von der faszinierenden Schönheit eines schwarzen Lochs, kamen aggressiver, vielleicht auch einfacher gestrickt rüber. Dieses Mal gab es vielfältigere Reisen durch den VEMOD’schen Kosmos. Der Auftritt erschien mir auch seriöser, was aber nicht distanzierter bedeutet. Es war jedenfalls anders, ein unbeschreibbares Anders aus meiner Sicht.

 


Was mir wohl ein wenig an der Genialität der vorherigen Konzerte in der Höhle gefehlt hat, war dieser Abschluss, dieser Höhepunkt des Festivals. Man war überwältigt, berauscht und glückselig, dass man dabei sein durfte und in die Nacht geleitet wurde. Schade, dass sie dieses Mal im zeitlichen Niemandsland gespielt haben. Aber das, was geboten wurde, war wieder einmal überragend und hat unterstrichen, dass hier begnadete Musiker mit viel Sinn für die richtige Atmosphäre am Werk sind.

(Matthias Gröner)

 

So ein Mist, da war meine Erholungspause doch zu lang, und ich komme zu spät zurück zu DARKHER, was mich so erschüttert, dass ich trotz verpasstem ersten Teil zumindest den Rest ihres Gigs in der perfekt traurigen Stimmung miterleben kann. Nein, im Ernst, der Doom in seiner Wortbedeutung hat mich sofort wieder gepackt, sobald ich ihre entrückte Stimme über dem soliden Drumfundament höre, und ich sehe von der Bühnenseite nur in entrückte und gebannte Gesichter, die allesamt Jayn an den Lippen hängen – oder eben geschlossen sind, und viele wiegen sich in ihren sanften Klängen.

Verzaubernd, gespenstisch, voll bis an den Grund mit fast verzweifelter Sehnsucht, das umschreibt wohl am besten die Atmosphäre, die DARKHER mit ihren ätherischen Vocals, ihrer sehr voll und raumgreifend klingenden Gitarre, die sie teilweise mit einem Cellobogen spielt, und dem sie begleitenden Schlagzeuger erzeugt, doch sie kann auch ausbrechen in schroffe, distanzierte Riffs; zu nahe an sich heran lässt sie niemanden, erlaubt sie uns doch schon durch ihre Lieder genügend Einblicke in ihr Innerstes. Bereits 2015 war sie mit ihrem Mix aus gotisch eingefärbtem Post Rock und Doom hier zu Gast, und wie viele sich auf neue Klänge der Britin gefreut haben, zeigen die eng gefüllten Reihen.

Heute kommen bisher ausschließlich Songs ihres Albums ´Realm´ zur Aufführung, doch unsere Hoffnungen auf Neues sollen nicht enttäuscht werden: mit ´Immortals´ und damit einem Ausblick auf ihre neue Platte beschließt Jayn einen tief unter die Haut gehenden Auftritt, und es fällt mehr als schwer, sich loszureißen, um wieder an die Oberfläche und ins Licht zu kommen. Nichts wird mich heute mehr berühren können.

Setlist:
Hollow Veil
Foregone
Buried Pt. I & II
The Dawn Brings a Saviour
Wars
Moths
Immortals

 

Eine neue Chance für EMPYRIUM, habe ich gestern gesagt, und die bekommen sie auch – die Höhle ist knallvoll und erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft. Die Thüringer waren die allererste Band, die bei Prophecy Productions eine Platte herausbrachte, und alle Projekte aus Schwadorfs Dunstkreis haben eine ganz enge Verbindung zum Label, aber offensichtlich auch zum hiesigen Publikum. Ihr symphonischer, teils bombastischer Neofolk bis Dark Metal kommt bestens an, vielleicht auch gerade weil sie ein Set ausgesucht haben, das von ihren Anfängen bis zur aktuellen Platte reicht, mit deutlichem Schwerpunkt auf ihrem Erfolgsalbum ´Songs Of Moors & Misty Fields´ aus 1997. Schwere, schleppende, mit viel klassischen und traditionellen Elementen und entsprechenden Instrumenten, heute vertreten durch eine klagende Geige, angereicherte Lieder rufen Bilder von Spaziergängen in einsamen Herbstlandschaften hervor, der Wechselgesang zwischen Schwadorf und Thomas Helm an den Tasten bringt Würze und Abwechslung hinein.

    

Der Sound ist perfekt ausgewogen, vielschichtig, klar und doch nicht zu hart für diese Melange aus Naturmystik und Metal, Melancholie und romantischer Schwärmerei: „Melancholy, still my desire, oh let my heart be thee inspire…“, und die Zuschauer dürsten geradezu nach diesem Gefühlsüberschwang. Passend zum heutigen Vollmond schließen EMPYRIUM mit `Many Moons Ago…´ einen abgefeierten Auftritt großer Gefühle, und für so manchen stand damit auch der heutige Headliner bereits auf der Bühne.

Setlist:
Mourners
The Blue Mists Of Night
Ode To Melancholy
Where At Night The Wood Grouse Plays
Heimwärts
With The Current Into Grey
The Ensemble Of Silence
Many Moons Ago…

 

 

Wie groß die Spanne dessen ist, was man unter DSBM verstehen kann, zeigt kaum etwas deutlicher als der Vergleich zwischen STRID gestern und der Band um Onielar und Bartsch heute. Dort das schwelgerische sich in der Depression und Todessehnsucht verlieren, hier bei BETHLEHEM die Überzeichnung aller Gefühle und die unbedingte Härte im Umgang mit ihnen. Es gibt einen deutlichen Wechsel bei den Fans vor der Bühne, denn auch EMPYRIUM und BETHLEHEM trennen Welten, doch mehr als genug wollen sich noch einmal so richtig die Kante geben mit einer Institution des deutschen Black, sorry Dark Metal, zumal viele die aktuelle Sängerin Onielar, von DARKENED NOCTURNAL SLAUGHTERCULT kommend, noch nicht zusammen mit den Westfalen erlebt haben.

Habe ich jedoch schon mal, und sage mir daher ´Gestern Starb Ich Schon Heute´, mein Maß an „erneutem Versuch mit einer Band, die mich nicht mitnimmt“ ist für heute ausgereizt, und nutze die Zeit lieber für einen letzten Plausch mit Freunden draußen am Getränkestand. Drinnen werden BETHLEHEM jedoch euphorisch abgefeiert, bedienen sie doch eine Richtung, die bislang eher zu kurz kam, und die Fans kommen schließlich mit leuchtenden Augen und verwuschelten Haaren von Propellerheadbangen zu uns nach draußen in die kühle Herbstnacht.

 

Damit ist für die Meisten das Signal zum Aufbruch gegeben, doch die Unerschütterlichen und vor allem auch Aufgeschlosseneren unter uns haben heute noch einen auf dem Zettel: MORTIIS, der früh verlorene EMPEROR-Sohn, gibt den perfekten, aber geilen Rausschmeißer für ein rundum gelungenes Festival. Auch wenn sich einige darüber mokieren, dass er gerade beim für heute angekündigten Era I-Material nicht mehr als Knöpfchendrücken zu tun habe hinter seinem Pult, fasziniert sein langsam wabernder Dark Dungeon Synth doch viele deutlich mehr als die grauslige Maskerade, hinter der er sich versteckt. Nun heißt es abtauchen in dunkle Ambientklänge und spiralige Soundwolken, die sich immer mehr aufbauen und einen in ihre Tiefe saugen, und ein letztes Mal die einzigartige, schummerige Höhle für eine persönliche Trance nutzen, bevor es zurück geht in die harte Realität.

 

Fazit

Sehr schön war’s wieder, dieses so publikumsnahe und bodenständige Spezialistenfestival im bergig-grünen Sauerland, und die Rückbesinnung auf die härteren und düsteren Klänge hat der Veranstaltung ebenso gut getan wie der Zweijahresrhythmus, der nun weiter so beibehalten werden soll. Auch der zum ersten Mal als Ergebnis einer Zuschauerbefragung verlegte, frühherbstliche Termin passt ausgesprochen gut zu einem Festival, das mehr zu Innenschau und Besinnung einlädt als zu exzessivem Feiern. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Saisonabschluss bei vielen Besuchern fest im Kalender eingeplant bleibt, und Prophecy Productions weiterhin ein so glückliches Händchen bei der Bandauswahl haben werden. Und bis dahin können die Besucher im liebevoll gestalteten Programmbuch schmökern und den beiden beigelegten CDs schwelgen…We’ll meet again in 2021!

 

 

Text, wenn nicht anders angegeben: U.Violet. Mein Dank geht an Matthias für die Unterstützung bei VEMOD!
Photos: während Ute photographisch auf die Details achtete, behielt Marcus  den Überblick.