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TOURNIQUET – Gazing At Medusa

~ 2018/2019 (Pathogenic Records) – Stil: Power/Prog Trash ~


Am 1. Mai wurde das bereits Ende letzten Jahres Digital und auf CD erschienene Werk ´Gazing At Medusa´ endlich auch auf Vinyl veröffentlicht und da der Weg aus den USA ein langer ist, rotiert das gute Stück erst seit kurzem auf meinem Plattenteller.

Seit der ´Antiseptic Bloodbath´ aus dem Jahre 2012 veröffentlicht Ted Kirkpatrick, seines Zeichens Drummer, aktuell auch Basser, Alleinherrscher und Allvater von TOURNIQUET, seine Werke über das Label ´Pathogenic Records´ welches er, der Name spricht Bände, selbst ins Leben gerufen hat. Das Gute daran ist, dass er nach und nach die bisher lediglich auf CD erschienenen Alben aus dem Backkatalog von TOURNIQUET nun auch auf Vinyl veröffentlicht. So habe ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und das zeitgleich mit der neuen Scheibe erstmalig auf Vinyl aufgelegte Album ´Vanishing Lessons´ von 1994 gleich mitbestellt. Schlecht daran ist, dass man dieses Vinyl nur als US-Import erhält, was sich entsprechend auf dem Geldbeutel niederschlägt. Es ist nicht so, dass die Platten besonders teuer wären, die Band (also Ted) macht bei Direktbestellungen einen guten Preis, aber die Nebenkosten treiben den Endpreis in schwindelerregende Höhen. Sei es drum, man gönnt sich ja sonst nichts!

Mit der neuen Scheibe hat sich im Hause TOURNIQUET aber so einiges getan. Meine Überraschung war groß, als ich vernahm, dass auf der ´Gazing At Medusa´ sowohl  Chris Poland als auch Tim ´Ripper´ Owens als Gastmusiker mit von der Partie sind. Bei Chris Poland konnte ich mir das noch sehr gut vorstellen, aber Tim? Nicht falsch verstehen, Tim ist ein sehr guter Sänger und ich schätze die ´Heart Of A Killer´ von WINTERS BANE sehr, aber er, mit seiner prägnanten, prägenden und bereits stark geprägten Stimme bei TOURNIQUET? Und darf jemand mit dem Beinamen Ripper überhaupt in einer White Metal-Band spielen (ist nicht ganz ernst gemeint)?

Interessanterweise ist von ihm und Chris, anders als von Ted und Aaron, auf dem Inlay kein Dank an Gott zu finden…hmmm!  Apropos White Metal-Band…da muss ich nochmal schnell etwas einschieben. Ich kenne Leute, die White Metal-Bands grundsätzlich ablehnen. Warum? Weil sie nicht an Gott glauben? Glauben diese Leute denn an Drachen, Magier…oder Satan? Weil sie die christlichen Texte nicht mögen? Mir hat mal jemand geschrieben, dass wenn er Texte lesen wollte, er sich ein Buch kaufen würde. Oder weil sie grundsätzlich mit der Einstellung dieser Bands nichts anfangen können? Was ist denn falsch an Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Toleranz? (Ich bin nicht wirklich ein gläubiger Mensch.) Sind Bands, die Mord, Totschlag, Folter und Krieg propagieren automatisch metallischer? Ich lasse das jetzt einfach mal im Raume stehen.

Wenden wir uns nun aber in langsamen Schritten dem zehnten Studioalbum der 1989 in  Los Angeles gegründeten TOURNIQUET zu, bei welchen Ted schon beim 96er Output ´Crawl To China´ das einzige verbliebene Gründungsmitgliedern war.  Auf der ´Crawl To China´ bereits aktiv war hingegen Aaron Guerra (Krieg ist ein cooler Nachname für einen Musiker einer White Metal-Band), der mit einigen Unterbrechungen seit der 95er EP ´Carry The Wounded´ immer wieder mal die Rhythmusgitarre gezupft hatte (in seiner Abwesenheit übernimmt Ted diesen Job persönlich) und dies auf dem aktuellen Werk wieder tut. Interessanterweise ist er dieses Mal nicht nur mit Gitarrenarbeit beschäftigt, sondern unterstützt ebenfalls Tim am Mikro. An Backing-Vocals hatte er sich bereits früher schon mal versucht, aber Lead-Vocals sind bei ihm etwas neues. Gastmusiker sind auf den letzten Alben von TOURNIQUET hingegen nichts ungewöhnliches. Mit schöner Regelmäßigkeit hat Ted Kirkpatrick Musiker zur Veredelung seiner Werke hinzugezogen, die allerdings zumeist nur bei vereinzelten Songs zu hören waren. Eine Ausnahme von dieser Regel  waren aber der Nachfolger von Chris Poland bei MEGADETH Marty Friedmann und Bruce Franklin von TROUBLE, die sich die (Lead-)Gitarrenarbeit auf der gesamten ´Where Moth And Rust Destroy´ aus dem Jahre 2003 teilten.

Jetzt will ich aber nicht länger auf die Folter spannen. Meiner Meinung nach passt Tims Stimme sehr gut zu TOURNIQUET und befreit ihn aus dem Korsett, welches er seit seiner Zugehörigkeit zu JUDAS PRIEST und ICED EARTH mit sich trägt. Die nicht gerade eingängigen Songkonstruktionen von TOURNIQUET geben ihm die Möglichkeit, endlich mal wieder in voller Bandbreite zu zeigen, was es mit seiner Stimme auf sich hat. Er setzt seine Stimme von Hoch bis Tief sehr variabel ein und beweist, dass er nicht nur Hoch kann. Aber auch wenn sich seine Stimme gut in die Stücke einfügt und er sicherlich auch der bessere Sänger ist, so habe ich bei TOURNIQUET immer die in allen Tonlagen schmutzigere Stimme von Guy Ritter (dem Sänger der drei ersten Alben) und sogar die von Luke Easter im Kopf. Musikalisch ist TOURNIQUET nach wie vor eindeutig zu erkennen, hat aber meiner Ansicht nach leider den Anteil an technischem Prog-Thrash zu Gunsten traditionellerem US-Metal reduziert. Da die Stücke aber dem Vernehmen nach bereits vor der Wahl des Sängers fertig komponiert gewesen sind, kann man Tim hier wohl keinen Vorwurf machen. Aber vielleicht hatte ja Ted bereits einen Sänger wie Tim (oder Tim selbst) beim Komponieren im Hinterkopf.

 

 

´Sinister Scherzo´ bereitet einen fulminanten Einstieg in das Album. Knackige Riffs, Teds bekannt hochklassiges Drumming, sich großartig ergänzender Wechselgesang zwischen Tim und Aaron, intelligente Breaks, spannende Tempowechsel, erwartet gekonnte Soli von Chris – was will man mehr? Ein sehr gutes Stück, welches geschickt zwischen Thrash und klassischem Heavy Metal hin und her pendelt. (Alleine das Break zu Beginn des Stückes mit einem ganz kurzen Flötenintermezzo und dann unvermittelt einsetzendem Gitarrenstakkato ist schon fast die Platte wert.) ´Longing For Gondwanaland´ greift den vom Opener eingeschlagenen Weg auf, auch wenn eine Textzeile wie ´United We Stand – Divided We Fall´ nicht gerade als innovativ bezeichnet werden kann. Auch ist mir nicht klar, was eine aus Südamerika und Afrika bestehende Landmasse, die vor rund 145 Millionen Jahren zerbrochen ist, also lange bevor es so etwas wie Menschen gegeben hat, mit der Einheit der Menschheit zu tun hat, aber vielleicht ist das ja auch im übertragenen Sinne zu verstehen.

Mit ´Memento Mori´wird dann im Anschluss der Fuß beträchtlich vom Gaspedal genommen und das Stück pendelt sich in gemächlichem Midtempo mit einer Schlagseite zu doomigen Gefilden ein. Bei diesem Stück spricht Tim den Text mehr als er ihn singt, was die doomige Note unterstreicht und dem Song einen melancholischen Touch verleiht. Bei ´All Things Died Here´ schnellt zwar der Härtegrad wieder in die Höhe, ohne aber das Tempo in gleichem Maße anzuziehen. Es ist vielmehr im oberen Midtempobereich angesiedelt, enteilt aber doch ab und zu, begleitet von einem galoppierenden Riff, in thrashigere Gefilde.

Weiter geht es auf der zweiten Seite mit dem meiner Meinung nach wundervollen Songtitel ´The Crushing Weight Of Eternity´. Ein treibendes Stück mit schönen Melodien, guter Gitarren- und Gesangsarbeit, welches gegen Ende noch den Nachbrenner zündet. Das songtiteltechnisch gesehen nicht minder gute ´The Peaceful Beauty Of Brutal Justice´ beginnt sehr langsam und melodisch mit gefühlvollem Gesang von Tim bevor es förmlich explodiert und Aaron dem mit gekonnt aggressivem Gesang einen Kontrapunkt setzt. ´Can’t Make Me Hate You´ lehnt sich stilistisch an das melancholisch getragene ´Memento Mori´ an, geht aber um einiges vertrackter zu Werke und erinnert gerade zu Beginn an vergangene Großtaten. Bei ´One Foot In Forever´ handelt es sich wieder um ein recht geradliniges Stück, in welchem der Thrash-/Heavy-/Powermetal-Anteil in den Vordergrund tritt. Die größte Überraschung ist aber das am Ende des Albums platzierte Titelstück, welches von Deen Castronovo gesungen wird. Eigentlich nur als Drummer bekannt (aktuell THE DEAD DAISIES, vormals WILD DOGS, DR. MASTERMIND, JOURNEY, OZZY OSBOURNE und viele, viele mehr) legt er hier eine Gesangsleistung ab, bei der ich nur sagen kann: Chapeaux, und dabei meinen virtuellen Zylinder lupfe. Seine melodische Stimme passt perfekt zum treibenden Heavy Metal-Stück klassischer Prägung und verleiht dem Album einen besonderen Abschluss.

´Gazing At Medusa´ ist ein sehr gutes Album, welches allerdings nicht an die frühen Werke wie ‚Stop The Bleeding‘, ‚Psycho Surgery‘ oder gar ‚Pathogenic Ocular Dissonance‘ heranreicht. Es fehlen vor allem Stücke mit Wiedererkennungswert (bei TOURNIQUET von Hits oder gar eingängigen Stücken zu sprechen wäre etwas zu verwegen), wie es diese auf den vorgenannten Klassikern der Band immer gab. Ich habe zwar weiter oben gesagt, dass Tims Stimme sehr gut zu TOURNIQUET passt und er hier die Möglichkeit erhält, diese voll zur Entfaltung zu bringen, aber dennoch werde ich nach mehrmaligem Hören das Gefühl nicht los, dass hier mehr drin gewesen wäre. Erst die Ergänzung durch Aarons Gesang bringt zusätzliche Spannung und Emotionen in die Gesangsparts und ich weiß nicht, welchen Eindruck das Album ohne dessen nochmals zu erwähnende besondere Gesangsleistung hinterlassen hätte. Insgesamt fehlt mir etwas vom abgedrehten technischen Prog-Thrashmetal, welcher frühere Scheiben von TOURNIQUET ausgezeichnet hat. Der erhöhte Heavy-Metal/Power-Metal-Anteil macht zwar die Scheibe für die breite Masse bekömmlicher, aber durchaus auch ein Stück gleichförmiger und dadurch in meinen Ohren auch uninteressanter. Aber vielleicht sehe das ja nur ich so.

Viele Bands/Musiker behaupten ja immer wieder gerne, dass es ohne ihre Fans das Werk XY nicht gegeben hätte. Im Falle von ´Gazing At Medusa´ ist dieses aber wörtlich zu nehmen, da die Produktion des Albums, wie auch bereits das der beiden Vorgängeralben und das Re-Release von ´Vanishing Lessons´, über ein Crowdfunding finanziert worden ist. Die Sponsoren sind als Dank dafür auf dem Inlay namentlich aufgeführt worden. So funktioniert Albumfinanzierung heute.

Das Vinyl hat eine spezielle Abmischung erhalten und ist in Schwarz, Ancient Bronze (was auch immer das farblich heißen mag) und in einer auf 200 Exemplare limitierten und von Ted persönlich signierten und nummerierten Auflage in Ancient Bronze mit schwarzen Spritzern (Splatter) erhältlich.
Bei Interesse sollte man hier reinschauen:
https://tourniquet.net/shop/

(8 Punkte)