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VALBORG – Zentrum

~ 2019 (Lupus Lounge / Prophecy Productions) – Stil: Post Punk Doom ~


MANTAR, mit denen sie kürzlich auf Tour waren, bezeichnen sie als „Deutschland’s bestgehütestes Untergrundgeheimnis“, und bis heute verfolgt sie Tom G. Warriors Lob ihrer ersten Langspielplatte ´Glorification Of Pain´ aus 2009. Und nun ist „Gott, oh Gott – (die) Zeit ist Zeit…“ gekommen, dass sie nach siebzehn Jahren und mit der kein bisschen verflixten siebten Platte endlich ganz nach vorne ins Licht kommen: das Extrem-Doom-Trio VALBORG.

Ihre Spezialität war schon immer ihre Fähigkeit, mit extrem vereinfachten, fast primitiven und oft groben musikalischen sowie in ihrer Simplizität dadaistisch anmutenden lyrischen Mitteln starke Gefühle zu erwecken: Faszination im Wechsel mit Ekel, entspannter Genuss unterbrochen durch Schock, nihilistisch aussichtlos, das Lachen bleibt im Halse stecken. Ihre Texte bestehen aus wahren Schlag-Worten, Begriffen, denen meist ungute Gefühle wie getrocknetes Blut ankleben, historisch aufgeladen durch ihre willkürliche Kombination zu allgemeinverständlichen Bedeutungsfeldern:

„Trümmerfeld – Roter Sand – Toter Held – Widerstand – Trümmerfeld…“ (´Kreuzer´)
oder
„Totales Aussterben, der Mensch ist tot“ (´Alphakomet´).

Ihr liebstes Stilmittel ist die Hyperbel, totale Übertreibung, Zuspitzung als absolutes Prinzip (´Alphakomet´, ´Ultragrab´). Die Texte werden meist herausgebrüllt oder sprechgesungen, dazu knüppelt ein gnadenlos hart und scharf abgemischtes Schlagzeug jegliche Gegenwehr nieder. Selbst scheinbar von ihrem Tun völlig ungerührt, zelebrieren sie auch live eine staubtrockene rheinisch-westfälische Gesinnung, wie wir sie auch von BOHREN UND DER CLUB OF GORE kennen. So war das bei VALBORG, mit wenigen Ausnahmen, bisher.

 

 

Und nun ´Zentrum´. In diesem steht für alle und jeden die eigene Sicht der Welt, wie es uns schon das Cover deutlich macht. Wir können nur unsere eigene Wahrnehmung erleben, selbst wenn wir versuchen, uns distanziert auch einmal von aussen zu sehen – was heute in Zeiten der Ich–Gesellschaft jedoch nur noch die wenigsten tun. Und so kommt es ständig zu Konflikten mit anderen und Erschütterungen des Selbst. Hinzu kam für die Band ausserdem der Tod von Freund und Instrumentenbauer René Marquis, der sie hörbar nachdenklicher und schwermütiger als bisher gemacht hat. Die eigene Mitte finden, wieder gesund zu sich kommen, sich zentrieren, davon handelt die neue Platte. Und ja, das tut (sie) gut!

Liess sich der direkte Vorgänger ´ Endstrand´ musikalisch noch in den harten Doom-Death-Kontext von Bands wie späten CELTIC FROST und entsprechend TRIPTYKON, oder auch den ebenfalls zur Zeitgeister-Music-Familie gehörenden OWL, bei denen VALBORG-Gitarrist Christian Kolf ebenfalls spielt, einordnen, schlägt ´Zentrum´ ein ganz neues Buch auf. Wie immer wird bei den Bonnern grosser Wert auf eine durchgängige, eigene Ästhetik gelegt; und wie zuvor stammt das wie auch die Musik extrem reduzierte und gerade dadurch so eindrückliche Artwork von Peter Böhme. Es ist wie bei ´Romantik´ und eben ´Endstrand´ in weiss, schwarz und rot gehalten – „die Farbe Rot als Symbol für Hitze und Schwere“, aber auch verbindendes Element, das Blut, das innerhalb der drei Alben im Kreislauf pulsiert.

Denn zusammen gehören sie – wer auf eher verträumte ´Romantik´ steht und danach am ´Endstrand´ schockgefrostet wurde, sollte hier auf jeden Fall mehrere Ohren riskieren: die Synthies haben wieder an Macht gewonnen, die typische SciFi-Atmosphäre ist dramatisch verdichtet und erinnert oft stark an 80er Dark Wave/Post Punk à la KILLING JOKE, THE CURE und THE SISTERS OF MERCY (das grandiose ´Nonnenstern´ mit seinem Stummfilm-Vortrag, und der vielschichtige VALBORG-Prototyp ´Kreuzer´) oder auch DAF, und wenn wir schon gedanklich mit heimatlichen Gruppen vergleichen, denke zumindest ich auch an die sprachliche, schwarzhumorige Ästhetik eines Klaus Nomi, den Minimalismus von TRIO (´Nahtod´ – VALBORG zeigen Gefühle!) oder das brachial-theatralische Element von RAMMSTEIN (das für ganz vorsichtige Einsteiger geeignete, melancholische ´Anomalie´). Und wie immer bei VALBORG stehen auch TYPE O NEGATIVE-Referenzen ganz hoch im Kurs, nicht nur was den Basssound betrifft, vor allem Gitarren und natürlich Synthesizer suhlen sich zeitweise geradezu in der ´World Coming Down´-Ära.

Und das soll alles zusammenpassen, und auch noch gut klingen, fragt ihr Leser zu recht? Nicht gut, grenzgenial! Fällt schwer, sich das vorzustellen, klar, und das Video unten hilft zumindest bis zu seiner zweiten Hälfte hier auch nicht wirklich weiter. Wer mir jedoch sagen kann, woher er das Riff ab 1:50 kennt, gewinnt den gemeinsamen Genuss, diesen in mindestens einem anderen Song auf ´Zentrum´ verändert wiederzufinden…

Anspieltipps sind sonst: ´Kreuzer´ – THE CURE meets RAMMSTEIN, das sehr wavige ´Nonnenstern`, und wer’s voll auf die Zwölf will, steigt am Anfang mit ´Rote Augen´ ein. VALBORG-Neulinge können mit ´Anomalie´ eines der vielfältigsten Lieder kennenlernen. Lohnen tun sich jedoch alle!

VALBORG ist wiederum ein stilistisch ausgereiftes und motivisch stringent durchgehaltenes Konzeptalbum gelungen, diesmal holen sie jedoch alle ins Boot: den Extremmetaller wie den Post Punk-Fetischisten, den NDH-Worshipper wie die Avantgarde-Musikpolizei. Und nicht zuletzt auch den neuem aufgeschlossenen Metalfan. Denn Neues, Ungehörtes aus deutschen Landen – das ist in diesem Jahr vor allem VALBORG.

(8,5 Punkte)

 

PS: VALBORGs komplette Diskographie wurde im eindrucksvollen aktuellen Design von Peter Böhme bei Lupus Lounge / Prophecy Productions neu aufgelegt, und ist als limitierte Box (incl. 2 Demo-Cds) oder einzelne Digipak-Cds erhältlich.

https://www.facebook.com/valborgband/