Lebensverlängernde WerkeMeilensteine

CRIMSON GLORY – Crimson Glory (1986)

Am Anfang war die Kassette. Und sie war gut. Und Studiowelle Saar, die als einer der wenigen Regionalsender am Anbeginn der (Metal-)Zeit in der Sendung „Querfunk“ eine Stunde lang Hard & Heavy spielte und neue Platten vorstellten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Somit schnitt ein alter Freund fleißig mit und überreichte Mixkassetten, die nach bestem Wissen und Gewissen, als auch unter rudimentären Englischkenntnissen beschriftet waren. Als dann endlich ein anderer tapekopierender Musikdealer meines Vertrauens eines Tages mit den Worten daherkam: „Ich habe hier was für dich in Richtung QUEENSRYCHE, das könnte genau dein Ding sein.“ Und wie recht er damit haben sollte. Aus dem auf Pappinlay kleinstgeschriebenen `Melheller´ wurde `Valhalla´, das große Unbekannte entpuppte sich zu dem wohlklingenden Namen CRIMSON GLORY und das Schicksal nahm seinen Lauf.

 

 

Allmächtiger Herrscher über alles, was da war, ist und jemals sein wird, was für ein Anfang! Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich diese Scheibe auflege. Heldenhafter kann ein Lied über die Hallen der nordischen Götter niemals intoniert werden, dazu diese fetten Drums von Dana Burnell, der mächtige Hall, die durch Jon Drenning und Ben Jackson zum Leben erweckten, verliebt miteinander spielenden Gitarren – und diese verfickt extremen Screams. Mit einem Paukenschlag von Ragnaröck endet das Anfangsstück und man will eigentlich nur noch selbst die heiligen Hallen betreten, denn man hat alles gehört, was es jemals zu erleben gibt.

We have found a new horizon far beyond the stars that shine above
Thrashing wings valkyries rising to the hollowed halls of Valhalla

Weit gefehlt, denn die `Dragon Lady´ holt dich liebevoll auf den Boden der Tatsachen zurück – der Puls beginnt zu rasen ob der treibenden Rhythmik, des Drives und wieder…dieses Gitarrenduos. Entweder schreibe ich jetzt bei jedem Lied, wie überirdisch Midnights Gesang wirklich war, oder ich erwähne die rhythmisch analog zum Schlagzeug gesungenen Parts – oder ich nehme erstmal einen Blutdrucksenker.

Look into her crimson eyes – say good-bye!

Doch ein gutes Album hat selbst das. Mein `Heart Of Steel´ beruhigt sich zu den akustischen Klängen zum Beginn des gleichnamigen Songs. Aber Vorsicht!

Cold waves whisper their warning
Danger walks with a fragile heart

Und die Texte bergen schon jetzt diesen latenten Wahnsinn in sich, den Midnight jedoch am Ende des Werkes noch einmal neu definieren sollte.

You journey through my mind over the walls of pain

Angels of lust guard my domain while dark eyes shine in the mirror

 

 

Ich sitze nicht etwa vor der Anlage, nein, ich bin durch die lebendige Produktion bereits aufgesogen worden und würde den langgezogenen, in zwei Richtungen gelenkten Refrain mitsingen, wenn ich nicht vor Andacht gelähmt wäre und neben himmlischen Harmonien erneuten Schreiausbrüchen lausche.

In der gleichen Liga spielt natürlich auch der gefallene Engel der Gnade `Azrael´, dessen Schicksal epischer nicht beschrieben werden könnte.

Never been in hell before now I’m falling, falling
Heaven’s behind the door and they’re calling me again
Hidden beyond the light will the darkness find me
Help me escape tonight

Zum metallischen Galopp erzählt er uns durch sein von ihm mittlerweile besessenes Sprachrohr Midnight von seinen Taten und der allmächtigen Aufgabe, die ihm obliegt, wenn er die Dunkelheit in unseren Herzen entschleiert.

 

 

B-Seite. Countdown. Mit einem wahren Raketenstart von Gitarrenriff startet das komplett irre `Mayday´ – die Speed Metal-Hymne des Screaming, das Hohelied allem hoch gesungenen – damals wohl der Albtraum des durchschnittlichen, nicht-metallisch bewanderten SISTERS OF MERCY & DEPECHE MODE Jüngers.

Danach heißt es episch entspannen, indem ich mich auf den groovenden Ball der `Queen Of The Masquerade´ schleiche und erneut haut mich die Intonation des fast hysterisch Erzählten schlicht um, während dich der Männershoutchor mit `Hail!´ innerlich strammstehen lässt. Herrliche Solo-Overkills, zweistimmige Gitarren, dezent auf den Punkt eingesetzte orchestrale Effekte, Jeff Lords‘ melodisch-knackiges Bassspiel – ein vinylgewordener US-Traum.

Down, down to your knees bow before your majesty

Gerne. Sofort nach dem Aufstehen verzückt abermals dieses unglaublich harmonisch-tighte Gitarrenduo, eine Bridge von Göttern für elende, unwürdige Würmer wie mich – es ist schlicht und ergreifend nicht zu fassen und auch nicht in Worte zu fassen, selbst über dreißig Jahre später. Die singenden Gitarren umschnurren förmlich den dramatischen Refrain über die heiligen Engel eines unheiligen Krieges und überlassen mich immer leiser werdend…

Spit in the face of evil – never fear
Fly on the wings of glory – join us here

…einem Stück, welches – in unserer Szene zumindest – Musikgeschichte geschrieben hat, höchstwahrscheinlich tragischerweise bereits vorausnahm, dass Genie und Wahnsinn auf enge Weise miteinander verknüpft sind und welches auf ewig die musifizierte Vertonung der Verzweiflung sein wird…auf wunderbare, unerreichte Weise…magisch…mystisch…ERUPTIV!

 

 

Unnütz zu erwähnen, das man die noch fetter abgemischte Version der `Dream Dancer´ Maxi haben sollte. Man wird verrückt, wenn man dieses erste Album hört. Einfach verrückt vor Freude über ein Stück Musik, das es einfach so nicht mehr gegeben hat. Die Masken waren zwar für manche unnötig, jedoch eminent wichtig für die Legendenbildung als auch die Distanz live zum Publikum damals 1989 in der Westfalenhalle, als sie schon halb gefallen waren.

 

 

Eine verschlüsselte Schrift zierte das Backcover des Nachfolgers, der in gleicher, unübertrefflicher Besetzung eingespielt wurde – und fand den Einzug in von mir verfasste, unerwiderte Liebesbriefe an Göttinnen, welche diese meine Religion nicht verstanden – und die Kompositionen waren noch etwas perfekter. Aber diese rohe Naturgewalt an musikalischen Eruptionen des Erstwerkes bleibt unerreicht.

 

 

So lassest mich dennoch mit der geheimen Botschaft des Backcovers der `Transcendence´ schließen, liebe Schwestern und Brüder:

We will strike down
The ones who lead us
We are your future
We are forever

 

Rest in peace, Midnight
1962 – 2009