Redebedarf

IN DEN KATAKOMBEN DER STASI

 ~ Spannende Einblicke in die Metalszene der DDR ~

Fragen an Nikolai Okunew ~


Nikolai Okunew lernte ich in der Facebook-Gruppe „Ostmetal“ kennen. Dort bewies er mit verschiedenen Posts Geschmack und Wissen. Und aufgrund dieses Wissens haben wir ihn sozusagen in die Katakomben der Stasi-Unterlagen geschickt. Die Erkenntnisse, die er aus diesen mitgebracht hat, möchten wir hier teilen.

Nikolai, Du bist studierter Historiker und gerade Doktorand an der Uni Potsdam. Was sind Deine Fachgebiete?

An der Uni bin ich nicht wirklich, weil ich Doktorand am Leibniz Zentrum für Zeithistorische Forschung bin. Das ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Mein Fachgebiet läuft unter dem Label Popgeschichte. Dabei geht es weniger um Modern Talking oder die Kelly Family als um die Erkenntnis, dass Pop ein neues Phänomen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Auch wenn es ältere Vorläufer hatte, so gibt es spätestens seit dem globalen Siegeszug von Rock’n’Roll länderübergreifende Kulturen, die sich an Dingen wie Musik, Kleidung oder Filmen organisieren und sich etwa in der Sprechweise, den Körpern (z.B. durch lange Haare) oder der Freizeitgestaltung ausdrücken.

Im Studium habe ich mich viel mit der DDR und ihrer Kultur befasst. Ich fand es schon sehr spannend, auch Heavy Metal in der DDR zu „finden“ und so habe ich 2015 meine Masterarbeit bereits zu diesem Thema geschrieben.

Was genau hast Du mit Metal zu tun?

I sold my soul to MANILLA ROAD!

Du hast auch über Heavy Metal und seine Fans in der DDR geforscht. Was gab es da für überraschende Erkenntnisse?

Am überraschendsten fand ich, wie wenig sich geändert hat bzw. wie klein die Unterschiede – also kleiner als ich dachte – waren. Die Leute beschwerten sich über getriggerte Drums, betrachteten den Metal Hammer mitunter abschätzig und lechzten nach neuen Alben von IRON MAIDEN.

Ansonsten gibt es viele kleine Erkenntnisse, die man zu einem Bild zusammenstecken müsste, um zu verstehen, warum sie relevant sind. Aber wenn ich lese, wie viel vom Einkommen für Platten ausgegeben wurde und was für Mühen man auf sich nahm, damit die Musik möglichst nahe an den Vorbildern war, wird klar wie sehr die Fans in der DDR der Musik erlegen waren. Und diese starke emotionale Bindung interessiert mich, auch weil sie sich weniger in einer Gegnerschaft zur DDR ausdrückt als in einem ziemlich radikalen Desinteresse für die Partei und ihre Ideale.

Wenn ich eine einzelne Tatsache herausstellen müsste, dann die diversen Kirchenschändungen durch Black-Metal-Fans. Die Norweger haben sich das anscheinend nur abgeguckt.

Kannst Du die Geschichte mit den Kirchenschändungen genauer ausführen?

Sowohl in einem alten Interview von Matthias Hopke, dem Moderator der Sendung „Tendenz Hard bis Heavy“ beim DDR-Radiosender DT64 als auch in einer Studie aus der direkten Nachwendezeit werden Friedhofs- und Kirchenschändungen erwähnt. Da ich keine Bestätigung hatte, habe ich das als Aufschneiderei abgetan. Auch im Westen erschienen, etwa im STERN, immer wieder solche wenig abgesicherten Berichte. Ich habe nach einiger Zeit aber ein paar ähnliche Zwischenfälle in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gefunden. Darunter zwei gut dokumentierte. Bei einem demolierten Black-Metal-Fans nach einer Gartenparty im Suff ein paar Schilder. Beim anderen wird allerdings ein Kaninchen „rituell“ auf dem Altar einer Kirche geschlachtet, woran sich auch Gruftis beteiligten. Der Vorfall sollte nicht an die Öffentlichkeit, und so beschlossen Stasi und der Pfarrer den Vorfall zu verschweigen. Ich will das Thema nicht größer machen als es war, aber hey, das hat mich halt erstmal von den Socken gehauen.

Ich bin in der DDR groß geworden, bin Baujahr 1970, was würdest Du mich fragen?

Mittlerweile würde ich nicht mehr nach Plattenpreisen oder Reisen nach Ungarn fragen, sondern danach, was die Musik dir bedeutete und wie du sie in deinen Alltag integriert hast.

Mich interessiert also neben dem Faktischen auch die subjektive Erfahrung und Deutung. Fakten findet man nämlich auch in den vielen Archiven, deine persönliche Geschichte allerdings nicht.

Ansonsten lernte ich während meiner Zeitzeugengespräche recht schnell, dass man mit vorgefertigten Fragekatalogen nicht so weit kommt und dass man vor allem zuhören sollte, um zu erfahren was die Leute selbst wichtig finden.

So einen Gürtel, wie auf dem nächsten Bild zu sehen, bestehend aus ausrangierten Ketten von Fließbändern, hatte ich auch. Der war verdammt schwer, aber für uns was ganz besonderes. Ansonsten trugen wir, in Ermangelung passender Alternativen, ähnlich wie die Blueser Fleischerhemden und Tramperschuhe. Wer Glück hatte, der besaß eine Lederjacke oder zumindest eine Jeansjacke.

Mit den Bluesern teilten wir, zumindest die Gruppe, der ich angehörte, auch einige musikalische Vorlieben und Ansichten, während viele andere Metaller doch eher nur am Saufen und Party feiern interessiert waren. Das lag aber möglicherweise daran, dass wir auch an der Jugendarbeit in einer Kirchengemeinde teilnahmen.

Reisen nach Ungarn habe ich keine gemacht. Da ein Ausreiseantrag unserer Familie vorlag, wäre es mir gar nicht erlaubt gewesen. Musik gab es in unserer Clique von Radiomitschnitten oder Kassettenkopien. Platten waren keine in unserem Besitz. Ein einzelner Metal Hammer hat es in meinen Besitz geschafft, den mir meine Eltern aus Budapest mitgebracht haben. Das sind einfach die Dinge, an die ich mich in der letzten Zeit erinnert haben.

Wie systemfeindlich waren denn die Heavys wirklich? Wenn ich zurückdenke, die meisten von uns wollten nur in Ruhe Party feiern und Musik hören…

Ich würde argumentieren, dass genau das ein Problem für den Staat war. Die SED – und das findet man auch in Bezug auf Heavy Metal in den Akten – hatte den Anspruch, dass alles, was in der Gesellschaft vor sich ging, politisch war. Alles war ihr wichtig und wurde entsprechend der Ideologie gedeutet. Mit Heavy Metal bricht (nicht zum ersten Mal) ein Phänomen ein, welches nicht in dieses Schema passt. Es transportiert andere Emotionen, wie Wut, aber eben auch ausgelassene Freude, Rausch, Ekstase. Das sind alles Dinge, die es in der DDR selbstredend immer gegeben hat, denen aber kein geduldeter Platz zugewiesen war. Die Fans in der DDR nahmen sich diesen Platz, sowohl metaphorisch (im Radio) als auch ganz praktisch. Heavy Metal war dafür ein Ausdrucksmittel.

Neulich hatte ich noch einmal Ausreiseanträge einer Berliner Metal-Band gelesen. Die Leute geben einfach an, dass sie sich in der DDR nicht mehr musikalisch entwickeln können. Sie würden ihre Musik lieber im Westen machen wollen. Die Behörden sind völlig perplex, dass sie sich NICHT staatsfeindlich äußerten. Diese kleine Episode zeigt glaube ich ganz gut, dass der Staat nicht in der Lage war, es zu akzeptieren, wenn man sich einfach politisch nicht festlegen wollte.

Gab es Unterschiede zwischen den Fans im Osten und Westen, zum Beispiel beim Zusammenhalt?

Zum Westen habe ich nicht explizit geforscht und dabei war ich auch nicht. Einige Unterschiede – wie die fehlende Möglichkeit zum Dynamo-Festival zu fahren und eben die Anwesenheit einer politischen Geheimpolizei – liegen ja auf der Hand. Aber ich denke, der größte Unterschied ist eben der Markt. Im Westen professionalisierte sich Heavy Metal ja relativ schnell und man konnte Musik und Patches bestellen oder im Laden kaufen. Im Osten kam es dazu ja nicht, beziehungsweise wurde es staatlicherseits nicht zugelassen. Und hier findet sich dann vielleicht auch eine Erklärung für die vielen Berichte aus der direkten Nachwendezeit, oder von Ausgereisten, über den fehlenden Zusammenhalt unter Heavy-Metal-Fans in der Bundesrepublik. Dort konnte man im Extremfall mit genug Geld auch allein Heavy-Metal-Fan sein. Die DDR zwang die Leute gewissermassen, Netzwerke und Freundschaften zu pflegen, um an „Stoff“ zu kommen. Zumindest subjektiv wird das jedenfalls so erinnert und erklärt.

Das habe ich tatsächlich nicht ganz so bewußt erlebt, vielleicht auch, weil ich in der Zeit nach dem Verlassen der DDR, als ich in Gütersloh gelebt habe, einige gute Freunde hatte. Wir haben genauso Musik getauscht und Platten kopiert wie im Osten.

Vielleicht auch deswegen, weil schon damals mehr Platten erschienen sind, als man sich als normal verdienender Fan leisten konnte.

Im Westen florierte natürlich die Tapetrader-Szene, die über Grenzen und Kontinente hinweg Freundschaften begründete, deren Pflege heutzutage das Internet einfacher ermöglicht…

Wie weit hat die Stasi in der Szene mitgemischt?

Die Stasi ist gruselig und es kam vereinzelt und ortsabhängig auch Ende der 1980er Jahre noch zu harten polizeistaatlichen Maßnahmen, wie Verhören und psychologischer Folter. Die große Menge der Akten zeigt aber ein MfS, das vor allem damit beschäftigt war, herauszufinden, was eigentlich los ist mit der Arbeiterjugend. Da werden Namenslisten erstellt und jahrelang Fanklubs beobachtet, ohne je ein Vergehen festzustellen oder eine Maßnahme anzuordnen. Für den Historiker sind solche Alltagsbeobachtungen, also ohne Gewalt und Verbrechen, sehr ergiebig, wenn er sich eben für den Normalfall interessiert. Ich will an dieser Stelle noch kurz erwähnen, dass ich in 10 verschiedenen Archiven war und mich bei weitem nicht nur auf die Akten des MfS stütze.

Weißt Du von Musikern, natürlich ohne Namen zu nennen, die für die Stasi gearbeitet haben?

Ja, und den Namen dürfte ich laut Stasiunterlagengesetz sogar nennen. Ich möchte nur davor warnen, jemanden nur deswegen zu verdammen. Bei der einen mir bekannten Person konnte ich in den Akten z.B. nicht feststellen, dass sie Anderen geschadet hat. Im Gegenteil, sie bemüht sich bei der Stasi, Verständnis für Heavy Metal zu schaffen. Es ist auch keine Person aus den bekannten Bands, also muss hier nirgendwo die Geschichte des Ostmetals völlig neu geschrieben werden.

Ähnliches gilt für die vielen jugendlichen Informativen Mitarbeiter, kurz IM. Viele kommen noch im Teenageralter mit einem Polizeistaat in Berührung und/oder sie werden durch Drohungen zur Kooperation „bewegt“. Die öffentliche Debatte in Deutschland kennt nur zwei Kategorien: Opfer und Täter. Wer im Archiv mit offenen Augen sitzt, sieht Lebenswege in denen Menschen beides gleichzeitig sein können.

Wie stehen sie heute dazu? Kann man dazu was sagen?

Soweit mir bekannt habe ich mit keinen ehemaligen IMs geredet. Das Thema ist natürlich sehr heikel, auch weil die Debatte, wie oben beschrieben, oft unter falschen Vorzeichen abläuft, und die Biographien der Menschen nicht ernst nimmt.

Zum Thema Stasi vielleicht noch zwei Anmerkungen: Das MfS klagte immer wieder darüber, dass es schwierig sei, unter Metal-Fans IM zu werben. Und zwar weil man nur schwer Leute in die Szene einschleusen könne, da die Hürden anerkannt zu werden, für Stinos relativ groß waren, und weil Leute, die bereits in der Szene drin waren, häufig durch hohen Alkoholkonsum auffielen. Wer ständig betrunken war, war der Stasi aber suspekt, denn er konnte sich im Rausch verraten.

Die zweite Anmerkungen betrifft ein paar IM-Akten aus dem Jahr 1989 und insbesondere den Sommer: Die Leute kündigten nun reihenweise die Kooperation mit der Stasi auf, auch die IMs, die auf Metal angesetzt waren. Sie verloren ihre Angst und erklärten selbstbewusst, sie könnten ihre Tätigkeit aus Gewissensgründen nicht fortsetzen. Solche Zeilen zu lesen jagt einen Schauer über den Rücken.

Nikolai, ich danke Dir für die geduldige Beantwortung der Fragen. Das war für mich sehr spannend, vor allem, weil ich vieles nicht so im Bewußtsein hatte.

Eigentlich ist es schade, dass einem selbst nicht so bewusst ist, dass man ein Zeitzeuge ist, der viele Dinge erlebt hat. Bei mir wurden nun schon einige vergessene Erinnerungen geweckt. Ich hoffe, für den einen oder anderen Leser hat sich hier auch etwas Neues ergeben.

Zum Weiterlesen gibt es hier den Link zu einer Arbeit Nikolais:

geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2016/12093/pdf/Samples_14_okunew.pdf

Die Bilder entstammen dem Archiv der Bundesbehörde für Stasiunterlagen.