PlattenkritikenPressfrisch

MARTIN KOHLSTEDT – Ströme

~ 2019 (Warner Classics) – Stil: Moderne Klassik / Elektronica ~


Pianisten sind keine klassischen Pop-Musiker. Nils Frahm wandelt höchst erfolgreich zwischen Klassik und Elektronik in populären Kreisen. Carlos Cipa widmet sich als Pianist obendrein der Filmmusik. Und auch Martin Kohlstedt ist ein weiterer Grenzgänger zwischen Elektronik, moderner Klassik und Pop. Seine Hingabe zur Elektronik fließt direkt aus den Alben ´Nacht´ und ´Tag´ heraus. In seiner neuesten Produktion ´Ströme´ vereinen sich alle Elemente.

Martin Kohlstedt, in Breitenworbis geboren, erlangte seine Bildung in Medienkunst/Mediengestaltung in Weimar, arbeitete in zahlreichen Band-Projekten, veröffentlichte Soundtracks sowie Hörspiele und komponierte Computerspielemusik.

 

 

Die Eröffnungssequenz von ´Ströme´ ist mit ´SENIMB´ noch von schlichter Natur erfüllt. Der Flügel von Martin Kohlstedt lässt die Anschläge in sphärischen Wellen unter einem Hauch von Ambient erklingen. ´TARLEH´ ist hernach die Überraschung des gesamten Werkes. Während Martin Kohlstedt (MK) sein Tasteninstrumentarium auf seiner Schanze bearbeitet, übertönt ein gewaltiger Chorgesang alles. Der siebzig Personen starke GewandhausChor (GHC) aus Leipzig verschmilzt auf atemraubende Weise mit der Musik von Kohlstedt. Synthetische Klänge und menschliche Laute werden eins. Unter der Leitung von Gregor Meyer bindet sich der Chor an den Klangkörper des Elektronik-Meisters.

In ´AUHEJA´ agiert der Chor dezenter, weit zurückhaltender, gibt den Tasten Raum zum freien Spiel. Dagegen wallen die summenden Stimmen zu ´NIODOM´ in geradezu postrockender Manier auf. Der Chorgesang versucht sich in ´JINGOL´ sogar annäherungsweise dem Zeuhl zu nähern. Peitschenschläge aufs Metall treiben das Klavierspiel von ´KSYCHA´ voran. Verträumt schlendert ´THIPHY´ davon, ehe sich der GewandhausChor in ´AMSOMB´ zum letzten Mal zeigt.

Einem Husarenstück gleich ist ´Ströme´ ein in großen Teilen geglücktes Experiment des Martin Kohlstedt. Ein Grenzgänger zieht neue Gemarkungen. Die Grenzen zwischen einem mechanischen, auf Anschlag aus getrimmten Instrument und menschlichen Lauten verschwimmen.

(7,5 Punkte)


Photo: Mike Zenari

(VÖ: 3.5.2019)