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MORD’A’STIGMATA – Dreams Of Quiet Places

~ 2019 (Pagan Records) – Stil: Avantgarde (Black) Metal ~


Eine gewisse lakonische Distanz, ein flüchtiges, kaum greifbares Andeuten von Gefühlen, nur um diese sofort wieder zurückzunehmen und den Zuhörer allein zu lassen mit seinen Assoziationen, diese Grundhaltung, gepaart mit absolut unbeirrbarer Konsequenz in der Verfolgung ihrer jeweiligen künstlerischen Vision – all das kann man dem polnischen Black Metal und seinen diversen Sprösslingen nicht absprechen, und auch MORD’A’STIGMATA machen hiervon keine Ausnahme.

Mit ´Hope´ legten die seit 2004 aktiven Südpolen vor zwei Jahren eine herausragende, jedoch nicht einfach zu konsumierende Platte vor, die bei Fans wie Kritikern grossen Anklang fand. Nun sind sie pünktlich zurück, um beim diesjährigen Roadburn Festival ihren Traum von der Stille live vorzustellen – keine Frage, dass dieser jedoch kaum etwas mit erholsamer Ruhe zu tun haben wird.

Im Gegensatz zu seinem stark rhythmus- und perkussionsbetonten Vorgänger ist ´Dreams Of Quiet Places´ ein Album, das seine Spannung aus dem delikaten bis zuweilen auch brachialen Auf- und Abbau von Stimmung und Atmosphäre zieht. Frühere ausschweifende Dissonanz macht Platz für fast schwelgerische Exploration weit aufgespannter Klangräume, deren Membranen mit jeder Wiederholung eine neue Färbung annehmen. Müsste ich ihre Farbe und Textur benennen, wäre dies ein kränkliches grau-gelb, wie ein Leichentuch oder besser noch: wie pergamentartige, menschliche Haut – alles wirkt wie gefiltert, weit weg, dringt nicht wirklich bis zum Hörer in seiner häutigen Blase durch – trennende Distanz eben. Oder wie es der erste Titel benennt: ´Between Walls Of Glass´.
Eine Existenz, viel zu erschöpft um noch Angst zu spüren, in einem leeren Raum voller Hall und klirrend vor innerer Kälte. Dann die Überraschung: ´Exiles´beginnt doomig mit extrem betontem Bass, daraus entwickelt sich ein moderner Black Metal-Song, stimmungsmässig verortet irgendwo zwischen SCHAMMASCH, ESSENZ und MGŁA; und genauso wie später im zuerst progressiv-mäandernden und später explodierenden (fast-) Instrumental ´The Stain´ darf Schlagzeuger Ygg hier wieder zeigen, dass er seit ´Hope´ nichts verlernt hat.

 

 

Ganz viel dazugelernt, besser: sich deutlich mehr zugestanden hat die Band jedoch in einem ganz anderen Bereich. Mein „Hit“, und mit guten neun Minuten auch der längste Song der Platte, startet als lupenreine EBM-Nummer mit einem absolut tanzbaren Dark- oder meinetwegen auch Coldwave-Beat, der meisterhaft übersetzt wird in einen Post-Black Metal-Song mit allem riffigen drum & dran, inklusive kraftvollem klaren Gesang. Der Electro-Zwitter ´Spirit Into Cristal´ ist der positivste Song dieser Scheibe und hat mit dem Bild vom reinen Kristall versus der intransparenten Düsternis, dem Hinarbeiten auf die Klarheit eine klare Entsprechung in der musikalischen Geschichte der Band, die Schicht für unnötige Schicht abmeisselt von ihrem Klang, um irgendwannn in ganz naher Zukunft an ihrem strahlenden Kern anzukommen: shine on, you crazy diamond. PINK FLOYD als Einfluss einer Black Metal Band? Oh ja!

´Void Within´nimmt das von ´The Stain´ entwickelte musikalische Thema wieder auf und fasst es in Worte, die versuchen, das Nichts, die absolute Leere in mehreren sich wiederholenden Zyklen zu beschreiben, um am Ende doch nur konstatieren zu können:

∞ Drifted away to feel nothing – Reduced to ashes to feel nothing –
Embracing the void to feel nothing – Floating in darkness to feel nothing ∞

…und aus der vielschichtigen, klagenden schwarzmetallischen Dissonanz geht es hinaus in kalt-neblige Post Rock-Sphären. Was kann noch kommen? Was könnte helfen? Genau, zurück in die Erde, ´Into Soil´, doch auch auf die ist kein Verlass mehr: elektronische Sounds statt handfester Bodenhaftung, die Stimmung kippt zurück in die Hoffnungslosigkeit:

One step further
All dreams come true
All wishes done
Redemption regained

Und ein fast komplett elektronisches Darkwave-Herzschlag-Outro mit Static’s in der Leere schwebender Gitarre beantwortet schliesslich die Frage nach den ´Dreams Of Quiet Places´. Im Diesseits ist sie auf jeden Fall nicht zu finden, die ewige Ruhe…

One step further
Under a sky painted darkness
A perfect sleep
One step further
Into soil

 

MORD’A’STIGMATA ist und bleibt eine Band, die man nicht hören will, weil sie unangenehm ist, ja schmerzt. Die an die weit nach innen gekehrten, tiefdunklen Stellen in uns allen appelliert, die wir lieber verdrängen. Und deren zwingende Botschaft man kaum erträgt. Aber doch immer wieder hören muss. Fast zwanghaft, angezogen von nackter, prächtiger Wahrheit.

Und gerade dieses meisterliche Album wird sich in ständiger Wiederholung auf vielen Plattentellern drehen, ein ums andere Mal. Denn so abstoßend ein Konzeptalbum über die vollkommene und sinnfreie Leere des Daseins auch wirken mag, seine finale Aussage ist – Trost.

(8,5 Punkte)

 

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