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QUEENSRŸCHE – The Verdict

~ 2019 (Century Media/Sony) – Stil: Heavy Metal ~


QUEENSRŸCHE haben es aktuell nicht leicht. Zum einen müssen sie ein großes Erbe verwalten, gleichzeitig arbeiten sie sich an gravierenden Line-up Problemen ab, zum anderen muß die Band ihren Status wieder und wieder musikalisch bestätigen. Ein enormer Druck, der sicher Auswirkungen auf das neue Album hatte. `The Verdict` ist in seiner Gesamtheit ein starkes, überzeugendes Album geworden, bei dem sich die Band ganz explizit auf ihre alten Glanztaten beruft. Schnell sind die letzten Alben mit Geoff Tate vergessen, Sänger Todd LaTorre (ex-CRIMSON GLORY) hat seit seinem Einstieg indirekt den Kurs der Amis vorgegeben: Back to the Roots.

Dass QUEENSRŸCHE ihre eigenen Wurzeln als Inspirationsquelle sehen, kann man an einigen Songs festmachen, die gravierende Ähnlichkeiten zu alten Klassikern bereithalten. `Man The Machine` kann man fast schon `Breaking The Silence` Niveau bescheinigen. Was für eine wuchtige Nummer. Das etwas dunklere `Light Years` erinnert ebenso an alte Glanztaten. Gerade Melodie, Dramatik und Gitarren erinnern ganz deutlich an die Hochtage der Seattle Band. Der Mix aus Power wie Progressive Metal geht hier sehr gut auf.  Das schnelle `Propaganda Fashion` gehört ebenfalls zu den Highlights des Albums. Kraftvoll, enorm klassisch mit Hymnencharakter, enthält diese Nummer alles wofür QUEENSRŸCHE in ihren alten Tagen standen. Keines der zehn Stücke von `The Verdict` kann man als Lückenfüller, geschweige denn als wirklich schwach bezeichnen. Sicher gibt es Tracks, die etwas zurückfallen wie `Inner Unrest` oder `Portrait`, aber selbst diese sind im Gesamtkontext des Albums auf ihre eigene Weise charmant.

Mutig ist solch ein Album zu nennen, das sich ganz deutlich an der eigenen Diskografie orientiert, ohne dabei peinlich zu wirken. Denn die Band liefert genug Angriffsfläche in Sachen musikalischem Fortschritt, der hier nicht stattfindet, sondern eher wie eine Rückbesinnung wirkt. Es wird Leute geben, die die Band mutlos nennen werden, aber warum? QUEENSRŸCHE liefern das, was die allermeisten Fans hören wollen: einen traditionellen QR-Sound mit den für die Band bekannten Trademarks. Die Rechnung geht auf. Das bisher stärkste Album mit LaTorre, der nebenbei bemerkt sogar die Drumparts auf diesem Album eingespielt hat! `The Verdict` ist mehr als ein gutes Album, es ist ein Album, das zeigt, wo die Band steht und vor allem für was sie steht.

(8 Punkte)

Jürgen Tschamler, 24.2.2019

 

 

Obwohl Euer Rezensent weiterhin der Meinung ist, dass sich viel zu viele Combos hinter dem Deckmantel ihres alten Bandnamens verstecken, gerade weil sie allein vom Papier her wenig mit der Ursprungs- oder Erfolgsformation gemein haben, darf das neue QUEENSRŸCHE-Album als erstklassig betrachtet werden. Dennoch wäre die Veröffentlichung unter einem anderen Gruppennamen ehrlicher gewesen. Natürlich würde es dann heißen, sie klängen nach QUEENSRŸCHE, aber das wäre bei der eigenen Vorgeschichte selbstverständlich unvermeidbar. Und in dieser Band würden sie auch nicht mit den eigenen Klonen gleichgestellt, müssten sich jedoch im Zweifelsfall nur mit diesen messen. Denn mit dem Erbe der frühen QUEENSRŸCHE werden sie bei Fortführung des Namens niemals mithalten können.

Die, die weiter unter dem alten Bandnamen veröffentlichen, haben natürlich auch schon lange kein Werk dieser Klasse veröffentlicht. Sie leben von den längst vergangenen Zeiten und leben auch nur von dem Ruf dieser Zeiten. Großes, richtig essentielles haben sie selbst noch nicht vollbracht. Dies ist in gewissem Maße auch nachzuvollziehen, ist schließlich keiner der ehemaligen Hauptsongwriter von QUEENSRŸCHE mehr in der Band, auch nicht das Gesicht der Gruppe, nicht mehr ihr Sänger Geoff Tate und nicht mehr Gitarrist Chris DeGarmo. Wenn die wichtigsten Stellen einer Band nachbesetzt werden müssen, bleibt vom Ursprungsbild nicht viel übrig. Songwriter und Aushängeschilder sind nicht zu ersetzen. Außer man will auf ewig von der Nostalgie zehren und dem Bild einer Coverband nicht unähnlich entsprechen. Neben Chris DeGarmo und Geoff Tate hat sich aktuell vor den Aufnahmen zudem mit Scott Rockenfield das Schlagzeug-Urgestein verabschiedet. Die Verbliebenen Eddie Jackson und Michael Wilton setzen derweil weiterhin auf Ausnahmesänger Todd La Torre, der sich kurzerhand auch erfolgreich hinters Schlagzeug setzte, aber auf ewig im Schatten seines Vorgängers singen wird.

Auffällig ist, dass viele der Kompositionen auf ´The Verdict´ keine Songs-aufwertenden Steigerungen erfahren. Würde das Quartett nicht zielgerichtet mit QUEENSRŸCHE-Trademarks spielen, wären die Lieder von geringerem Wert. Ohne diese wären viele Lieder von schlichter Gewöhnlichkeit geprägt. Dazu gehören ´Light-years’ oder ´Inside Out´. Die Songideen scheinen zwar in ehemaliger Größenanschauung konzipiert, gehen gleichwohl nicht im Klassiker-Status auf. Und nichts anderes darf bei dem Gruppennamen QUEENSRŸCHE erwartet werden. Das kraftvolle ´Man The Machine´ und ´Launder The Conscience´ sind dagegen einen Tick ausgereifter und ´Bent´ spielt mit wuchtvoller Dynamik, ehe sich der Song in Schönheit entfaltet. Zum melodischen Dahinschmelzen eignen sich ´Inner Unrest´ („and you dream, can you feel me“) und der melancholische Ausklang ´Portrait´ („the sky lost in grey, no light to find your way“). Den empirischen Wohlklang breiten ´Propaganda Fashion´ und die dunkle Schönheit ´Dark Reverie´ aus.

Was bleibt übrig, wenn sich der Tag seinem Ende zuneigt? Ein respektables und nicht aus der Sammlung wegzudenkendes Werk eines Quartetts, das sich QUEENSRŸCHE nennt, und in der Limited-Edition-Box eine Bonus-CD, einen Flaschenöffner und ein Patch offeriert. Merke: Murmeln schenken nur echte Legenden wie PINK FLOYD aus. Auf dem Bonus-Silberling befinden sich zwei Akustiksongaufnahmen aus 2018, ´I Dream In Infrared’ und mit einem spanischen Touch ´Open Road’, sowie drei gute Songs aus den ´Condition Hüman´-Sessions (´46′ North´, ´Mercury Rising’ und ´Espiritu Muerto´). Doch bitte nicht am Ende die Coversongs, ähem, Live-Aufnahmen von ´Queen Of The Reich’, ´En Force’, Prophecy’ und ´Eyes Of A Stranger´ anhören. Die eklatante Steigerung der musikalischen Güte treibt andernfalls Freudentränen in die Augen.

(8 Punkte)

Michael Haifl, 3.3.2019