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ICARUS WITCH – Goodbye Cruel World

~ 2018/2019 (Cleopatra Records) – Stil: US-Metal ~


Von den 2003 in Pittsburgh gegründeten ICARUS WITCH habe ich zwar die beiden ersten Veröffentlichungen, nämlich die EP ‚Roses On White Lace‘ und den Longplayer ‚Capture The Magic‘ aus dem Jahr 2005 im CD-Regal stehen, die Band dann aber  komplett aus den Augen verloren, obwohl sie weiterhin in schöner Regelmäßigkeit alle 2-3 Jahre neue Alben veröffentlicht haben. Für den neuesten Output hat sich die Band dann aber satte sechs Jahre Zeit gelassen, was sich jedoch angesichts der Qualität von ‚Goodbye Cruel World‘ gelohnt hat.

Allerdings hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen, denn aus den Anfangstagen ist nach mehreren Besetzungswechseln lediglich Bassist Jason Myers übrig geblieben. Auf diesem bereits Ende Oktober 2018 auf CD erschienenen Album sind erstmalig John Rice (u.a. SCORPION CHILD) am Schlagzeug und  Sänger Andrew D’Cagna, der einigen auch von seinem Soloprojekt IRONFLAME oder den sich in doomigeren Gefilden bewegenden BRIMSTONE COVEN bekannt sein könnte, zu hören. Komplettiert wird das Quartett auf dieser Scheibe durch den Gitarristen Quinn Lukas, der dieses Instrument auch bei den Auftritten von IRONFLAME bedient. Produziert (auf dem Cover steht pre-production assistance) wurde das Album von Neil Kernon, der dies in der Vergangenheit auch bereits für nicht ganz unbekannte Bands wie QUEENSRŸCHE, NEVERMORE, DOKKEN, oder JUDAS PRIEST getan hat. Das Mastering übernahm Erik Martensson, Sänger, Gitarrist und Mastermind der Schweden ECLIPSE. Also alles in allem schon mal überzeugende Referenzen, und das Ergebnis entspricht dann auch genau den Erwartungen, die man an solche Profis hat.

Musikalisch wird etwas zwischen melodischem Rock und US-Metal präsentiert und gleich das Titelstück zu Beginn des Albums macht dem Zuhörer deutlich, was ihn im Folgenden erwartet. Metallische Riffs, melodische Gitarrensoli und die weiche harmonische Stimme von Andrew, der weder zu hoch noch zu tief singt, immer gefühlvoll zu Werke geht und dabei seine Stimme dennoch sehr variabel einsetzt.

Eröffnet wird das Album mit dem Titelstück und wahrlich metallischen Klängen, die erst mit dem Einsetzen des Gesangs der Melodieführung des Stückes weichen. Dieser Opener hat wirklich alles, was ein gutes Lied benötigt: Eine solide, treibende und druckvolle Basis, die durch Schlagzeug und Bass gelegt werden, eine virtuose Gitarrenarbeit mit gefühlvoll gespielten Soli, eine über allem liegende warme und eindringliche Stimme, aber vor allem eine überzeugende und spannende Songstruktur. Und so geht es auch die nächsten zwei Stücke weiter. Es macht richtig Spaß zuzuhören, und die ersten drei Stücke sind auch im Nu vorbei. Dieser Eröffnungsdreier wird durch das kurze, arabisch angehauchte instrumentale Stück ‚Mirage‘ vom im Midtempo gehaltenen ‚Through Your Eyes‘ abgegrenzt, welches den Schlusspunkt einer nahezu perfekten A-Seite bildet und ebenfalls ein Highlight auf dieser Scheibe darstellt.

Die zweite Seite startet mit ‚The Flood‘, einem weiteren, dieses Mal aber mit annähernd fünf Minuten bedeutend längerem, Instrumentalstück. Ich habe nichts gegen Instrumentalstücke und dieses ist auch durchaus gelungen, jedoch muss an dieser Stelle die Frage erlaubt sein, ob bei einer Gesamtspielzeit von gerade mal knapp über 40 Minuten und mit einem begnadeten Sänger wie Andrew D’Cagna in seinen Reihen, eines der längsten Stücke auf dieser Scheibe wirklich ein Instrumentalstück sein muss? Sei es drum. Mit ‚Silence Of The Siren‘ beginnt der getragenere zweite Teil des Albums, wobei gerade dieses Stück meines Erachtens sogar einen epischen Touch aufweist und mich möglicherweise auch des Titels wegen vor allem beim Refrain an die Schweden SORCERER erinnert. ‚Possessed By You‘ reiht sich tempomäßig bei seinem Vorgänger ein, fällt aber im Vergleich zu den Stücken davor leicht ab, was vor allem an dem bei diesem Stück nicht ganz so variabel eingesetzten Gesang von Andrew liegt. Dies setzt sich dann auch bei der gefühlvollen Ballade ‚Antivenom‘ fort, in welcher sich Andrew die Gesangsarbeit mit Katharine Blake (u.a. MIRANDA SEX GARDEN) teilt, die bereits auf dem 2007er Album ‚Songs For The Lost‘ einen Gastauftritt hatte. Ich werde bei diesem Lied das Gefühl nicht ganz los, dass Andrew sich ein Stück weit zurück hält, um seine Partnerin nicht an die Wand zu singen. Das Gesangsduett wird von der  exzellenten Gitarrenarbeit Quinns getragen, der wieder mal  mehrere perfekt intonierte Soli darbietet, wobei ich mich nicht nur durch den kurzen Einsatz des Wah-Wah-Pedals an Hendrix-seelig erinnert fühle.
Das Album wird vom melodischen, wiederum sehr starken und ebenfalls im Midtempo gehaltenen ‚Until The Bitter End‘ abgeschlossen und hinterlässt wahrlich keinen bitteren Nachgeschmack.

Insbesondere die ersten drei Stücke mit ihrem druckvollen Charakter und ihrer Ohrwurmqualität machen Lust auf mehr und haben die höchste Punktzahl verdient. Leider können die Stücke auf der zweiten Seite, die insgesamt etwas getragener und melancholischer sind, dieses hohe Niveau nicht mehr ganz halten, wodurch insgesamt die Höchstnote verfehlt wird. Sicherlich wird es Leute geben, die das genau anders herum sehen, aber das hier ist ja schließlich meine Kritik (*grins*). Ich vergleiche nicht gerne eine Band mit einer anderen, da ja bekanntlich jeder Vergleich hinkt, aber da es für die musikalische Einordnung einer Band durchaus nützlich sein kann, springe ich mal über meinen Schatten. Am ehesten sind wohl Vergleiche mit den alten QUEENSRŸCHE, die oben bereits Erwähnung gefunden haben und mit denen ICARUS WITCH auch bereits gemeinsam auf Tour gewesen sind, angebracht. Hinken tut in diesem Fall Geoff Tate, oder besser der Vergleich beider Gesangsstimmen, denn Andrew erreicht auf dieser Scheibe stimmlich nicht die schwindelerregenden Höhen vom alten, oder eigentlich korrekter, jungen Geoff (Quod erat demonstrandum @ MA IX – Anm. d. Red.)

Es bleibt zu hoffen, dass uns die Band in dieser Formation erhalten bleibt und fleißig weiter Stücke schreibt, damit wir auf den nächsten Output nur ein bis zwei, und nicht wieder sechs Jahre warten müssen.
In die Bewertung fließt nicht ein, dass Cleopatra Records die Vinylversion doch eher spärlich gehalten hat. Es wurde nicht einmal ein Beileger mit Texten spendiert…und das bei einem Preis von 27$. Hierzu ein Zitat von Jason Myers: „We did design an insert with lyrics and photos but the label did not print on this run.“ War dem Label wohl mit Beileger zu teuer. Ja, bei einer 100er Auflage schlagen die Fixkosten zu buche und die einzelne Platte kann wohl nicht günstiger produziert werden. Aber wieso hat man nicht mindestens 300 hergestellt? Ich vermute, dass von den 100 bestimmt 90 nach Europa und Japan wandern werden, und das hätten vermutlich auch 290 geschafft.

Vinyl und CD können auf der Bandcamp-Seite der Band,
https://icaruswitch.bandcamp.com/album/goodbye-cruel-world
oder beim Label
https://cleorecs.com/store/
bezogen werden.

(9 Punkte)