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HEXVESSEL – All Tree

~ 2019 (Century Media) – Stil: Folk / Twilight Folk ~


Das kennen sicher noch andere Musik-Fans: Irgendwo ist von einer Band, einem Album zu lesen. Klingt gut, ist einer der Gedanken, gefolgt von: Das muss auf die Merkliste. Und dort rutscht das, was behalten werden sollte, immer weiter nach unten. Bis der Zufall nachhilft. Neues Material kommt auf die Ohren und der Hörer wird schier umgeblasen. So ein Fall sollten die Finnen HEXVESSEL sein, die am 15. Februar ihr viertes ´Album All Tree´ vorlegen.

Akustisch geprägter Folk Rock, voller Naturmystik und Romantik schleicht, liebkost, schmeichelt sich ins Ohr und will nicht mehr raus. Die prinzipiell betörende Musik wird immer wieder von leisen Hintergrundgeräuschen gestört, die die Aufmerksamkeit des Hörers einfordern. Obwohl stilistisch nicht vergleichbar, empfindet der Rezensent eine gewisse Verwandtschaft zu einer anderen zuletzt entdeckten Band, VANDERLINDE. Bei beiden Gruppen ist eine gewisse Unaufgeregtheit und innere Ruhe zu entdecken.

Eröffnet wird die vorliegende Scheibe mit dem viel zu kurzen Miniatur-Choral ´Blessing´, der so auch schon in der Renaissance gesungen worden sein könnte. Diese Einleitung führt hin zu ´Son Of The Sky´, ein fast schon cineastisch anmutendes Stück Liedgut. Der Quasi-Titelsong ´Old Tree´ berichtet im Balladenton von dem alten Baum, dessen Zeit abgelaufen ist. Die weinende Geige und die melancholische Stimmung machen die Trauer um die verlorene Magie spürbar. Auch in ´Changeling´ herrscht dieser traurige Ton, ehe er zum Schluss bei den Worten „Come back home“ in Hoffnung und Zuversicht umschlägt. Dramatik und Pathos herrschen in ´Ancient Astronaut´ vor. Hier besonders hervorzuheben ist das wundervolle zweistimmige Gitarrensolo, welches leider viel zu schnell vorüber ist. ´Vision Of A.O.S.´ ist ein düsteres instrumentales Zwischenstück, das hinführt zu ´A Sylvan Sign´, dem mit sechs Minuten längsten Lied des Albums. Mit Vogelgezwitscher unterlegt, werden die Geister des Waldes beschworen.

Viele Ballettschulen im Land geben einmal im Jahr ihren Schülern die Möglichkeit, ihr Können bei einer Aufführung zu zeigen. Eine Mannheimer Schule ist unter englischer Leitung, deshalb ist dort der abschließende Programmpunkt ein englischer Folkloretanz. Dort wäre ´Wilderness Spirit´ sehr gut aufgehoben, ein Stück, welches die Füße von selbst in Bewegung versetzt. Mit ´Otherworld Envoy´ folgt ein etwas unauffälliges Instrumental. Dafür ist ´Birthmark´ wieder ein Höhepunkt. Weniger Folk als sonst liegt hier eine fast psychedelische Ballade vor, die sehr stark an THE MOODY BLUES erinnert. Das knapp zweiminütige Instrumental ´Journey To Carnac´ lebt vom Zusammenspiel rhythmisch pointierter Akustikgitarren. ´Liminal Night´ hingegen, langsam „walzernd“, gibt den Soundtrack eines kleinen Gruselfilms ab. Das traurig melancholische ´Closing Circles´ schließt eine wunderbare Platte ab.

Dieses Album steht ohne Zweifel in der Tradition der Balladensänger des Mittelalters und ihren Nachfolgern bis in die Moderne, wie STEELEYE SPAN oder FAIRPORT CONVENTION. Es werden okkulte Inhalte verwoben, mit Elementen finnischer und britischer Folklore. Eigentlich altmodische Musik wird in die Moderne übersetzt, ohne dass der Charme des Alten verloren geht.

(9,5 Punkte)

Mario Wolski

 

 

Gleich weiterspringen zur nächsten Kritik dürfen alle, die keinerlei Entschleunigungsmomente im Leben vertragen. Die neue HEXVESSEL ist nochmals ruhiger geworden, bietet aber natürlich einen Strauß schimmernder und glimmernder Folkweisen. Bei der unwiderstehlichen Atmosphäre scheint man im Ansatz weiterhin dem selben Age entsprungen zu sein wie noch viel unbekanntere 90er Kult Bands der Marke HUMAN DRAMA oder HEMLOCK. Auf der anderen Seite ist der Stoff mittlerweile so eingängig, dass ich keinen Grund sehe, warum hier nicht auch Fans von etwa MUMFORD & SONS & Co Gefallen finden sollten.

Gemütlich bewegt man sich durch unendliche finnische Wälder. Auf den Rücken gepackt das sechseckige Faltboot mit dem man zwischendrin einige der 1.000 Seen überqueren muss. Spürt ihr den ´Wilderness Spirit´? Die ´Liminal Night´ ist noch lang und kalt. Doch fürchtet euch nicht zu sehr vor dem Flackern über den Baumwipfeln, vielleicht sind es nur Nordlichter und kein ´Sylvan Sign´. Ansonsten wird der ´Son Of The Sky´ über euch wachen. Die wilden Tiere sind in der Ferne bereits beruhigt eingeschlafen als Wandergitarren, Violinen und Flöten am nächtlichen Lagerfeuer zum Einsatz kamen.

Neben dem schon erwähnten ´Son Of The Sky´ ist ´Birthmark´ dabei mein Favorit. Ein wunderschönes Album, dem aber am Ende vielleicht der ein oder andere Ausbruch noch gut getan hätte. Das 2012er ´No Holier Temple´ bleibt halt sowieso unerreicht. Trotzdem erst mal ab mit dem neuen Album vor einen Kamin. Die finnischen Wälder könnt ihr auch noch in der nächsten Pilzsaison bereisen.

(7,5 Punkte)

Markus gps