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DIE ÄRZTE – Seitenhirsch (Folge 1.1)

~ 1978 – 1985 – El Cattivo

Du kannst gehn, aber deine Kopfhaut bleibt hier ~


 

 

 

Die Anfänge & 1983

(Vorspann siehe hier) – Der erste Silberling handelt die anfänglichen Gehversuche der ÄRZTE ab. Er enthält die sechs Songs der ´Fleisch´-EP von SOILENT GRÜN aus dem Jahre 1982. Schriller Punkgesang (´Wir Kommen´), lässt bereits einen Sinn für Humor (´FDJ-Punx´ für die Freunde jenseits der Mauer), der vor Nichts haltmacht („jeder braucht mal ´Sodomie´“ und „´Erwin´ hat keine Arme und Beine“) sowie die Vermischung musikalischer Stile erkennen (´Romantik´), den weiteren Weg jedoch nur erahnen – alles innerhalb von 120 Minuten auf ein Acht-Spur-Tape gebannt. Eine Kassettenrekorder-Aufnahme von Farin Urlaubs früher Komposition ´Der Lustige Astronaut´ aus dem Jahre 1978 eröffnet die gesamte Werkschau.

Das erste Konzert geben DIE ÄRZTE im September 1982 in Kreuzberg, in einem besetzten Haus. Bassist Sahnie, 1964 als Hans Runge geboren, spielte zuvor von 1981 bei der Band FRAU SUURBIER. Er findet seinen Künstlernamen beim Sahnebonbon, da zu jener Zeit der TOTEN HOSEN-Sänger Campino mit den gleichnamigen Bonbons um sich warf. Sahnie unterstützte nämlich 1982 Campino und Andreas von Holst von den TOTEN HOSEN bei mehreren Songaufnahmen. Zu den ÄRZTEN kommt er, weil er angeblich einen Übungsraum, ein Aufnahmegerät und einen VW-Bus organiseren kann.

 

Das Publikum der Ärzte, 1982

 

Dann nehmen DIE ÄRZTE ihre erste Mini-LP auf. Die Vier-Track-EP ´Zu schön, um wahr zu sein´ enthält die Bandklassiker ´Grace Kelly´, der den ersten Eklat provoziert, weil kurz nach dem Tod der monegassischen Prinzessin veröffentlicht, und ´Teenagerliebe´, auf den Spuren von DION AND THE BELMONTS. Der ´Teddybär´ entsteht aus einer Kindheitserinnerung und ´Anneliese Schmidt´ offenbart in seiner schlichten Erzählweise erst am Ende den makabren Humor der Formation.

 

Das war so das Genre „Lagerfeuermusik für Bescheuerte“, fanden aber alle super.  (Farin)

 

Die Studioaufnahme ´Eva Braun´ für die BBC-Sendung „The Tube“ belegt ihre Respektlosigkeit selbst gegenüber der dunklen Geschichte Deutschlands. Die aus dem Hintergrund zu hörenden „Heil“-Gesänge könnten von den Legionären aus der berühmten „Schwanzus-Longus“-Szene eines noch bekannteren Monty Python-Films stammen. Live spielen die ÄRZTE das brillante Lied jedoch, als die ersten verirrten Fachos auftauchen, bald nicht mehr.

Aus der Kompilation ´Ein Vollrausch in Stereo – 20 schäumende Stimmungshits´ finden sich neben dem Semi-Classic vom teuren ´Zitroneneis´ noch Farins Song über seine Vorliebe für ´Vollmilch´ („du trinkst Whiskey, er trinkt Bier und ich trink Vollmilch“) sowie der links-rechts ´Bäcker´ ein. Auf dieser Zusammenstellung sind auch die PANZERKNACKER AG, die DEUTSCHE TRINKER JUGEND sowie die TANGOBRÜDER, einem Projekt von Sahnie mit den TOTEN HOSEN-Boys Campino, von Holst und Wolfgang Rohde.

 

Milch, bei Die Ärzte, Düsseldorf 22.10.1983

 

Aus einem „Unikum-Tapesampler“ aus 1983 hören wir den Klassiker ´Claudia hat ’nen Schäferhund´, aus einem weiteren Sampler, ´Pesthauch des Dschungels´ (1984), drei Songs, bei denen DIE ÄRZTE als DIE ULKIGEN PULKIGEN auftreten. Ein kurzes Nebenprojekt aus Langeweile.

Ein weiterer Demo-Song (´Verlierer müssen leiden´) und eine kurze NENA a-capella-Coverversion (´Nur geträumt´) aus einer Radioshow kommen zu Gehör, letztlich auch das zweite Mini-Album ´Uns geht’s prima…´ von 1984. Dieses wurde zum Teil von dem Preisgeld eines Rock-Wettbewerbs des Berliner Senats finanziert. Es enthält ´Teenager Liebe´ und ´Der lustige Astronaut´ in neuen Versionen sowie den Western-Song ´Kopfhaut´. Ihre dem Pop entliehenen Melodien schimmern mittlerweile längst aus den Kompositionen hervor.

 

Eine Stunde standen wir zwischen den Plattenregalen herum und hörten die Lautsprecherdurchsagen, die uns ankündigten. Aber niemand kam. (Bela)

 

Ein selbstredend mit irrsinnigen Antworten gespicktes, allererstes Radio-Interview mit Helmut Lehnert vom SF Berlin und das im SFB-Studio aufgenommene ´Gib mir nichts´ runden den ersten Silberling ab.

Auf die Frage, warum sie nun Pop anstatt Punk spielen würden, antworten sie, dass die Fans dadurch erst jetzt die Möglichkeit hätten, sie auf der Bühne anzuspucken, und nicht sie selbst im Punk-Stil ihre Anhänger.

(Klassikeralarm)

 

(zur nächsten Folge)

 


Pics: Richard Gleim, ar/gee gleim