~ 2018 (SpectreVision/Umedia/Legion M/Piccadilly Pictures/Wallimage/XYZ Films)
– Buch und Regie: Cosmas Panatos ~


Kein Musikfilm. Kein Konzertfilm. Nicht einmal ein Film mit einem Soundtrack aus Songs bekannter Bands – außer dem programmatischen Eingangstitel, KING CRIMSONs ‘Starless’ von ihrem siebten Album ‘Red’, stammt die kongeniale, oft an ‘Drive’ erinnernde Filmmusik vom isländischen Komponisten und Filmemacher Jóhann Jóhannsson, der wie schicksalshaft noch vor seiner Vollendung an einer Überdosis Kokain starb, sowie Milky Burgess, dessen (aus dem Film hervorgegangener Bandcamp-Hit) ‘Amulet Of The Weeping Maze’ nicht nur Interpret Jeremiah Sand zum Verhängnis wird…Musik spielt zwar eine gewichtige Rolle, kommt gegen die gigantischen, absolut übermächtigen Bilder jedoch nicht an. Wieso dann eine Kritik dazu hier?

 

Old friend charity
Cruel twisted smile
And the smile signals emptiness
For me
Starless and bible black
(KING CRIMSON, ´Starless´)

 

Ich nehme es vorweg – dieser Film ist extremer Metal interpretiert, visualisiert, und als erzählerisches Mittel auf die Leinwand gebannt. Er spielt mit einer Symbolik, die sich dem uneingeweihten Zuschauer auf der Inhaltsebene erschließen mag, dem Fan jedoch ein Universum an Deutungen eröffnet – seien es Mandys Shirts (BLACK SABBATH und vor allem MÖTLEY CRÜEs ‘Shout At The Devil’, das später noch eine ganz spezielle Bedeutung erlangen wird…), Reds/Nicolas Cages selbst geschmiedete Waffe “The Beast”, geformt nach dem „F“ des CELTIC FROST-Schriftzuges, das schwarzmetallische Filmlogo, die durch den Vocoder gejagten, nach Rückwärtsvocals klingenden Zombiestimmen oder eben auch eine brennende Stabkirche…ständig gibt es zu all den filmischen Referenzen pure Metal-Anspielungen zu entdecken und sich darüber zu freuen. Und nicht umsonst sagt Regisseur Panos Cosmatos über sein Zweitwerk: „Wenn [Beyond the Black Rainbow] ein PINK FLOYD-Album war, dann wird [Mandy] eher ein SLAYER-Album“.

 

 

Da ich jedem Filmfreak nahelegen möchte, dieses Lovestory-Horror-Gore-Meisterwerk mit dem Zeug zum neuen Kultfilm zu genießen (ich selbst habe ihn in deutscher Übersetzung und danach nochmals in Originalfassung gesehen, und rate zu letzterer) werde ich den kompletten Inhalt nicht verraten, mir jedoch im Folgenden ein paar Anmerkungen zur Orientierung erlauben:

1983 haben zwei Aussenseiter und unausgesprochen vom Leben gezeichnete (Mandys Narbe unter ihrem linken Auge hat ebenfalls Ähnlichkeit mit “The Beast” – oder auch einem umgedrehten Kreuz…) ihr gemeinsames Glück in den naturnahen, dichten Wäldern des Pacific Northwest gefunden. Abgeschieden von der Zivilisation leben Red Miller und Mandy Bloom in einem Haus, das wie ein Raumschiff am Crystal Lake freien Blick ins Universum, einem Fluchtort beider, bietet. Wenn er per Hubschrauber seinen Arbeitsplatz als Holzfäller verlässt, erinnert das an die einschlägigen Vietnamfilme, er lehnt das Bier seiner Kollegen ab, will nur so schnell wie möglich heim zu seiner Geliebten, in eine friedvolle Zweisamkeit, die fast ohne Worte auskommt – wie generell der ganze, sehr ruhige Film von Bildern und nicht von Dialogen lebt – und wie bereits angedeutet von einem mächtigen Soundtrack, der Gefühle transportiert wie sie so bisher noch nicht zu hören waren.

 

 

Die beiden haben sich in ihrer transzendenten, drogenunterstützten Welt gemütlich eingerichtet, Mandy mit den riesigen Augen und noch grösseren Pupillen arbeitet an der örtlichen Tankstelle und hat genügend Zeit zum Lesen von Fantasyliteratur, zum Streifen durch eine pralle, fast urwaldartige Natur und zum Zeichnen phantastischer Wesen, ihrer großen Passion. Ihr gemeinsames Idyll wird jedoch durch das plötzliche Auftauchen einer pseudochristlichen Sekte, deren Mansonesker Anführer Jeremiah der scheuen, von Andrea Riseborough verkörperten kindlich-unschuldigen Hippieschönheit verfällt, im Wortsinn auf den Kopf gestellt und auf barbarischste Weise zerstört. Die zweite Hälfte des Films ist dann ein absolut surrealer Rachefeldzeug Reds, in dem dieselbe Farbe endgültig die Oberhand gewinnt –
Meere von Blut und Feuer, ein scharlachroter Himmel, ungezügelter, LSD-befeuerter Wahnsinn. Jeder stirbt den zu ihm passenden Tod – wer beispielsweise nichts im Kopf hat, bekommt diesen eben mithilfe von „The Beast“ gefüllt…Horror mit einer teilweise so absurden Schlagseite, dass auch Lachen im Kino erlaubt ist, und ebenso nötig, um die Spannung zumindest zeitweise abzuschütteln. Denn reales Grauen findet auf ganz anderer Ebene statt – in leisen Tränen, tonlosen Schreien, dem sich hoffnungslos Ergeben in die kaum aushaltbare Situation…oder auch in den hochintensiven Minuten von Reds desinfizierendem Nervenzusammenbruch, einer Glanzleistung von Cage. Gerade hier sieht man, wie ein Regisseur mit eigener Vision auch mit kleinem Budget Schauspieler zu Höchstleistungen anspornen kann.

 

 

Das zentrale Thema des Films und das, wogegen Red im Endeffekt kämpft, ist jedoch eines der Hauptprobleme der Menschheit, das gerade in unserer Zeit, ganz aktuell nochmals deutlich an Gewicht gewonnen hat – nämlich völlig übersteigerter und ungezügelter männlicher Narzissmus, unter dem die ganze Welt zu leiden hat. Mandys Schicksal ist in dem Moment besiegelt, als sie für sich selbst die Opferrolle ablehnt, die alle sonst beteiligten Frauen (wie auch die anderen Männer) auf ihre jeweilige Weise verinnerlicht haben. Sie durchschaut die Fassade, das pathetische und manipulative Kartenhaus männlicher Unsicherheit, das der verkrachte Sangesbarde und Sektenführer um sein minderwertiges Ego aufgebaut hat, und mit dem er seine Jünger ver- und hinters Licht führt, und in bedrückender Abhängigkeit hält. Andererseits bietet er ihnen in dieser Konstellation auch die Möglichkeit, ihre unmenschlichsten Grausamkeiten auszuleben – „Crazy Evil“, wie es Red formuliert. “Homo Homini Lupus” wäre in diesem Fall eine Beleidigung des armen Isegrimm…wozu Menschen an Sadismus und Gewalttätigkeit untereinander fähig sind, übersteigt jegliche Vorstellung. ‘Starless and Bible black’…

Nur eine wird schließlich verschont, die Inkarnation des weiblichen Opfers, des reinen Lamms, der man ein paar weitere, Bewusstseins-erweiternde Entwicklungsschritte wünscht, jedoch nicht wirklich zutraut…

 

Für all dies findet Cosmatos grandiose, lange nachwirkende Symbole und Bilder (erinnert Euch hinterher an die diversen Tiger!), und man glaubt ihm gerne, dass er die Idee zu diesem Film seit zehn Jahren mit sich herumgetragen und entwickelt hat. Fast genauso lang nachhallen tun dagegen die brachialen Riffs, die SUNN O))) ‘s Stephen O’Malley gerade in den letzten Stücken produziert, Titel wie ‘Temple’ oder ‘Burning Church’ sind purer, schlammiger Doom, Pitch Black Sabbath meets Deepest Drone, und entwickeln zum Ende des Films einen wahren musikalischen Sog in die vor uns abgebildete Hölle. Und damit schließt sich der Kreis – wer Metal einmal nicht (nur) hören, sondern auf eine ganz neue Weise sehen will, kann sich diesen neuen Kultfilm einfach nicht entgehen lassen.

Er ist auf DVD und BlueRay bereits zu erhalten.

 

When I die,
Bury me deep,
Lay two speakers at my feet
Put some headphones
  Around my head
And rock and roll me
When I’m dead

 

Die Eingangsworte dieses Meisterwerks sollen den Schluss bilden. Es sind die letzten des am 20.04.2005 per Injektion in Texas hingerichteten Mörders Douglas Roberts.