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ULTHA – The Inextricable Wandering

~ 2018 (Century Media) – Stil: Black Metal ~


Unzugänglich und hypnotisch zugleich. Verwirrend und faszinierend. Abweisend, verstörend und einlullend – die langerwartete, dritte ULTHA macht es dem Hörer ebenso schwer wie leicht. Alle eben genannten Reaktionen sind Emotionen – und ausschließlich darum geht es hier. Die Kölner spielen nicht mit unseren Gefühlen, denn da ist jeder für sich selbst verantwortlich. Auf ´The Inextricable Wandering´ spielen sie ihre Gefühle, und zwar vor allem eines, die Grundemotion unserer Zeit: die Angst.

Diese jedem bekannte innere Enge und Bedrängnis, die überfallartig zu einer einschnürenden, lähmenden Panik auswachsen kann, wird heutzutage durch die Medien, allen voran im Internet, gesteuert, ja angefeuert, und hat sich durch ihre hohe Infektiosität in unserem Alltag breitgemacht wie ein uneingeladener Gast, bei dem sich trotzdem keiner traut, ihm die Tür zu weisen. Was jedoch nicht grundsätzlich verkehrt ist, denn sie hat stets eine Botschaft an uns: sie warnt uns, sie macht uns wachsam und schnell, dient unserem Überleben. Wenn sie jedoch überhandnimmt, Eigendynamik entwickelt wie in unserer heutigen „Angstgesellschaft“, wird sie lebensbedrohlich – für uns wie für andere, ein irreales Monster, das die Luft zum Atmen nimmt.

We were the ones we needed to heal,
to retrace our love from broken seals,
to establish trust from passion shown,
where fear aligned to sorrow grown.

Wie funktioniert nun eine Platte zu diesem Thema? Auf zwei Ebenen: nennen wir die erste einfach mal „konsumieren“, gleichbedeutend mit dem Hören unterwegs, nebenbei, zur Ablenkung, um etwas Neues zu entdecken oder auch der songschreiberischen und instrumentalen Technik und Inspiration wegen. Ein solcher Hörer wird sich über sechs hochdynamische, perfekt ausgewogene, mächtige und gehaltvolle Lieder freuen, und die diversen stilistischen Neuerungen wahrnehmen, die die ureigene Handschrift des (nun wieder) Quartetts weiterentwickeln. Es werden ihm unmerklich die melodiebildenden repetitiven Riffs im Ohr hängen bleiben wie sonst bei anderen Bands die Gesangslinien, und er wird vielleicht gar nicht merken, dass hier sogar zwei Personen die ganz verschiedenartigen Vocals, nämlich ein schrilles Schreien (Chris Noir) sowie ein sprechendes Brüllen (Ralph Schmidt) bedienen, so sehr sind diese oft in die Reihe der anderen Instrumente zurückgetreten.

Er wird weiterhin die Arrangements sowie die nur (kon-)genial zu nennende Produktion loben, die in einem ständigen, organischen An- und Abschwellen jedem Akteur in diesem Klangverbund den in diesem Moment richtigen Platz zuweist. Sein Unterbewusstsein mag auf die von diesem Werk ausgehende Düsternis und latente Bedrohung mit Verunsicherung reagieren, aber das wird einen Hörgenuss auf der rein kognitiven Ebene kaum trüben.

 

 

Die zweite Ebene jedoch, sie sei hier „sich einlassen“ genannt, erfordert einiges an Zeit, Konzentration und Mut, belohnt dafür jedoch mit einer verlässlich reproduzierbaren Glückserfahrung, die sich mit jedem bewusst erlebten Durchlauf noch weiter steigert. Die Komplexität der hier dargebotenen Stücke ist kaum noch zu toppen, die oben erwähnten so prägnanten wie verschwimmenden, immer wiederkehrenden Melodielinien werden wie die Motive einer klassischen Komposition von Gitarren und Bass entwickelt, nehmen als einzelne, wohlgesetzte Akkorde ihren vollen Raum ein (´The Avarist (Eyes Of A Tragedy)´, das später in ein „Hummelflug“-artiges, dissonantes Flirren übergeht), oder beginnen leise im Hintergrund und kommen gleich darauf mit einer inneren Dringlichkeit zu voller Entfaltung, um vom Keyboard weitergesponnen, minimal abgewandelt und schließlich sogar vom Schlagzeug wiederaufgenommen und akzentuiert zu werden; gleichzeitig haben die Gitarren wellenförmig schon wieder neue oder bereits bekannte Riffs nach vorne gebracht und ein neues Spiel beginnt, jedes Mal nimmt der aufmerksame Hörer neue Details und Windungen in diesem hypnotischen Werden und Vergehen wahr, in dem alles aufeinander aufbaut, um sofort wieder zu Staub zu zerfallen.

So bring your chains, your lips of tragedy
And see the walls come tumbling down inside of me.
Forget everyone and remain.

Oder zerschlagen zu werden? Manuel Schaubs Schlagzeugarbeit ist unmenschlich präzise und gleichzeitig außerweltlich schnell gespielt. Er produziert Momente absoluter Klarheit und Ruhe (wie in der zweiten Hälfte von ´Cyanide Lips´) ebenso wie entfesselt-aggressive Raserei, was mich zu meinem absoluten Favoriten dieses Albums bringt: ´With Knives To The Throat And Hell In Your Heart´ sind zehn Minuten und sechsundzwanzig Sekunden schwärzester und mächtigster Black Metal, zu Beginn gewoben aus tiefster Verzweiflung, Depression und Bedrängnis, um ab dem Ende des ersten Drittels die unzerstörbare Kraft und makellose Schönheit wiederzufinden, die tief in einem jedem von uns verborgen schlummert und gerade durch mentale Grenzerfahrungen an die Oberfläche gebracht wird. Das Ende ist melancholisch, aber auch hoffnungsvoll und versöhnlich, ein Song wie eine Reise in die tiefsten Abgründe der Seele und wieder zurück. Dass hierauf nur ein sehr ruhiges, rein elektronisches Interludium (´There Is No Love, High Up In The Gallows´) folgen kann, ist verständlich, Erholung, Atem holen tut not.

Penance, perish, congregation.
Penance, perish, beyond salvation.
Restless, abyssic. Sitting, waiting.
Staring, seething.
Asleep in the daze of days.

Andy Rosczyk zaubert in diesem Stück genauso wie auf der gesamten, im bandeigenen Goblin Sound Studio aufgenommenen Platte eine dichte, vibrierende Atmosphäre, die wie aufgeladen ist durch eine latente Anspannung, deren Auflösung der Hörer herbeisehnt, die jedoch selten erfüllt wird. Denn das auf die Spitze getriebene Spiel der Wiederholung zwischen Keyboards und Gitarren/Bass ist die Energie, die diesen Kosmos füttert, und Ralph Schmidt ist die zentrale Figur im Ulthaversum. Man sagt, dass die größten Alben immer eine gewisse Melancholie in sich tragen, dass aus Schmerz Größe entsteht. Hoffen wir für ihn, dass er für weitere Veröffentlichungen nicht noch einmal durch seine persönliche Hölle gehen muss, was notwendig war, um diese 66:16 Minuten absoluter Schwärze zu erschaffen.

Armed to the teeth with doubt and frustration,
We only speak in darkness.

Gibt es sonstiges Leben in diesem Gravitationsfeld? Vergleiche mit anderen Bands verbieten sich zwar nicht, sind aber auch nicht zweckdienlich, da ULTHA sich einen ganz eigenen musikalischen wie ästhetischen Raum erschaffen haben. Die Einflüsse aus den 90ern, vom Dark Wave und Noise Rock sind deutlicher geworden (die Platte wurde von Michael Schwabe, Monoposto Mastering, der auch für Einstürzende Neubauten, Phillip Boa and The Voodooclub und Doro gearbeitet hat, gemastert) , aber auch der (Thrash) Metal dieser Zeit hinterlässt Spuren. ´I’m Afraid To Follow You There´, der letzte Song destilliert die Essenz dieser ganzen Platte zu einem achtzehnminütigen Monument – auf Augenhöhe mit TRIPTYKONs ´The Prolonging´ mag er zukünftig möglicherweise ´Fear Lights The Path…´ als abschliessenden Song der Live-Sets ablösen.

Die aus der DIY-Bewegung hervorgegangen Kölner haben auch nach ihrem Wechsel zu Century Media ihre Wurzeln und die Unterstützung der Szene nicht vergessen, und so wird das silberne Vinyl weiterhin von Vendetta Records herausgegeben. Schon jetzt, wenige Wochen vor VÖ, sind einige Sonderausgaben ausverkauft, Sammler sollten sich also ranhalten, wenn sie diese Ausnahmescheibe in der Farbe ihrer Wahl ergattern wollen.

 

 

ULTHA haben mit dieser Platte, die so ganz anders als ihre beiden Vorgänger, und doch so sehr ihr Innerstes ist, einen riesigen Schritt nach vorne getan, ohne sich in irgendeiner Weise anzupassen, ganz im Gegenteil. ´The Inextricable Wandering´ ist ein Ausrufezeichen ohne Punkt. Sie erfüllt keine Erwartungen. Sie bestätigt keine Vorurteile. Sie steht für sich allein.

Klassiker.

10 Points for:

Making     Every     Promise              – Fulfilled.

 

 

 

templeofultha.com

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(VÖ: 05.10.2018)

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