Redebedarf

PUNK – Im Fokus der Kamera von ar/gee

 ~ Ein Interview mit Richard Gleim ~


Kürzlich durften wir Euch den fantastischen Bildband „ZK – DIE TOTEN HOSEN die frühen Jahre 1980–1983“ vorstellen (siehe hier). Die Bilder stammen alle aus dem Archiv von Richard Gleim, der zu Hochzeiten des Punk unter dem Kürzel „ar/gee“ zum Szene-Fotografen wurde. 

Richard, was ist Punk?

Punk ist ein seit etwa 1500 benutzter Begriff für Unnützes, Dreck, Abfall, (bei Shakespeare) später auch für Nutten*. Er tauchte in den 60er-70er Jahren in den USA wieder auf und bezeichnete rohe Musik und eine nahezu Alles verneinende Haltung.

Das schwappte rüber nach UK, wo clevere Geschäftsleute bestimmte rohe Musikbands darunter subsummierten und eine Mode daraus kreierten. In Deutschland hatte diese den Engländern entlehnte Musik nur ein paar Jahre am Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Was blieb, war die Erkenntnis, dass man nicht auf die großen anglo-amerikanischen Konzerne angewiesen war, sondern sein eignes Ding machen konnte. Hieraus entwickelte sich eine eigenständige, vielfältige und interessante Musikszene voller Kreativität, worunter auch die elektronische Musik fällt.

(* Das englische Wort Punk umschreibt in seiner Bedeutung faulendes Holz, etwas Wert- und Nutzloses, das möglicherweise nur als Zunder herhalten kann. Erstmals ist es im Jahr 1596 dokumentiert und wurde kurze Zeit später von William Shakespeare für eine Prostituierte verwendet: „My lord, she may be a punk; for many of them are neither maid, widow, nor wife.“)

Was macht einen Punker aus, heute und 1980?

Das weiß ich nicht.

Ich kenne heute keine Punker. Wer sich heute als Punk bezeichnet ist ein elender Hippie. Ein Unterschied von Punk und Hippie ist, dass der Punk die Verantwortung für sein Handeln übernommen hat, während bei einem 70er-Jahre-Hippie immer die anderen schuld sind. Die 68er und Punk waren sich da wesentlich näher.

Ist es nur eine jugendliche Phase, Punk zu sein?

Nein. Wenn man Punk weit fasst, ist es eine Haltung, eine Haltung, die vor allem darin besteht, mutig zu sein, den Affenzirkus um einen herum öffentlich zu entlarven und Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

 

Punk

 

Wie prägend war für dich deine Jugend in den 1950ern?

Schwer zu sagen. Eine wesentliche Prägung überkam mich während der Bombennacht im November 1944, bei der das halbe Haus hinweg gefegt wurde und dann das Glück, vier Jahre lang auf einem Bauernhof aufzuwachsen und später zurück in der Stadt in den Ruinen, den Schuttbergen und verwilderten Gärten spielen zu können. Die 50er Jahre waren dann eine Qual. Ich war auf einem staatlichen Gymnasium, welches sich zur Aufgabe machte, die künftige Elite Deutschlands heran zu züchten. Was dort als Elite galt, war sooo erbärmlich, so kleinkariert und so eng, dass wir heute immer noch solche Auswirkungen spüren.

Hast du dich bereits als Kind für die Fotografie interessiert?

Nein, aber für Bilder. Meine Starfächer in der Schule waren Kunst, Musik und Deutsch. Überall eine glatte 1.

Wann hast du das erste Mal eine Kamera in der Hand gehalten und wann die Erste als dein Eigen bezeichnen können?

Mit 10 Jahren, beides eine Agfa-Kamera mit Balg im Format 6cm x 9cm. Habe damit aber kaum Fotos gemacht. Meine erste richtige Kamera, eine, die ich selbst gekauft habe, war eine Voigtländer Vitessa mit einem 9-linsigen Objektiv.

Zivildienst wurde, glaube ich, 1961 eingeführt. Warst du bei der Bundeswehr oder konntest du verweigern?

Nie wieder Krieg! Das stand fest. Ich war entsetzt, als Adenauer wieder ein deutsches Heer einführte. Da konnte ich auf keinen Fall mitmachen. Verweigern war damals schwierig. Man wurde Verhören ausgesetzt und unterlag allzu oft. Ich befolgte eine andere Strategie: Ich fraß mich rund und dick und lebte Wochen lang höchst ungesund und mit kaum Schlaf, habe mich also zur Ruine gemacht. Die untersuchenden Ärzte haben mich nicht mal in die Knie gehen lassen, weil sie Angst hatten, dass ich von dort nicht mehr hoch käme. Dabei habe ich denen erzählt, dass ich Pilot werden wollte. – Untauglich.

Mit 22 Jahren sollte man damals verheiratet sein, hast du dich daran gehalten?

Das galt für Mädchen, für Jungs waren es 25 Jahre. Dass ich mal heiraten werde, stand für mich fest. Als ich dann 25 war und alle Tanten auf mich einredeten, doch endlich zu heiraten, war für mich der Zug abgefahren. Das mit dem Heiraten schien mir als alte Sitte, eine reine Formalie, ein gesellschaftliches Muss. Und solche „Muss“ mochte ich schon damals nicht.

 

Richard Gleim

 

Ein erstes Auflehnen gegen die Gesellschaft?

Ich meine, der Begriff Gesellschaft war nicht im üblichen Sprachgebrauch. Also lehnte man sich auch nicht gegen so ein Abstraktum auf. Es ging um konkrete Umstände und Personen. Wenn ich mich recht erinnere, war ich schon im zarten Alter von drei Jahren mit Vielen und Vielem nicht einverstanden und machte das auch deutlich. Geändert hat sich lediglich die Form des Widerstands bereichert um ein Verständnis für die Gegenseite.

Deine Ausbildung hast du aber erst – wie vom Elternhaus vorgesehen – gemacht?

Ich war wegen Renitenz und schlechter Noten von der Schule geflogen. Tschüss Abi. Jetzt musste ich was anderes versuchen. Also erst einmal in die Fußstapfen der Väter schlüpfen. Aber das kotzte mich an. Dieses mit möglichst wenig Aufwand, möglichst viel Geld zu schöpfen, war widerwärtig und auch wenig unterhaltsam.

Glücklicherweise hast du deine Interessen nicht lange als Kaufmann und gelernter Gärtner ausgelebt, oder?

Hoppla. Immerhin habe ich etwa 20 Jahre lang als Gartenbau-Kaufmann verbracht, habe mich, wo immer es ging und interessant war, weitergebildet und versucht, meine Erkenntnisse an den Kunden weiterzugeben. Was den kaufmännischen Anteil betrifft, war ich sehr erfolgreich. Der gärtnerische Anteil, der Bezug zur Natur, war schon schwerer zu vermitteln. Gartenbesitzer im städtischen Raum sind nun mal wohlhabende Leute und da spielt das Geltungsbedürfnis eine große Rolle. Irgendwann wurde mir das zu pervers.

Aber Gärtner bin ich nach wie vor.

Ich habe mal eine Ausstellung namens ‚Wildes Düsseldorf’ gemacht, in der ich Bilder von ausschließlich wild vorkommenden Pflanzen in der Stadt gezeigt habe. Doch das Publikum hat nur Blümchen gesehen und dem Aussteller war das nicht politisch genug. Immer wieder dasselbe. Der enge Focus auf das täglich medial vermittelte Cliché dessen, was als Politik gelten kann. Alles bleibt im Rahmen weniger Schlagwörter und es wird gemordet und geraubt.

Als Gärtner steht man außerhalb dieses Schachtfeldes und versucht, ein Verständnis für die Vielfalt und Größe des Daseins zu vermitteln. Auch hier hilft mir die Fotografie. Ich streune durch die Stadt und halte fest, was mir alles auffällt. Scheinbar banale Fotos. Aber genau diese sind es, die den Geist der Zeit dokumentieren. Sogenannte Sensationen überlasse ich den Medien. Also bin ich nach wie vor Gärtner und das vor dem Fotografen.

Welches Ziel hattest du damals vor Augen: Arbeiter, Angestellte, Chef mit schmauchender Zigarre und schwarzem Mercedes oder gar nichts von alledem zu werden?

In den Kategorien habe ich nie gedacht. Ich war und bin immer neugierig und lasse mich gerne vom Wind da und dorthin treiben. Da, wo ich bin, bin ich dann auch und das mit großen, staunenden Kinderaugen. Das will dann verarbeitet werden. Das geschieht in kleinen Geschichten und eben Bildern. Der Aufbruch der Jugendszene der 70er und 80er war so ein Faszinosum. Das erste Mal nach dem dritten Reich, dass bei den Kids etwas Eigenes entstand und nicht nur nachgemacht wurde.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass damals einige – wie im Roman von Eckhard Henscheid „Die Vollidioten“ – in den Tag hinein lebten. Ging es dir ähnlich?

Wieso die Vergangenheitsform? Die Meisten leben vor sich hin. Heute wie damals.

Mit acht Jahren dann dein erstes Jazz-Konzert: ein einschneidendes, musikalisches Erlebnis?

Wir hörten damals diese aufregende Musik auf Sendern wie AFN und BFBS. Mein erstes Konzert erlebte ich in der Wirtschaft des nahen Kleingartenvereins. Ja, das war toll. Die Jungs waren zwar nicht so gut wie die im Radio, aber sie machten etwas.

Später waren Chicago-Jazz, Cool-Jazz und Miles Davis das Maß aller Dinge. Irgendwie auch schon ein elitärerer Kreis, oder?

Nein, wir kamen uns weder als Hörer noch später als Musiker elitär vor. Der Typ des mit Stirnfalte versehenen, mit dem Fuß wippenden Zuhörers gab es noch nicht. Das Ganze machte Spaß, war Ausdruck unseres Lebensgefühls und was weiß ich.

Als du 21 Jahre alt warst, war der Jazz tot, Funk, Soul und Twist kamen. Welche Musik begeisterte dich daraufhin?

Die Musik, die mich immer schon umgab und interessierte, sei es Bachs Polyphonie oder Musik der klassischen Moderne. Favoriten waren „Scheherazade“ von Rimsky-Korsakow unter Gergiev oder Strawinskys „Le sacre de printemps“ unter Zubin Metha – auch „Der Feuervogel“. Dann Musik des alten Japan oder Musik der Menschen südlich der Sahara. Musik aus Brasilien. Doch, dann auch – ich trieb mich oft im Kölner WDR rum – was sich an neuer Musik im Großen Hörsaal ereignete.

Ging die Musik der frühen und mittleren Siebziger Jahre ganz an dir vorbei?

Nicht ganz. Es gab einige interessante Musiken von Gruppen, deren Namen mir aber gerade nicht einfallen.

 

Punkette

 

Bist du in die Tätigkeit als Fotograf hineingeschlittert, Zufall?

Bilder haben mich immer interessiert. Und Fotografie war das Mittel, etwas zu dokumentieren. Ich habe mir dann eine Dunkelkammer eingerichtet und mich dort eingearbeitet.

Ich hatte mal erwogen, Fotograf zu lernen. Doch da gab es keine Angebote. Man wurde zur Labormaus ausgebildet. Also musste ich alles selber lernen und machen. Welch ein Glück, kann ich heute sagen. Durch keine Lehrmeinung und kein Studium versaut.

Vorher hattest du nur ein paar Blumen-Bildchen vertickt…

Ja, an so eine Frauenzeitschrift.

War die Bekanntschaft mit DER PLAN der Startschuss, die Musik-Szene zu fotografieren?

Wenn man einer regelmäßigen Arbeit nachgeht und sich dort engagiert, bekommt man anderes nicht so ohne weiteres mit. Was ich mitbekam, war, dass da so ein paar Leute, von cleveren Geschäftemachern angeleitet, mit irren Frisuren, verletzenden Rasierklingen und Sicherheitsnadeln Furore machten. Fand ich vernachlässigbar.

Bei mir in der Firma arbeitete aber als Werkstudent Che Seibert (DER PLAN) – der studierte Foto-Design und lud mich ein, ihn und die anderen 14 Studenten in dem von ihnen in Willich gemieteten Haus zu besuchen. Unter diesen 14 waren dann auch jene, die später DER PLAN wurden.

Ab wann entwickelte sich aus Spaß am Fotografieren bei Konzerten eine wiederkehrende Beschäftigung?

Beschäftigung klingt mir zu lapidar. Nein, ich war nicht beschäftigt sondern fasziniert. Also, und wenn es langweilig wurde, habe ich ja auch aufgehört.

Was faszinierte dich so sehr?

Die Haltung.

Was warst du in diesen Tagen auf den Konzerten: Fotograf oder Musik-Fan?

Fotografierender, Dokumentierender. Weder Musik noch Fan. Ich empfand das Gebotene auch nicht als Musik. Was da passierte, war Ausdruck einer neuen Jugendkultur, einer neuen Freiheit.

 

Blixa Bargeld

 

Warst du also immer nur der stille Beobachter mit der Kamera?

Viele haben mich überhaupt nicht wahrgenommen. Und das gefällt mir.

Warst du in der Punk-Szene plötzlich wieder jung?

Ich war nie alt. (in dem Sinne, der hier gemeint ist)

Wie kam es zu deinem Pseudonym ar/gee (entspricht der englischen Aussprache seiner Initialen R. G.)?

Eine Freundin nannte mich so. Ich habe das einfach übernommen.

Als Jazzer hattet ihr in den Fünfzigern auch schon Pseudonyme, weil es cooler war?

Nein, weil Jazzer zu sein zu meiner Schulzeit das Aus gewesen wäre. Außerdem hielt es einem die unerwünschten Mädels fern. Die erwünschten jedoch nicht.

Was verbindet Jazz und Punk?

Etwas Ursprüngliches. Eine große Freiheit. Ein permanentes Suchen und Erforschen. Eine Haltung, der befreienden Offenheit. Das Selbermachen. Viel Spaß. Und ein Stein im Brett bei den Mädels.

Im Jazz gab es mit Miles Davis eine Lichtgestalt. Gab es für dich hernach nochmals solch eine, gegebenenfalls zu Zeiten des Punk oder der Neuen Deutschen Welle?

Für mich stand Charlie Parker noch über Miles Davis, dann waren da noch Mingus oder Roland Kirk und Ornette Coleman und viele mehr. Solch einen Stellenwert erreichten die Helden der 70er nicht. Da gab es Janey J. Jones, Campino, Annette Benjamin, Holger Hiller u.a.

Lag dein Hauptaugenmerk also damals mittlerweile eher in deinem Umfeld, die Musiker in aller Welt himmelte man nicht mehr an?

Ja, man himmelte nicht an. Man (also auch das Publikum) war mit den Leuten auf der Bühne eins. Also keine reinen Konsumenten, die es zu unterhalten galt. Der gesamte Raum war eine Einheit, ein Ereignis, ein Erleben.

 

Punketten, 1982

 

War dein Aktionsradius auf Düsseldorf und Umgebung beschränkt oder bist du auch wegen Bands durch die Republik gereist?

Düsseldorf war natürlich naheliegend, aber interessant war der gesamte deutschsprachige Raum. Man kam rum damals und das war gut und spannend.

DAF hast du in Berlin begleitet. Hamburg und Berlin waren ja die anderen Punk-Hochburgen. Hast du dort auch ausgiebig fotografiert?

Ja, wenn ich Gelegenheit dazu hatte. Berlin war ein wenig schwierig. Als Wessi hatte man es dort nicht leicht und als Düsseldorfer schon gar nicht. Die Berliner hielten sich in ihrer Beschränktheit für einzigartig. Alles andere war Provinz.

Welche Musik war spannender: DAF oder DIE TOTEN HOSEN?

Was ist Dir lieber: Apfelsinen oder Erbsensuppe? Doch alles zu seiner Zeit.

 

Punk als Mode, 1983

 

War es ein Zufall, auf die Gruppe ZK in der „Trompete“ in Düsseldorf-Heerdt zu treffen?

Ich wusste, dass ZK da spielen werden und bin da hin. Die Überraschung war dann Campino, der sich erfrischend spaßiges einfallen ließ.

Wie spaßig war er denn: würde man heute sagen wie ein Comedian oder so lustig wie einst GROBSCHNITT, musikalisch ernst aber mit Spaß dabei?

Kein Comedian, kein Grobschnitt. Ein Spaß für alle mit allen. Wer ncht dabei war, dem kann ich’s nicht erzählen. Nicht wiederholbare, nie wiederkehrende Momente.

Was hat dich an der Band fasziniert, war es die Musik?

Es war Campino.

Wie lange hast du die TOTEN HOSEN noch hautnah begleitet?

So hautnah war das gar nicht. Ich weiß nicht, ob die Toten Hosen mich überhaupt wahrgenommen haben.

Hast du damals eine Freundschaft zu ihnen aufgebaut?

Freundschaft kann man das nicht nennen, Respekt vielleicht.

Konntest du noch mehr Bands derart regelmäßig begleitet wie ZK und DIE TOTEN HOSEN?

Regelmäßig? Es kam wie es kam.

Gibt es Bands mit denen du enger in Kontakt standst?

DER PLAN, Tommi Stumpff (KFC) und ÖSTRO 430.

War das Fotografieren eine Berufung oder letztlich dein Beruf?

Mit einem Beruf verdient man sein Geld. Daran dachte ich aber gar nicht. Berufung. Komisches Wort. Frag mal die anderen.

 

Punks, 1983

 

Hernach hast du sogar Künstler gemanagt, auch berühmte?

Berühmt nicht, aber bekannt.

Und eine Künstleragentur aufgebaut. Ein guter Plan?

Ein fataler Griff in die Hölle der Gemeinheiten, der mich total ruiniert hat.

Beispiel: Ein Golfclub will ein Sinfonieorchester. Kein Problem. Ich hatte da mehrere renommierte. Aber die sollten auf der grünen Wiese spielen. „Und wenn es regnet?“ „Egal.“ Das geht natürlich nicht.

Wer kam auf die Idee zur Bildersammlung, die frühen Jahre ZK und DIE TOTEN HOSEN?

Ich meine Ihr, Ihr wolltet das.

Hast du die Bilder letzten Endes selbst ausgesucht?

Ja.

Eine Ausstellung gab es ebenso im Düsseldorfer PostPost. Ein Erfolg?

Ein Riesenerfolg, wenn man sich das Echo darauf ansieht. Aber Erfolg ist nicht das, worauf es ankommt. Es ist das Gelingen. Und gelungen war sie allemal.

Was ist schöner: eine Ausstellung oder ein Bildband?

Beides ist gut und schön.

Wie war es, in diesem Zusammenhang die TOTEN HOSEN wiederzusehen, wie alte Freunde wieder zutreffen?

Wie alte gute Bekannte. Ich war überrascht davon, an was sich Campino noch aus alten Zeiten erinnern konnte und was er da zum Besten gab.

Kommst du mit ihnen immer wieder mal in Kontakt und besuchst du auch ab und zu deren Konzerte?

Nein, ich besuche auch sonst keine Rock-Konzerte.

Bist du mit anderen Bands noch in Kontakt aus den 1980ern?

Kürzlich hat mich Annette Benjamin (HANS-A-PLAST) besucht: Überraschung.

So sehen gelegentliche Kontakte aus. Oder ich traf mal Jürgen Engler (DIE KRUPPS) irgendwo in Süddeutschland zufällig auf einem Autobahnrastplatz.

War für dich die Neue Deutsche Welle genauso spannend, oder musikalisch gesehen weniger aufregend als der Punk?

Zu der Zeit habe ich überhaupt nicht fotografiert. Es gab nichts zu fotografieren.

Hast du in diesen Jahren auch tragische Musiker-Geschichten miterlebt, Tod und Selbstmord?

Nicht hautnah. Gesehen schon.

 

Tartan-Mode, Schaufenster, Punk tot

 

Welche Band dieser Jahre hat sich unter Wert verkauft und ihre Fähigkeiten nicht ausschöpfen können?

Es ging damals nicht um Rangfolgen, sondern darum etwas zu machen.

Und welche Band bekam nicht den ihr zustehenden Ruhm?

Ruhm ist ein Wort aus einer kranken und überwundenen Zeit. Wer handelt, um berühmt zu werden, ist ein armes Schwein und hat es nicht anders verdient.

Wo liegt der Unterschied zwischen den uns im Gedächtnis gebliebenen Punker-Frisuren und -Klamotten zu den Anfängen der Szene?

Mode ist Mode und hat selten Inhalte. Die Klamotten und Haare waren aber schon damals Mode, siehe Vivienne Westwood.

Wie siehst du die Punk-Bewegung im Nachhinein?

Wie schon gesagt: Ein Aufbruch in neue, freie Zeiten. Die Vorwegnahme einer neuen, besseren Beschreibung der Welt. Ein Beispiel für ein neues Miteinander.

Hat dich anschließend eine weitere Musik-Welle derart interessiert?

Du meinst nicht Musik, sondern Jugendbewegung. Antwort: Nein.

Ein Bild mit dir ist „Als ich Punk fotografierte“ betitelt. Was hast du hernach – nach dem Punk – fotografiert?

Jahrelang nichts.

Heavy Metal hat ja die 1980er Jahre bestimmt. Hat er dich auch angesprochen?

Nur sehr peripher. Fand ich aber besser als viele andere Rockäußerungen.

Es gab ja einige Heavy Metal-Bands aus Düsseldorf, auch DORO, oder mit einer langen Bandgeschichte DIE KRUPPS. Sind sie dir ein Begriff?

Zu DORO habe ich überhaupt keinen Draht und DIE KRUPPS sind keine Metalband.

Konnte eigentlich anfangs dein Foto-Equipment mit dem der Fotografen anderer Magazine und Zeitungen mithalten?

Ich hatte, was ich brauchte, vor allem meine NIKON F2. Das Ding war hart im Nehmen und lieferte gute Bilder.

Du hast bestimmt Unmengen an Aufnahmen.

Die Negative aus der Zeit nehmen zwölf Leitz-Ordner ein.

Sammelst du auch Kameras oder hast du nur ein kleines, wichtiges Equipment-Sortiment?

Ich sammle keine Kameras. Das ganze Getue um die Fotografie ist mir fremd.

Was macht das Goethe-Institut mit deinen Bildern und schickt sie rund um die Welt?

Das Goethe-Institut ist an mich herangetreten und hat 20 Bilder ausgesucht, die jetzt die nächsten fünf Jahre in allen Hauptstädten der Welt gezeigt werden. Natürlich neben denen anderer Fotografen.

Und dein Verhältnis zur Musik: berührt dich heutzutage noch Musik?

Aber ja, Penderecki zum Beispiel.

Verfolgst du die Jazz-Szene oder schrecken dich schon Verwässerungen, Jazz-Elemente in anderen Stilistiken ab?

Bei Jazz höre ich die Sachen vor und bis 1962. Als historische Reminiszenz.

Wo informierst du dich über Musik – Radio oder Internet – oder willst du gar nichts Neues kennenlernen?

Neues ist rar. Informationsquellen sind Freunde, Treffen, Kneipen.

 

Richard Gleim, 2017

 

Du bist schon früh als Blogger unterwegs gewesen, dein erster hieß „Mehrzweckbeutel”. Deine heutige Ausdrucks- und Mitteilungsform?

Der „Mehrzweckbeutel“ war ein Blog von drei Leuten: Mario Sixtus, Siggi Becker und mir. Heute äußere ich mich auf gnogongo.de und Facebook.

Richard, du bist Düsseldorfer. Hat es dich nie in andere Städte gezogen, einmal Düsseldorfer immer Düsseldorfer?

Düsseldorf hat neben einer gewissen kulturellen Provinzialität alles, was eine Großstadt zu bieten hat und ist dabei klein genug, die Stadtgrenzen zu überschreiten und sich die Welt anzuschauen. Die Menschen hier sind freundlich, ohne in peinliche Fraternisierung zu verfallen und behalten einen klaren Kopf, der ein wenig an Hamburg gemahnt. Distanz und Freundlichkeit halten sich hier die Waage. Und Idioten gibt es überall.

Gibt es heute noch Punker?

Ja und Nein. Es komm drauf an, was man für Punk hält. Wie schon gesagt, Grenzüberschreitung, Verantwortung und eine Vorstellung von Freiheit zeichnen den Punker aus.

Bist du ein Punk?

Das müssen andere beurteilen.

 


Bilder: (c) ar/gee Gleim