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OBSCURA – Diluvium

2018 (Relapse Records) – Stil: Prog/Tech Death


Ihr kennt das ja: eine Lieblingsband kündigt an, ins Studio zu gehen – juhuu, bald endlich wieder ein Meisterwerk im Player, klasse, mal sehen, was ihnen diesmal alles so einfällt. Muss ich gleich den anderen Nerds erzählen! Später hört man, dass die Aufnahmen nun abgeschlossen seien und der Mix beginne, und die Vorfreude wächst weiter, ein Hauch von Nervosität kommt gar dazu. Schliesslich wird das Veröffentlichungsdatum angesagt, ja geil, endlich! Und irgendwann ist es dann tatsächlich soweit, das gute Stück ist da, die ersten Töne perlen aus den Lautsprechern, und natürlich, wie erwartet, wie lange ersehnt – diese göttlichen Soli, diese irren Breaks, jessas, was growlt der fies, und was für ein Hammer-Refrain, ja, alles miteinander der reinste Waaaahnsinn!

Ok, dem ersten Durchlauf folgt natürlich sofort der zweite, immer noch ist die Begeisterung schier unendlich – aber die Konzentration lässt schon merklich nach, naja, war abgelenkt, morgen noch mal konzentriert hören, vielleicht im Zug. Bei diesem Durchlauf wird die gleichzeitige Lektüre dann schon wichtiger, hoppla, Platte schon wieder zuende? Hmm, seltsam, kann mich gar nicht so richtig an die einzelnen Songs erinnern. Aber sowas Progressives braucht halt seine Zeit, um sich richtig zu entwickeln! Geb ich ihr noch ein paar Chancen…Und so geht es ein paar Wochen lang, das gerade Gehörte setzt sich nicht fest im Kopf, hinterlässt keine wirklichen Spuren, während andere, interessantere Scheiben, vielleicht gar von ganz neuen Bands in den Player kommen und deutlich öfter goutiert werden; und irgendwann ist das so lange herbeigesehnte Wunderwerk schlicht vergessen und ward nie mehr gehört. Schade, aber sei’s drum, vielleicht beim nächsten Mal wieder…

Tja, und hier kommt nun der Unterschied zwischen Euch und mir ins Spiel: während das Teil bei Euch schlicht in der Versenkung verschwindet, muss ich ein möglichst objektives, sachliches Urteil darüber fällen…ufff. Grenzenlose Begeisterung, aber ich werde wie immer mein Bestes geben 😉

Vielleicht ist die den mit ’Cosmogenesis’ begonnenen Zyklus nun abschliessende ’Diluvium’ ja tatsächlich so gemeint: viel näher dran an der Eröffnung als am Mittelteil, rauer, düsterer, härter, das Ganze kompakt und endgültig abschliessend. Dann läge ich mit meiner Einschätzung, ’Akróasis’ sei der eigentliche Höhepunkt dieser Quadrologie, nämlich goldrichtig. Natürlich ist die Neue technisch brilliant, die Songs mit allen kompositorischen Finessen gespickt und trotzdem nicht ausufernd lang, sondern auch für Nicht-Progger konsumfreundlich gestreamlined, sie durchzieht jedoch auch sehr viel nicht nur Vocoder-erzeugte kosmische Kälte, der fast nur durch Linus Klausenitzers Fretless Bass etwas Herz entgegengesetzt wird (’The Seventh Aeon’!). Steffen Kummerer faucht harscher denn je, Rafael Trujillo liefert gemeinsam mit ihm (und vor allem auch alleine) abgezirkelte Traumsoli ab, gleichzeitig wird oft deutlich Geschwindigkeit rausgenommen und sehr ruhige Passagen zeigen auffallend viele Remineszenzen an 70ies Progrock und vor allem klassischen NWoBHM mit seinen traditionellen Twingitarrenläufen, wie man sie zuletzt beispielsweise bei KHEMMIS hörte (’The Conjuration’, oder, wie von OPETH bekannt, in ’Ekpyrosis’) – allein, mir fehlen die Haken, die sich im musikalischen Gedächtnis festsetzen und mein Herz nach mehr bluten lassen. Der Songaufbau ähnelt sich – trotz aller struktureller Gimmicks und Tempiwechsel – über fast die gesamte Platte hinweg, ihn eindimensional zu nennen wäre nun bei der dargebotenen Virtuosität wirklich übertrieben, aber etwas weniger Vorhersehbarkeit würde mehr Spass bringen. Den hat man jedoch auf jeden Fall mit der Produktion von V. Santura, die wie immer keinerlei Wünsche offen lässt.

Natürlich, jede Platte steht auch in einem Zyklus für sich allein. Kann man daher einer Gruppe vorwerfen, dass sie nicht noch einmal ein so von Kraft und Leben strotzendes Werk erschaffen hat, wie es ’Omnivium’ und vor allem ’Akróasis’ sind? Ich denke ja, denn was ’Diluvium’ fehlt, sind die absolute Freiheit, die tiefe Leidenschaft und vor allem die strahlende Pracht des Vorgängers. Das zweite Lied ’Emergent Evolution’ kommt da noch am nächsten ran, hier jubeln nicht nur die Gitarren, hier hat man wieder den Eindruck eines organischen Gemeinschaftswerks, eines Ideen- und Kraftaustauschs innerhalb der Band, während sonst der bisher von OBSCURA ja gerade vermiedene Alleingang der Instrumente leider in weiten Teilen vorherrscht.

Natürlich ist das alles Jammern auf exorbitant hohem Niveau. Wer seine Freude vor allem an virtuoser technischer Spielerei wie aus Übersee hat, wird auch hier sehr glücklich werden und lange immer wieder neue, abgefahrene Details in dieser Musikerscheibe entdecken. Der stimmungs- und hookverliebte Tech-Death-Fan ist weiterhin bei den Kompagnons von ALKALOID besser aufgehoben.

(6,5 bassanschmachtende Punkte)

 

 

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