Livehaftig

ROSE TATTOO, THE WILD

09. Juni 2018, Colos-Saal, Aschaffenburg

10. Juni 2018, Rockavaria Festival, München


09. Juni 2018, Colos-Saal, Aschaffenburg

Ratzfatz war die ROSE TATTOO-Show im legendären Colos-Saal in Aschaffenburg ausverkauft. Der Auftritt der Band beim letztjährigen Bang-Your-Head-Festival, die zu diesem Zeitpunkt fast zehn Jahre nicht in Europa war, glich einem Triumphzug und für nicht wenige war es das Highlight des Festivals. Die Band war zurück, die Tourgerüchte für 2018 verdichteten sich und zugleich entstanden weitere Gerüchte, dass sich das Line-up um das einzig verbliebene Originalmitglied, Sänger Angry Anderson, komplett erneuert hat. Vom Festival Line-up ist 2018 nur noch Gitarrist Dai Prichard dabei, der nach dem Tod von Pete Wells diesen offiziell ersetzte. Als weitere Musiker im 2018er Aufgebot finden sich ex-THE ANGELS Gitarrist Bob Spencer , ex-AC/DC Bassist Mark Evans sowie Drumm-Monster John ‘Watto’ Watson (u.a. KEVIN  BORICH EXPRESS, AUSTRALIAN CRAWL, MEN AT WORK (Livedrummer) etc.). Ein geradezu legendäres Line-up hinsichtlich der musikalischen Bedeutung dieser Musiker für die australische Rockszene.

Ausverkauft heißt in den Sommermonaten das Colos-Saal gleichzusetzen mit einer Sauna. Und dass noch ein paar Fans mehr in den Club passen, hat man das Merchandise in die Kneipe nebenan, die zum Club gehört und nur durch eine Tür getrennt ist, ausgelagert. Der Abend wird mit den kanadischen THE WILD eingeleitet, die musikalisch nicht wirklich zu ROSE TATTOO passen, sich aber abmühen und dementsprechend auch etwas mehr als Höflichkeitsapplaus erhalten. Dennoch etwas zu modern, etwas zu jung und nicht wenige zieht es nach draußen, um die letzten Minuten frische Luft zu genießen, bevor die australische Rocklegende das Zepter übernimmt und eine amtliche Rock`n`Roll Messe abliefert. Angry selbst ist etwas angeschlagen, seine Stimmbänder haben mit einer Erkältung zu kämpfen und so schüttet sich die Gesangsikone den ganzen Tag über schon Medikamente rein und schläft viel.

 

Trotz dieses Handicaps zieht Angry sein Ding durch und gibt alles. Bei den langgezogenen Schreien und etwas schrilleren Einlagen hört man das deutlich, aber es bewegt sich noch alles im grünen Bereich. Die Gitarrenwand ist ruppig. Bob Spencers Spiel erinnert nicht wenig an die kraftvolle Spielweise des verstorbenen Mick Cocks. Und so wirkt gerade diese wichtige Säule im Tatts Sound sehr energisch und rau. Im Vergleich zu letztem Jahr eine markante Verbesserung, da man dort etwas zu sauber und technisch klang.

Mark Evans am Bass zupft sein Instrument mit Elan und ist recht bewegungsfreudig. Angetrieben wird diese Rock`N`Roll Maschine von dem kraftvollen, harten Beats des Herrn Watto Watson, der die Männer schön vor sich hertreibt. Die Setlist ist ausgewogen und konzentriert sich nicht nur auf die legendären Stücke der frühen Achtziger Phase, sondern hat mit `Man About Town`, `1854`, `Black Eyed Brusier`, `Standover Man` oder dem klassischen `Once In A Lifetime`, das man dem verstorbenen Mitbegründer und Gitarristen Pete Wells widmet, auch Songs des letzten Studioalbums `Blood Brothers` im Programm. Klassiker wie `One Of The Boys`, `Assault And Battery`, `Scarred For Life`, `The Butcher And Fast Eddy`, das unverwüstliche `Bad Boys For Love`, `Astra Wally` oder das legendäre `Nice Boys Don`t Play R`n`R` sind da selbstredend und werden knackig und sehr geradlinig heruntergezockt. Überraschend taucht in der Setlist `Branded` auf, das zwar nicht zu den Highlights der Band gehört, aber es ist dennoch schön, diesen Song live zu hören.

Bob Spencer in die Band zu holen war ein wirklich cleverer Schachzug, der dem Sound die würdevolle Einzigartigkeit des frühen Mick Cocks verpasst. ROSE TATTOO liefern eine grundsätzlich kritiklosen Auftritt ab. Klar, hätte man mit `Remedy` oder `T.V.` mehr Tempo reinbringen können, aber man kann nicht alles haben. Die 95 Minuten werden gut genutzt und ich bin der Meinung, dass da keiner enttäuscht aus dem Club rausmarschiert ist. Die Australier haben deutlich gezeigt, wer noch immer das Rock`n`Roll-Zepter, knapp vierzig Jahre nach Veröffentlichung des Debüts, in der Hand hält.


10. Juni 2018, Rockavaria Festival, München

Einen Tag später ist München dran. Allerdings im Rahmen des Rockavaria Festivals. Warum man die Australier auf den Sonntag gebucht hat, wird für immer ein Rätsel bleiben. ROSE TATTOO zwischen TURBOBIER, DONOTS, DOG EAT DOG oder EMIL BULLS ist schon suspekt. Dass die TOTEN HOSEN ihren Headliner Auftritt absagen müssen, aufgrund eines Hörsturzes von Campino, macht dem Veranstalter einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Aber das interessiert die Australier nicht und man geht knapp 30 Minuten verspätet auf die kleinere der beiden Festivalbühnen und liefert einfach mal so ein richtiges Brett ab.

Dass die Band einen legendären Status besitzt, scheint sich herumgesprochen zu haben, der Platz ist mit Fans aller Altersklassen prall gefüllt und die feiern die Band ab. Mit einem verkürzten Set gegenüber den Clubshows geben sie von Beginn an Vollgas. `One Of The Boys´, `Assault And Battery` sowie das zackigen `Tramp` haut man als Eröffnungstriple raus. Der Lautstärke wird aus gesetzlichen Gründen sehr nach unten gefahren. Ganz vorne gibt´s noch Rockkonzert-Lautstärke, weiter hinten kann sich problemlos unterhalten werden. Rock`n`Roll geht anders.

Der Set ist ein ausgewogener Mix aus Alt sowie Neu. `Once In A Lifetime` wird nicht nur Pete Wells gewidmet, sondern heute auch Mick Cocks, Digger und Ian Rilen. Dass wahrscheinlich die meisten Anwesenden nicht mal wissen, wer die Herren waren, ist beschämend, aber auch verzeihbar. Nicht alle können Geeks sein.

Von oben knallt einem die Sonne auf den Schädel und von vorne eine amtliche Dosis Rock`n`Roll. Perfekte Mixtur, das wissen die beweglichen Zapfhähne (sprich Menschen mit Rucksack-ähnlichen Bierbehältern auf dem Rücken) und drücken sich durch die Anwesenden, um den teuren Bölkstoff für satte 5 Euro zu verkaufen. Die Nachfrage ist dementsprechend. Derweil liefern die Australier ihre Klassiker ab: `Rock`n`Roll Outlaw`, `Bad Boys For Love`, `We Can`t Be Beaten` und abschließend `Nice Boys Don`t Play Rock`n`Roll` in einer leicht verlängerten Version. Der Refrain aus tausend Kehlen sorgt für Gänsehaut.

Exzellenter Auftritt von ROSE TATTOO, die nichts haben anbrennen lassen und dementsprechend unter massiven Zugaberufen die Bühne verlassen. Merke, auf einem Festival sind die Auftrittszeiten in Stein gemeißelt.


All Photos: Herko Schmidt